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FM4 Frequency

Die alten Lieder, der neue Beat

Zweite Foto- und Musikrundschau vom FM4 Frequency 2017: HipHop, Placebo, Bilderbuch.

Von Philipp L’heritier

Am Mittwoch darf man wieder einmal sehen, in welchem Segment die Party geht. Die Weekender Stage beim FM4 Frequency Festival steht im Zeichen von HipHop, im Vergleich zum Dienstag hat man die Halle im Zuschauerraum großzügig von Verpackungs- und Transportmaterialen sowie Herumstehkisten freigeräumt, um Platz für mehr Publikum zu haben. Meistens wird es voll.

Der in Berlin ansässige MC mit dem guten Namen Karate Andi hat nicht nur eine interessante Persona anzubieten, sondern auch Wortwitz. Er inszeniert sich als Thriftstore-Crossover aus Trailer-Trash-Proll und ironisierendem Abziehbild des dick auftrumpfenden Rap-Grandposeurs. Es geht bei Karate Andi um die alten Geschichten, um Sex, Bier, Gras und Pulver. “Ich ziehe Koks aus der Arschritze von H.P. Baxxter” - solche Dinge sagt Karate Andi.

Fuchsschwanz und Jeansweste, Parkplatz-Romantik und im Spielautomaten verschenkte Leben. Heinz Strunk und Dendemann auf Jägermeister. Die Musik ist schlank, elastisch muskulös wie dünne, linkische Hipsterboys. Oft am spröden Funk-Minimalismus der frühen Neptunes angelehnt. In seinen Texten droppt Karate Andi beispielswiese den großen Produzenten J. Dilla als Coolness-Referenz.

Er macht das aber - wie so ziemlich alles was er tut - mit dem sympathischen, dreifach um die Ecke gedachten Grinser, der sagt, dass er weiß, dass wir wissen, dass er weiß, dass er so tut, als sei er der größte Checker. Meinen tut er es schon auch.

Kickt und hat Punch, nützt sich halt auch schnell ab, dennoch: Die Popelbremse flattert im Wind. Das Fahren mit einem runtergerockten Mofa als heiliges Lebensgefühl.

Auf Platte waren wir geil

Nach Karate Andi steht kaum weniger als eine Sensation auf dem Programm - auf dem Papier immerhin. Einer der prickelndsten und besten Rapper der Gegenwart ist das: Vince Staples aus North Long Beach, Kalifornien.

Staples Debütalbum “Summer Time’06” aus dem Jahr 2015 ist eine der wichtigsten Hip-Hop-Platten der letzten 10 Jahre: vielschichtig, rough und leicht, tiefschürfend und laid-back, variantenreich ausproduziert, mühelos zusammengehalten von Vince Staples’ Mix aus Partyrap, Rebellion, Widerstand, Politik, Fun und schmerzlicher Introspektive.

Mit seinem heuer erschienen zweiten Album “Big Fish Theory” hat sich Staples mit Unterstützung von Produzenten wie SOPHIE, Jimmy Edgar oder dem allgegenwärtigen australischen Wonderboy Flume verstärkt Richtung Elektronik bewegt - was überraschenderweise ebenfalls meist glückt. Ein Album des Jahres.

Vince Staples

Patrick Wally

HipHop in der Live-Darbietung: Oft kaum mehr als müde Karaokeshow. Bei Vince Staples ist das ebenso, bzw. weniger. Alleine steht Vince Staples im dichten Nebel, kein Beiwerk, Raps laufen vom Band, bisweilen rappt Staples ins Mikrofon, oft bewegt er auch gar nicht die Lippen. Er blickt dem gut befeuerten Publikum ungerührt ins Auge und weiß, dass er der King ist. Die Machtdemonstration des großen Nichts, es macht nichts, Vince Staples hat die Tracks. Performance.

Draußen auf der Main Stage versucht sich die englische Musikerin und Sängerin Birdy mit ihrer Band an Versöhnlicherem. Unter großem Zuspruch. Weihevolles Singer/Songwritertum mit Piano und Violine, dem Schmelz und den großen Gefühlen.

Brav, solides Greinen mit Bedeutsamkeit, es gibt eine Coverversion eines der schönsten Lieder: “Running Up that Hill” von Kate Bush. In dieser Tradition will sich Birdy also sehen, es wurde schon subtiler aufgetragen. Dieses Lied ist hundertmal von hundert Acts gecovert worden - es wird an diesem Abend später noch einmal erklingen.

Party Down

Danach: die junge Wiener Rapschule in der Weekender Stage. Yung Hurn. Sirup-Pop und Nebel-Rap, Drogenmusik, Kunst und Quatsch. Die Halle ist bis an den Rand gefüllt, glücklicherweise aber nicht bis an die Grenzen des Machbaren ausgereizt - draußen wartet noch eine Menschentraube, die das Wiener Flex sprengen könnte. Drinnen: Yung Hurn mit gut 10-köpfiger Posse auf der Bühne, beim Nackte-Oberkörper-Präsentieren und Handtuch-Auf-dem-Kopf-Tragen.

