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Buchcover: "Vernon Subutex"

Librairie generale francaise

Endstation Sehnsucht

Zerrüttung, Zerstörung: „Das Leben des Vernon Subutex“ - der neue Roman der französischen Autorin Virginie Despentes schürft tief.

Von Philipp L’heritier

Deutlich ausgestellt erzählt dieses Buch von der Veränderung, von der Transformation. Bisweilen ist es Selbstermächtigung und glamouröser Durchbruch, oft ist es Einbruch und Abstieg.

Manche wandern im Laufe ihres Lebens hinüber ins politisch gegenüberliegende Spektrum. Manchmal geht es nach oben, meistens geht es in Virginie Despentes Roman „Das Leben des Vernon Subutex“ steil nach unten.

Die 1969 im französischen Nancy geborene Autorin ist vor allem für ihren 1993 erschienenen Roman „Baise-Moi“ (zu Deutsch: „Fick mich“) bekannt: Ein Buch das nicht mit der wenig zimperlichen Darstellung von Fleisch und Gewalt geizt.

Despentes Roman „Das Leben des Vernon Subutex“ (im Orginal schlicht: „Vernon Subutex“) ist in Frankreich bereits 2015 veröffentlicht worden und erscheint nun in der Übersetzung von Claudia Steinitz bei Kiepenheuer & Witsch auf Deutsch. Es ist wieder ein Buch geworden, das der Welt kaum verklärende Existenzphilosophie mit auf den Weg gibt.

Ganz tief unten

Das Leben ist hier Fahrstuhl in den Abgrund. Hauptfigur Vernon Subutex ist der große Untergeher. Bloß weiß er das oft und lange Zeit mit Absicht nicht.

Vernon sieht sich gerne als lässigen Checker und Frauenmagnet. Er ist das irgendwann auch einmal gewesen. Solche Sachen denkt er beispielsweise: „Er war der coole Straßenwolf, wild und unabhängig, seine Freunde beneideten ihn um die elegante Lässigkeit, mit der er eine Geschcihte an die andere hängte. Zumindest war das die Vorstellung, die er von sich hatte.“

Mittlerweile ist Vernon Subutex Mitte 40 und pleite. Sein halbes Leben hat er in einem Plattenladen gearbeitet - das funktioniert heutzutage bekanntermaßen nicht mehr ganz so gut. Das Musikbusiness liegt im Argen, die Kohle wird knapp - so wie bei unserem traurigen Antihelden.

Die Freunde von früher sind weggestorben, Krebs, Autounfall, Kokainoverload. Manche sind erwachsen geworden. Vor ein paar Jahren noch da ist bei allen das Haar dicht gewesen, die Körper straff und die Schuhe gut. Heute stehen einem beinahe Fünfzigjährigen die Exzesse von einst nicht mehr so gut zu Gesicht.

Der Plattenladen ist dicht, kein neuer Job in Sicht und das mit dem Arbeitslosengeld geht auch nicht mehr lange gut. Virginie Despentes zeigt den Verfall des Vernon Subutex ohne falsches Schmalz. Subutex ist Meister der Selbstbeschwichtigung und des Verzögerns – euphemistisch nennt er es „Prokrastination“.

Irgenwann fährt er an die Wand, kann die Miete nicht mehr bezahlen: „Erst später, mitten in der Nacht hatte es ihn gepackt. Kurz vor dem Einschlafen durchbohrte ihn ein eisiger Stich. Er musste sich anziehen und rausgehen - durch die Kälte laufen, allein sein, Lichter sehen, Körpern begegnen, in der Bewegung aufgehen und den Boden unter den Füßen spüren. Lebendig sein. Er hatte Mühe, zu atmen.“

Buchcover "Das Leben des Vernon Subutex"

KiWi

Vielköpfiges Sittenbild

Zwar ist Vernon Subutex klarerweise die eindeutige Hauptfigur in „Das Leben des Vernon Subutex“ - es geht Virginie Despentes in ihrem Roman aber um viel mehr als um einen egozentrischen Verwahrlosten, der sich von der Gesellschaft ausgesperrt fühlt.

Die Autorin entwirft hier ein vielstimmiges Wimmelbild, eine kaputte Sozialplastik, die wir für gewöhnlich gerne „Gesellschaftspanorama“ nennen.

Als Vernon Subutex endgültig auf der Straße landet, hangelt er sich mit Notlügen – im Wortsinne – durch die Apartments von einstigen Freunden und schnorrt sich durch. Sein Elend kann er sich aber nicht eingestehen - auch wenn er längst schon Zigarettenstummel von der Straße aufliest.

Die Figur des Vernon Subutex stellt - mal enger, mal loser - die Verbindung zwischen einer Vielzahl von Charakteren her. Weirde Typpinen und Typen, Gestrandete, Verblendete, Verbrauchte.

Wir hören von Pornodartsellerinnen und der Tochter einer Pornodarstellerin, die, als sie vom Beruf der Mutter erfährt, zum Islam konvertiert.

Von Drogendealern, von einem gescheiterten Drehbuchautor, der mit dem Alter rechtsradikal geworden ist und vor lauter Hass auf den Islam zu platzen droht. Von selbstzerstörerischen Rockstars, Journalisten und Türstehern.

It’s a Hard-Knock Life

„Das Leben des Vernon Subutex“ ist ein Buch, das tief schürft, am Abgrund forscht. Es geht um alles. Um Politik und Musik, um Religion, um Party, das Alter und Drogen und Tod.

Virginie Despentes Sprache ist schlank und nüchtern, und selbst obwohl „Das Leben des Vernon Subutex“ voller popkultureller Verweise ist - etliche Bandnamen werden gedroppt, von den Strokes über The Clash zu den Stooges - nicht um lässige Flapsigkeit und Coolness bemüht. Virginie Despentes kennt die Milieus und ihre Codes.

Dieses Buch hat eine kühle, schlichte Eleganz. Es gilt noch einiges zu erkunden in dieser komplizierten Welt: „Das Leben des Vernon Subutex“ ist der erste Teil einer Roman-Trilogie, die in Frankreich schon vollständig erschienen ist, die deutschsprachige Version des zweiten Teils soll Anfang 2018 veröffentlicht werden.

Subutex ist übrigens der Markenname eines Medikaments, eines Betäubungsmittels, das bevorzugt in der Behandlung von Heroinsucht zum Einsatz kommt. Ein Buch als kalter Rausch.

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