FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

The National

Graham MacIndoe

I can’t explain it any other way

Das Ringen nach privater Klarheit, es fühlt sich wie ein Loslassen an: „Sleep Well Beast“ ist das spannendste Album von The National seit ihrem internationalen Durchbruch 2007 mit „The Boxer“.

Von Lisa Schneider

Zuerst die Stille. Die vier Jahre lange Pause von der Öffentlichkeit, die sich The National genommen haben, verlängern sie auf dem Opener-Track „Nobody Else Will Be There“ ihres neuen Albums noch um einen kurzen Wartemoment. Dann dribbeln sie an, das Drumsample, die schwer geschlagenen Pianotasten. Es kann losgehen.

„Sleep Well Beast“ ist das siebte Studioalbum der nun seit 18 Jahren bestehenden Band aus Ohio, Cincinnati, die als Hobby-Projekt neben der Uni in diversen New Yorker Bars und Kellern begonnen hat. Die Fangemeinde hat sich nach und nach gebildet, leise, aber stet. Mittlerweile füllen Matt Berninger, die Zwillinge Aaron und Bryce Dessner und die Brüder Bryan und Scott Devendorf keine Bars mehr, sondern Stadien. Und trotzdem, die erste Nummer-Eins-Platzierung in den US-Billboard-Charts gab es erst jetzt, für die meisterhafte Single „The System Only Dreams In Total Darkness“.

The mid-life

The National sind in ihren 40ern angekommen, sie sind verheiratet, sie haben Kinder. Sie haben Eheprobleme. Davon berichtet Frontmann Matt Berninger, sonst für seine verworrene, metaphernreiche Sprache bekannt, jetzt klar und deutlich. Was er erzählt, schmerzt. Stärker noch mit der Zusatzinformation, dass die Co-Autorin vieler Texte seine Frau Carin Besser war. Schon früher hat sie inhaltlich mitgewirkt und etwa Vocals für einige Songs eingesungen, eine solche Offenlegung ihrer Beziehung hat es bis jetzt nicht gegeben.

„Sleep Well Beast“ ist aber kein Trennungsalbum in Tradition von Bob Dylan, Björk, Amy Winehouse oder auch den Dirty Projectors. Es ist das Gegenteil. Eine Beschwörung der eigenen Fehler und der versuchte Umgang damit. Es geht um das Aufrechterhalten menschlicher Beziehungen, Liebesbeziehungen. Dabei ist es kein grollender Zorn, der nach Außen drängt, es ist ein Kämpfen in und mit sich selbst, im Stillen. Selbstzerfleischung, Genervtsein, vom Partner, vor allem aber auch von sich selbst: „I now it’s not working / I’m no holiday“, singt Berninger im selben Song.

War es besser damals?

Berninger erzählt von der Person, die er war, und dann von der Person, zu der er geworden ist. Und das ist eine andere, als die, in die seine Frau sich damals verliebt hat. Wie soll diese sich auch nicht verändern, ja, untergehen, im stressigen Alltag, mit den Kindern, die zur Schule müssen, in alltäglichen Pflichten. Ein Song heißt „Carin At The Liquor Store“, der Name seiner Frau steht sogar im Titel, aus frühen Zeiten, als noch vieles anders, und alles offen war. Die Gegenwart ist nicht befriedigend. „I don’t’ need you, I don’t need you / besides I barely ever see you anymore / And when I do, it feels like you’re only halfway there“, heißt es resigniert in “Day I Die”.

Erschreckend offen spricht Berninger nicht nur über Gefühlsverlust, sondern auch machoid über seine vielen Möglichkeiten, Groupies immer und überall ins Bett zu kriegen. “Young mothers love me / Even ghosts of girlfriends call from Cleveland / They will meet me anytime, anywhere.”
Er sagt aber, genau das, offen über alles zu sprechen und zu schreiben, hätte seine Ehe gerettet. „Like a marriage is a thing that you have to take care of, and in a band and the relationships of the band is a thing you have to take care of, and if you don’t, it can die, you know? It can get - whatever. It can dry up, you know? And you have to water with all kinds of effort and love and patience and space.”

Cover "Sleep Well Beast" von The National

Caroline International

„Sleep Well Beast“ ist das siebte Studioalbum von The National. Es erscheint via 4AD.

Scream your head off

Dem emotional hoch aufgeladenen Inhalt stellen The National eine neue Selbstsicherheit im Loslassen, eine Zerfransung, ein Ausbrechen entgegen. Sie sind eine Rockband, zur Erinnerung kann man sich dazu etwa „Alligator“ aus dem Jahr 2005 ins Gedächtnis rufen, Matt Berninger sprach über die Songs „Mr. November“ und „Abel“ „as if I was screaming my head off“. Diesen rohen Sound haben The National über die Jahre gegen einen dezenteren gewandelt, was spätestens nach „The Boxer“ feststand.

The National

Graham McIndoe

Vier Jahre sind vergangen, die Brüder Devendorf haben sich gemeinsam mit Musikerkollegen Ben Lanz ihrem Projekt LNZNDRF gewidmet, Matt Berninger war gemeinsam mit Ramona Falls und Menoma-Mitglied Brent Knopf als EL VY im Studio. Vor allem LNZNRF beschäftigt sich mit experimentellem Postpunk, weshalb es wahrscheinlich auch der Einfluss der Devendorf-Brüder war, der dem neuen Album einen gewagteren Anstrich gegeben hat.

The National klingen nach wie vor wie The National, und doch an mancher Stelle anders.„Sleep Well Beast“ will weiter. “I think, it’s still contained and controlled and composed, like in the way that the band I guess is in a way. But just by virtue of like all the push/pull that happens. But I think - yeah, there’s definitely more like fun happening, I guess. At least for us, I mean, even if it’s like a little indulgent for our usual mannerisms.” Gitarrensaiten etwa dürfen da schon einmal wie Sirenen, ja wie schrille TRöten („The System Only Dreams In Total Darkness“) klingen. Atmosphärische Synthesizer-Flächen sind auch neu, und sie passen zu den gewohnten Hymnen. Es gibt diesmal sogar Gitarrensoli zu hören, ausgedehnte sogar. Die Band hat sich die kontrollierte Eleganz von den sonst so streng sitzenden schwarzen Anzügen geklopft.

„Turtleneck“ ist der lauteste Beweis dafür, der beim Hören der Platte am meisten erschreckt. Es ist ein verzweifeltes Geifern nach Mehr, ein Drängen, Berninger nähert sich dem erwähnten Kopfwegschreien, Intonation High-Level. Das wird vor allem live gut zu inszenieren sein, Berninger bekanntermaßen als Rotwein trinkender Dionysos der seine Hymnen zu Anthems großzieht, der den Liveauftritt zu einem spirituellen Erlebnis emporwachsen lässt. Von ähnlicher Intensität, aber anders, ist das erwähnte „Day I Die“, sofort setzen die grummelnden, nervös-zuckenden Drums ein, sodass alles nur noch wackelt, die Welt ist nicht mehr dieselbe, immer weiter, weiter. Und er reitet bis zum Ende: „The day I die, the day I die, where will we be?“ Da ist es wieder, das versöhnliche we, denn am Schluss rauft man sich zusammen und ist nicht allein, sondern zu zweit. Wenn du stirbst, werde ich da sein.

Aktuell: