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Demonstrators dressed as custom officials set up a mock customs checkpoint at the border crossing in Killeen on February 18, 2017.

Paul FAITH / AFP

Rotifer

Ende eines englischen Sommers

Raus aus der Zollunion, aber in Irland schon ein bisschen Schmuggel dulden. Rechtsextreme verurteilen, ohne dabei Donald Trump auf die Zehen zu steigen. Das alte Empire aufleben lassen, aber ohne Verantwortung für koloniale Gemetzel zu übernehmen. Die Traumwelt des Brexit kollidiert mit Geschichte und Gegenwart.

Von Robert Rotifer

Der englische Sommer 2017 geht dem Ende zu, der Film „Dunkirk“ macht – ob bewusst oder nicht – den popkulturellen Hintergrund zum britischen Neo-Nationalismus des Brexit. Es gibt ein Bedürfnis zu stillen, und die Hersteller_innen der öffentlichen Meinung bedienen sich dabei gieriger, als ich es je erlebt habe, am Schatz der historischen britischen Mythen. Und das just, als diese frontal mit der Realität kollidieren.

Einerseits der Mythos des wohltätigen Empire, das der Welt die Eisenbahn, das gute Benehmen und das Teetrinken gab (also wohlgemerkt nicht den Tee selbst, aber wie der Eingeborene ihn zivilisiert zu trinken hat), also eine Weichzeichner-Version der Vergangenheit, auf der das Post-Brexit-Britannien sein neues Welthandelsreich, das Empire 2.0 mit seinen „old friends“ aufzubauen hofft.

Ein Artikel von Bhanuj Kappal im New Statesman erklärte neulich, warum die britische Berichterstattung zum 70-jährigen Jubiläum der Partition zwischen Indien und Pakistan sich so schlecht zum gegenseitigen Aufwärmen historischer Verbindungen eignet. Und das nicht nur, weil die zerbröckelnde britische Kolonialmacht tatenlos zusah, während ein von durch ihre arroganten Grenzziehungen mitverursachter religiös-ethnischer Konflikt in ein verheerendes Blutbad ausartete.

Andererseits ist da das positive nationale Narrativ jenes Großbritannien, das eine gefährliche Zeit lang ganz allein den Nazis widerstand und dann gemeinsam mit den USA (und hierzulande nicht gern erwähnt, der Sowjetunion) Europa vom Faschismus befreite. Wofür man sich auch noch heute vom Kontinent - durchaus zurecht - eine gewisse Dankbarkeit erwartet.

Interessant dazu übrigens die Kolumne von William Keegan letzten Sonntag im Observer, die diese sonst von Brexiteers bediente Rhetorik recht unkonventionell einmal aus Perspektive eines Remainers zu instrumentalisieren suchte: Wir halfen Europa zu retten, jetzt könnte Europa uns vor dem Brexit retten.

Jedem Versuch, diese Lektion der Geschichte je nach politischer Vorliebe in Richtung Gegenwart zu biegen oder dehnen, droht allerdings augenblicklich die Entwertung, sobald einem dabei Donald Trump mit seinen jüngsten Statements von wegen „Nicht alle, die mit Neonazis marschieren, sind auch selber Nazis“ in den Rücken fällt.

Theresa May verlängerte eigens ihren ohnehin schon erstaunlich langen Sommerurlaub, um dazu möglichst lange möglichst nichts zu sagen. Erst gestern tauchte sie in Portsmouth aus der Versenkung auf, um die Crew des neuen Flugzeugträgers HMS Queen Elizabeth willkommen zu heißen und jenes Schiff als „Symbol des Vereinigten Königreichs als große maritime Nation“ zu beschreiben. Bei der Gelegenheit ließ sie wissen: „Ich sehe keine Gleichwertigkeit zwischen denen, die faschistische Ansichten verbreiten und denen, die sich ihnen widersetzen. Ich glaube, es ist wichtig für all jene, die eine Machtposition innehaben, rechtsextreme Ansichten zu verdammen, wann immer wir sie hören.“

Nachdem Donald Trump Vorwürfe, die ihn nicht namentlich nennen, garantiert nicht auf sich selbst bezieht, war das wohl keine unschlaue Aussage. Als einzige Reaktion einer britischen Premierministerin darauf, dass der Präsident der am engsten verbündeten Nation, mit der gemeinsam man einst Hitler besiegte, sich randalierenden und mordenden Neonazis anbiedert, war sie aber auch skandalös unscharf und feige. Der Kosename „Appeaser May“ (zur Übersetzungshilfe dies und das) hat jetzt einen noch unangenehmeren Nachklang.