Eurodance und Fanfaren, das Komplette-Sich-Selbst-Spüren und ein Raum in Flammen. Teil einer Jugendbewegung sein. Während also Yung Hurn faul und frech frische Dämpfe im Rap zum Leben erweckt, dabei so tut, als würde er auch nur kaum irgendwas wollen, wird auf der Green Stage das Alte verwaltet. Cypress Hill sind da und, man ahnte es, viele Menschen, die das überprüfen wollen. Es gibt diese Band, damit sie auf Festivals spielt.

Die Schmerzen von früher

Brauchtumpflege mit ein wenig frischem Lack derweil auch drüben auf der Main Stage, mit einem verlässlich auf Festivalbühnen erscheinenden Semi-Headliner. Die englische Band Placebo ist eine missverstandene: Mit dem formelhaften Vorleben einer Outcast-Position hat die Gruppe in ihrer Karriere über 11 Millionen Alben verkauft.

Pose ist gut, bei Placebo aber hat die Pose immer das egozentrische Selbstmitleid herausgearbeitet. “Placebo” ist ein guter Name für die Band Placebo - es gibt nur vorgegaukelte Heilung. “Pure Morning” heißt einer der größten Hits von Placebo; eines ihrer besten Lieder, mit denkbar schlichtem Text: Oftmals brauchen wir die Umarmung und die Hand einer geliebten Person - oder jemand anderer braucht uns. Und wenn dann das Gefühl der Nähe erwacht, kommt vielleicht ein klarer, reiner, purer Morgen? Oder ist doch wieder einmal alles nur Täuschung gewesen?

Placebo

Franz Reiterer

Placebo haben auch einiges richtig gemacht: Die Ideen von Androgynität und dem Sex des Außenseitertums haben sie in vielen Jugendzimmern wieder im großen Stile als Identifikationsmodell zum Leuchten gebracht. Die Konfusion als Option erkennen lernen.

In musikalischer Hinsicht ist das oft ein Unfug gewesen. Den Glam von Marc Bolan, T.Rex und David Bowie saftlos und als bloße Geste in den Alternative Rock der 90er hinübertragen, steil anfixen mit Goth-Trübsal und Heroin-Chic. Musik, zu der man einmal 15 Jahre alt gewesen sein könnte.

Aktuell sind Placebo im Zuge ihres 20-jährigen Band-Jubiläums unterwegs und spielen auf dieser Tour also ein verzweigtes Querschnitts-Set, auch viel altes Material, das sonst bei ihren Shows eher selten zu hören ist. Oder schon länger nicht zu hören gewesen ist.

Im Vergleich zu den Auftritten der Band in den vergangenen Jahren hier haut das heuer gut hin, Chef Brian Molko ist in relativer Feierlaune, Publikumszuspruch. Rockmusik, die Brisanz behauptet, dabei eben bloß liefert. Matte Bilder, kurz funkeln sie rätselhaft, bald erlöschen sie. Manchmal sticht der Schmerz schön.

Der grelle Glam, gut

Nach der Katharsis kommt die Erlösung. Es folgt mittwochnachts als Headliner des FM4 Frequency Festivals die Band, die der Headliner ist.

Der Pomp und der Glamour. Die Band, die bekanntlich in der jüngeren Vergangenheit regelmäßig die großen und größeren Hallen und Areale voll macht. Und das kann das Publikum dann lasziv schocken. Bilderbuch.

Bilderbuch

Patrick Wally

Bilderbuch sind in Österreich - und ein bisschen in Deutschland - so etwas wie die zum geflügelten Wort erstarrte “Most Photographed Barn in America” aus Don DeLillos Roman “White Noise” aus dem Jahr 1985 geworden: Im Buch ist diese meistfotografierte Scheune Amerikas eben vor allen Dingen die meistfotografierte Scheune Amerikas, weil die Leute das wissen, dass sie die meistfotografierte Scheune Amerikas ist - und sie deswegen immer weiter fotografiert wird.

Bilderbuch ist Symbol geworden, da müssen und wollen alle mit, wenn auch bisweilen nur im Mantel der Aura der Gruppe. Bilderbuch sind aber nicht leerer Selbstläufer und eben nicht bloßes Konzept.

“Peitsch mich Baby, ich brauch’ Hits”, heißt es bei Bilderbuch im Stück “I <3 Stress”, der Eröffnungsnummer bei ihrem Auftritt. Auch wenn hier viel Idee und steiles Konstrukt ist - es gibt die Hits.

FM4 Frequency 2017

Mehr zum FM4 Frequency 2017 gibts auf frequency.at und natürlich auch hier bei uns!

Es geht um Moden und Frisuren und darum, den öden Gitarrenboy-Rock mit Elektronik und R’n’B und Funk und Disco anzuficken, neue Türen aufzumachen, um Soundeinfälle und schrilles Design. Es geht auch um Lieder. Um eine Band auf der Höhe der Kunst der Selbstherrlichkeit und des tollen Gockeltums.

Bilderbuch schummeln - und gar nicht mal so heimlich - eine spielerische Obszönität zurück in den Pop. Kein kleiner Verdienst angesichts der ganzen Bodenständigkeit und der klammen Gefühlshuberei, die in der deutschsprachigen Indierock- und Pop-Musik immer wieder gerne ausdrücklich demonstriert werden. Bei Bilderbuch vibriert es und fließt. Strom, Akku, Laden - die richtigen Bilder, die die Elektrizität und die geile Ansteckungsgefahr dieser Gruppe transportieren. Blitzschlag und Reinigung, diese Band weiß, wer sie ist.

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