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Popfest-Kritik

Warum das Popfest Wien sehr wohl die Musik fördert, und Niederschwelligkeit ein Wesenszug von Pop ist

The daily blumenau. Wednesday Edition 26-07-17.

von Martin Blumenau

Der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar hat dieser Tage in einem Leitartikel der „Presse“, also dem wichtigstmöglichen Forum einer traditionellen Tageszeitung, das anstehende Popfest zum Anlass genommen, die Gratis- und Event-Kultur bzw. deren Niederschwelligkeit zu kritisieren und als Förderer einer Abstumpfung sowie konzeptuell gescheitert bezeichnet.

Kramar – und ich bleibe in dieser Entgegnung, wider besseres Wissen, in seinem Sound der Inbesitznahme absoluter Wahrheit – hat ein bisserl recht und liegt trotzdem recht daneben.

Denn: So sehr das Vordringen von allzu lauter und grell vermarkteter Event-Kultur in Kunst und Alltag auch beklagbar sein mag: Es ist das Wesen von Pop, sich auf jede erlaubte Spielart bemerkbar machen zu wollen. Pop kommt von populär und sucht die Vielen, nicht nur die Feinspitze; Pop inkludiert und schließt kein Crossover aus. Und ein Fest ist ein Fest ist ein Fest: also laut und party und rock’n’roll. Und wenn „Pop“ und „Fest“ dann auch noch zusammenkommen, tja...

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

Aber: Wie immer bei auffälligen kritischen Thesen sollte sich der erste Blick auf die Agenda richten. Die Presse steht – wie fast alle Printmedien – in einem harschen Abwehrkampf gegen die Gratiskultur von Internet und U-Bahn-Medien. Der „Was nichts kostet, ist nichts wert“-Leitsatz des Leitartikels geht also weit über den klassisch beklagten Untergang des Abendlandes hinaus: Es ist die Anklage gegen ein System, das das eigene Überleben bedroht, ein mantraartiges Pflicht-Narrativ.

Zudem steht ein strukturkonservatives Medium ganz selbstverständlich (und unhinterfragend) für die Abgrenzung, für den Distinktionsgewinn mittels (scheinbar) aktivem Kulturverhalten. Deshalb auch der absurde, vielzeilige Vergleich des Popfests mit den Salzburger Festspielen. Dort errichtet die Hochkultur jede Menge (vor allem ökonomische) Schwellen, um so eine selbstgefühlte Elite beherbergen zu können, die sich allein durch ihre Teilnahme an diesem (auf seine Art noch viel grelleren) Event definiert. Nicht durch den tatsächlichen oder gar aufmerksamen Konsum. Da wird in erster Linie gerastet, aber nur in den wenigsten Fällen erregt Kultur aufgesogen. Der Nebenbei-Charakter bei Popfest und Festspiel-Konzert/Opernabend wird in etwa sich die Waage halten, mit dem Unterschied, dass in Salzburg verschämt versteckt, was am Karlsplatz offen gelebt wird.

Auch die von Kramar nebenbei eingestreute Klage, dass eine „ernsthafte“ Rezension des Popfests wegen der Party-Atmo nicht möglich wäre, offenbart einen seltsam popfernen Ansatz von Kulturjournalismus, der an das präelektrische Newport-Festival der frühen 60er gemahnt. Und wie weiland Pete Seeger schwingt auch Kramar seine Axt, um Pop in einen kulturell elitären Kontext zurück zu rücken, der so nie (oder nur in ausschließenden Jugendkultursekten der 80er) existiert hat.

Schließlich bleibt noch die (eher unbelegte) These, dass die österreichische Popszene durch „Gratiskonzerte von öffentlicher Seite“ keineswegs gefördert werde, sondern abgestumpft-bewusstlose Konsumenten produziere. Weil man mit Freibier ja auch nicht das Brauereigewerbe fördert.

Doch, Herr Kramar, doch, genau so: Ohne das gezielte Anfixen durch frühen Alkohol bei jeder Zeltfestgelegenheit, ohne die Gratislockangebote von Generationen von Dealern wäre Österreich längst nicht mehr EU- und auch OECD-Spitze im Konsum-Saufen. Und ohne die Lockangebote von Showcase-Konzerten, wie sie beim Popfest (und anderen vergleichbaren free concerts) seit Jahren passieren, wäre weder die (halbwegs gut) funktionierende Live-Szene (und nach der von der Industrie verschuldeten Entwertung der Musik-Verkaufseinheiten ist das die primäre Einnahmequelle für MusikantInnen) noch aktuelle Höhenflüge (auch wie die von den fürs Popfest zu schnell zu groß gewordenen Bilderbuch oder Wanda) möglich.

Weil sich die Marktwerte der Acts nämlich auch nach bei Gratisfesten erspielter Bekanntheit richten. Und weil hörerseitig sonst wohl gar kein Bewusstsein für die Existenz von heimischer Musik da wäre: Im Boulevard und auch in den selbsternannten Qualitätsmedien kommt die nämlich erst dann vor, wenn sie eh schon bekannt ist. Die Aufbauarbeit dazu leisten andere: kleine Labels, eine vielfältige Veranstalter-Szene, frühe mediale Verbreiter und eben auch die niederschwelligen Popfeste dieses Landes. Ganz ohne Dresscode und Türsteherei.

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