Aber der Raum zur Abgrenzung wird halt auch recht eng, wenn einmal David Duke vom Ku Klux Klan den großen Brexit-Slogan „Take back control“ für sich vereinnahmt und man für die Zukunft nach dem Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt seine ganzen Hoffnungen auf ein Handelsabkommen mit den USA verwettet hat.

Irische-nordirische Grenze 1968

CC BY 2.0 von henrikjon via flickr.com/123732078@N07/17393227164

CC BY 2.0 Die irisch-nordirische Zollgrenze anno 1968

Und das traf sich dann auch noch mit der Veröffentlichung eines Positionspapiers zu den künftigen Beziehungen zwischen Irland und Nordirland, in dem die britische Regierung sich wünscht, dass es auch nach Austritt aus Binnenmarkt und europäischer Zollunion keine Grenzposten zwischen Irland und Nordirland wie vor der Zeit des Karfreitagsabkommens geben solle.

Klingt schön, aber schwierig, wenn genau dort die von den Brexiteers so nachdrücklich geforderte neue Landgrenze zum EU-Raum liegen soll. Nach Vorstellung Großbritanniens wird sich das schon irgendwie technologisch lösen lassen. Die Verzollung größerer Warenlieferungen über diese Grenze könne man auch online abwickeln, vielleicht ließe sich bei der Bewegungsfreiheit für Ir_innen (im Unterschied zu anderen EU-Bürger_innen) eine Ausnahme machen, und überhaupt wären Schmuggeleien kein Problem bzw. von vornherein keine Schmuggeleien mehr, wenn man im größeren Zusammenhang vernachlässigbaren Handel zwischen Privatpersonen und kleineren Firmen nördlich und südlich der Grenze einfach vom Zoll befreit.

Der ehemalige irische Premier John Bruton versuchte gestern der BBC-Interviewerin Martha Kearney geduldig zu erklären, dass die EU sich, wenn sie dem zustimmte, entweder eines Rechtsbruchs gegenüber der Welthandelsorganisation WTO schuldig machen oder dieselben Ausnahmen sämtlichen Handelspartnern auf der ganzen Welt gewähren müsste. „Aber könnte sich die EU da nicht flexibel zeigen?“, fragte Kearney nach. Genau. Was bedeutet schon internationales Recht unter Nachbarn?

Die Zielrichtung dieser Denke ist absehbar: Wenn Großbritannien nicht seine nordirisch-irische Extrawurst erhält, wird man wieder einmal der Sturheit der EU dafür die Schuld geben. Das mag innenpolitisch durchgehen, ändert aber auch nichts an der praktischen Undurchführbarkeit eines Positionspapiers, das in seinen diffusen Fantasien immerhin eine erhebliche Konzession gegenüber dem bisherigen Standpunkt erhält: Um so eine offene Handhabe der nordirisch-irischen Grenze zum Binnenmarkt zu ermöglichen, zeigt sich Großbritannien bereit, zum Beispiel im Handel mit Lebensmitteln weiterhin EU-Standards zu befolgen.

Was wiederum genau jenem wunderbaren Handelsabkommen mit den USA zuwiderläuft, von dem der International Trade Secretary Liam Fox so gerne tagträumt. Dieses wäre nämlich davon abhängig, dass Großbritannien künftig aus den USA in Europa verbotenes hormonbehandeltes Rindfleisch und mit Chlor gebleichtes Hühnerfleisch importiert. Verteufelt aber auch, warum muss die Welt immer so kompliziert sein?

Die britischen Medien hatten übers Wochenende davon berichtet, dass eine nicht genannte Produktionsfirma in Hollywood an einer 6-teiligen TV-Adaption von The Bad Boys of Brexit, dem Tagebuch des UKIP-Finanziers Arron Banks arbeite, die den Weg der Brexit-Bewegung zum siegreichen Referendum porträtieren soll. Falls das auch stimmen sollte, können einem die Skript-Schreiber_innen schon jetzt nur leid tun. Denn dieser idiotische Plot geht sich nicht einmal im Fernsehen aus, geschweige denn in der Realität.

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