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Pinguine in der Antarktis

Alfred-Wegener-Institut / Thomas Ronge CC-BY 4.0

In diesem Roman kann man Wale und die Antarktis hören

Eine Leseempfehlung für die Hundstage: Elisabeth Klars neuer Roman „Wasser atmen“ führt in die Antarktis, zu singenden Walen und zu einer Stimme in einem Kopf.

Von Maria Motter

Elisabeth Klar war selbst noch nicht „da unten“, aber eine der beiden Hauptfiguren ihres neuen und zweiten Romans: in der Antarktis. Bereits im Titel trägt der Roman eine Unmöglichkeit, „Wasser atmen“, und der Erzählung gelingt eine weitere Unmöglichkeit: man kann diese Geschichte hören, buchstäblich.

Die Autorin Elisabeth Klar

Aleksandra Pawloff

Elisabeth Klar

2013 hat sie bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb, den dritten Platz gewonnen. In ihrer Geschichte „An vielen Ecken“ zerfällt eine Frau immer wieder in Einzelteile. Inzwischen ist Klars Debütroman „Wie im Wald“ erschienen und wurde als psychologisch hochkonzentrierte Erzählung gelobt.

Bild Pinguine: CC BY 4.0

Sind es in Klars Debüt „Wie im Wald“ zwei Schwestern, die ihre heftige Familiengeschichte klären müssen, so stehen sich im neuen und zweiten Roman zwei Frauen gegenüber.

Erika, für viele „Dr. Wawracek“, Lehrende und Forschende mit einer Leidenschaft für Wale, weiß, dass man Kontrollverlust vortäuschen kann. Das ist wichtig für Erika, die immerzu bemüht ist, niemanden zu nah an sich heran zu lassen und nicht zu scheitern. Im Grenzenziehen ist Erika insgeheim Expertin. In einer Aikido-Gruppe hat sie Menschen gefunden, die sich sie als Freundin ausgesucht haben. Und diese Freunde finden, Erika müsse jetzt Judith kennenlernen, die erinnere sie an sie.

Ausgerechnet Judith, eine Musik-Studentin, die ihren Abschluss hinauszögert und darüber referiert, dass die Musik der Nine Inch Nails eine beruhigende Wirkung hätte? Schließlich stimmt Dr. Wawracek einem Treffen zu, es geht ja um die Wissenschaft, und sie ist zu einem Interview für Judiths Diplomarbeit bereit. „Wie könnten Sie andererseits vollkommen fremde Tiere abhören und dann nicht einwilligen, in einer kontrollierten Situation aufgezeichnet zu werden? Abhören, als wären die Bioakustiker nur ein weiterer Geheimdienst.“

Die marine Bioakustik ist Erika Wawraceks Spezialgebiet. Bioakustik ist jene Teildisziplin der Biologie, die sich mit Schallphänomenen bei Organismen beschäftigt. Die Tierstimmenforschung führt Erika unter Wasser, zu Walen und zur Mitternachtssonne.

„Zwischen dem scharfen Schlagen der Rotoren haben sie nach dem Blas gesucht, nach den Rücken der Wale unter der Wasseroberfläche, einer Schwanzflosse, die diese Oberfläche durchbricht.“

Cover von "Wasser atmen"

Residenz Verlag

„Wasser atmen“ von Elisabeth Klar ist im Residenz Verlag erschienen.

Das allein wäre Stoff für einen klassischen Abenteuerroman. Aber Elisabeth Klar widmet sich dem Innenleben ihrer Hauptfiguren weit mehr. Über die 350 Romanseiten hinweg versucht man, den eigenwilligen Persönlichkeiten näher zu kommen und zu fassen, was die beiden Frauen verbindet.

Herausragend ist, wie die akustische Umwelt in die Geschichte und in die fiktiven, komplexen Porträts einfließt. Der Roman knistert wie das brechende, nur vermeintlich und zugeschriebene ewige Eis. Das Meer kommt „zurück wie eine Wand“, Schiffe grollen, der Kontinent „reißt an ihnen“. Es ist ein Getöse, ein Donnern, eine Stimme in Judiths Kopf.

„Manchmal können Geräusche verletzen. Sie reißt das Joghurt weiter auf. Schiffe senden Sonar aus, Wale können an Taucherkrankheit sterben. Du musst das Leben von Anfang an in den Griff bekommen. Du kriegst dieses Leben nicht in den Griff, indem du Joghurt isst. Judith aber kriegt nicht einmal den Schimmel in den Fugen der Spüle in den Griff.“

Erika bereitet sich auf eine Expedition vor, während Judith online Punkte einer Weltkarte anklickt. Bis zum letzten Bild, das die LeserInnen auf Glatteis führt, ringt die Aufmerksamkeit um Erika wie um Judith, über die es an einer Stelle heißt, sie habe die letzten Jahre hindurch wie in einer Schneekugel gelebt. Es ist eine wundervolle Metapher für das zurückgezogene Leben Judiths, für ihr Einigeln und für das, was sie schleudert, das sie vor anderen geheim hält. „Am schwierigsten war es, zu lernen, wie sie die Menschen darin leiten kann, etwas zu übersehen.“

An Verweisen und Assoziationen mangelt es dem Roman „Wasser atmen“ nicht. Wer sich darauf einlässt, ist mit diesem Roman gut eine Woche auf Lese-Expedition.

„Auf alles stößt sie nur durch Zufall, weil ihr das System fehlt. Von der Harmonie der Tierlaute springt sie zum Kribbeln der Kopfhaut als Antwort auf ein Tappen, ein Klackern, einen Plastikbecher, der zerreißt. Glitschige Steine. Lass mich eben springen.“

Am Ende überrascht Elisabeth Klar, weil sie Inspirationen für die Geschichte anführt. „Wasser atmen“ ist auf ungewöhnliche Weise doch ein Abenteuerroman. Einer, der nach innen gewandt ist und der einen packt, weil die Wahrnehmung in andere Zustände führen kann. Und schon drängen sich die nächste Assoziation und der Freud-Zeitgenosse Arthur Schnitzler auf: Die Seele sei ein weites Land, „wie ein Dichter es einmal ausdrückte“, schrieb Schnitzler, „Es kann übrigens auch ein Hoteldirektor gewesen sein.“ Auf zum Südpol!

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