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Leere Liegestühle am Strand

CC BY 2.0 von Zoltán Vörös flickr.com/94941635@N07/

Ein Leben ohne Urlaub

Allein der Gedanke nicht auf Urlaub fahren zu können, ist für die allermeisten von uns unvorstellbar. Für 15 Prozent der Menschen in Österreich ist das aber Realität, sie können es sich finanziell einfach nicht leisten.

Von Niklas Lercher

Titelbild: CC BY 2.0 von Zoltán Vörös

Wie weit entfernt alleine die Idee eines Urlaubs für Menschen, die in Armut leben, ist, wird einem oder einer schnell bewusst, wenn man Christine S. trifft. Sie bezieht eine Mindestpension und muss mit 844 Euro im Monat auskommen. Bei der Frage, wann die 65-Jährige denn das letzte Mal im Urlaub war, muss sie lange nachdenken. Die Frage muss absurd für sie wirken. „Das war vor 20 Jahren in der Steiermark“, antwortet sie nach einigem Zögern. „Die ganze Zeit barfuß herumgehen, in der Wiese liegen, einfach einen ganz anderen Kontakt zu Natur herzustellen für mich als Stadtmensch. Ein ruhiger schöner Urlaub war das.“

Ihr letzter Urlaub im Ausland ist sogar noch länger her. Anfang der 1980er Jahre war sie in Rom. In Zeiten von Billigflügen sind eigentlich mittlerweile sogar Fernreisen keine Besonderheit mehr. Peking oder New York sind quasi um die Ecke - die Annehmlichkeiten der Globalisierung und des westlichen Lebensstandards.

Natürlich würde sie gerne verreisen, sagt Christine, aber das sei halt finanziell einfach nicht drin. Sie schwimmt sehr gerne, vor allem im Meer. Sie mag das Gefühl vom Salzwasser getragen zu werden, nahezu schwerelos zu sein. Dieses Gefühl hatte sie schon lange nicht mehr. An ihren letzten Strandurlaub kann sie sich nur noch vage erinnern; die schönen Urlaubsmomente sind verblasst nach all den Jahrzenten zu Hause.

Andere Probleme als das nächste Urlaubsziel

Kein Wunder, denn hier in Österreich sieht sie sich mit anderen, existentielleren Problemen konfrontiert, als sich um das nächste Urlaubsziel, Flugverbindungen oder Hotelpreise den Kopf zu zerbrechen. Wie die Miete bezahlen? Wie die Wohnung im Winter heizen? Reicht das Geld dann noch für genügend Essen am Ende des Tages? Das sind die Fragen, die sie beschäftigen.

Armut, die viele von uns bei Reisen in andere Länder gesehen haben, äußert sich hierzulande anders. Christine S. könnte in vielen der Urlaubstraumländer mit ihren 844 Euro Mindestpension ein gutes Leben führen und sich einiges leisten. Hier in Österreich reicht es gerade einmal dafür, über die Runden zu kommen. Armut ist immer auch ein Verhältniswort und im jeweiligen Kontext zu sehen.

Einfach mal abschalten, die Probleme zur Seite schieben, das Handy im Urlaub ausmachen geht für sie nicht. Die Geldsorgen sind omnipräsent, sie machen keinen Urlaub und bestimmen jeden Schritt, jede Entscheidung ihres Alltags. „Ich muss es mir zehn Mal überlegen, wenn Bekannte mich in eine Bar einladen. Ich kann mir es eigentlich nicht leisten, ein einziges Getränk zu bestellen“, erzählt sie. In einem Restaurant etwas zu essen, ist sowieso ausgeschlossen.

Armut hat viele Gesichter

So wie ihr geht es 15 Prozent der Menschen in Österreich. Ob nun alleinerziehende Mütter oder Väter, die nur Teilzeit arbeiten können - dem immer größeren Anteil, der sogenannten „working poor“, also Menschen die Vollzeit arbeiten, aber dennoch so wenig verdienen, dass sie schauen müssen, mit dem Wenigen auszukommen. Menschen, die wegen einer Behinderung arbeitseingeschränkt sind oder aber Arbeitslose.

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EU

Ein großes Tabuthema

Darüber zu reden, wie es ist, sich keinen Urlaub leisten zu können, fällt den meisten Betroffenen schwer. Sie habe damit zu leben gelernt, sich irgendwie arrangiert, meint Christine S. Im alltäglichen Leben werden Betroffene oft daran erinnert, nicht dazuzugehören und von der Gesellschaft vergessen zu werden. Christine erzählt von einer Bekannten, die in Urlaubsgesprächen in der Arbeit daran erinnert wird, nicht verreisen zu können. „ Da geht es dann darum, wo jemand auf Urlaub war und wie viele Sterne das Hotel hatte, wie viele Kilometer der Sandstrand lang war.“

Das Gefühl nicht teilhaben zu können und Sachen zu erleben, die in unserer Gesellschaft fast schon als selbstverständlich gelten, kennen bereits Kinder, die in Armut aufwachsen. In alltäglichen Situationen werden sie zwangsläufig mit ihrer Situation konfrontiert. Zum Beispiel in der Schule nach den langen Sommerferien und der Frage, wo sie denn ihren Urlaub verbracht hätten. „Und die müssen dann sagen: ich war bei der Oma. Im glücklichen Fall ist es die Oma im Waldviertel, wenn er oder sie Pech hat, ist es die Oma in Hernals“, weiß S. aus eigener Erfahrung. Sie ist Mutter von vier mittlerweile erwachsenen Kindern.

Kind am Meer

pixabay

Kinder kennen ihre engste Umgebung nicht

Laut einer Erhebung der österreichischen Armutskonferenz kann nur die Hälfte der Kinder aus einkommensschwachen Familien einmal im Jahr auf Urlaub fahren. Zehn Prozent von ihnen können nicht an kostenpflichtigen Schulaktivitäten wie etwa Ausflügen oder Sprachreisen teilnehmen. „Meine Kinder haben von klein auf gelernt, dass sie Süßigkeiten beim Warten an der Supermarktkasse nicht haben können. Genau so war es mit dem Urlaub“, so Christine S. Sie weiß, was sie da ihren Kindern abverlangte.

Dabei geht es beim Thema Kinder und Urlaub um mehr, als einfach nicht ins Ausland fahren zu können. Es beginnt vor ihrer Haustüre. Viele Kinder und Jugendliche kommen nicht aus ihrem engsten Lebensumfeld raus. Sie wohnen beispielsweise in der Nähe von Wien, waren aber noch nie in ihrem Leben in der Innenstadt. Touristen und Touristinnen kennen sich dort teilweise geographisch besser aus, als unterprivilegierte Kinder und Jugendliche aus den Wiener Randbezirken. Nicht verreisen zu können, heißt für diese jungen Menschen auch eine eingeschränkte Lebenswelt zu haben, aus der sie schwer ausbrechen können.

Christine S. hat sich im Lauf der Zeit damit arrangiert, nicht die Freiheit zu haben, sich zu erholen und neue Dinge kennenzulernen. Für junge Menschen, die in Armut leben, will sie das jedoch nicht akzeptieren: „Die jungen Menschen haben noch einen ganz anderen Anspruch ans Leben. Die sagen zu Recht: das kann doch nicht alles gewesen sein! Junge Menschen, die noch das halbe Leben vor sich haben, haben aus meiner Sicht ein Recht auf Urlaub.“

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