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„Ich bin der universale Dilettant“

Holger Czukay, Bassist von Can und moderner Soundpionier ist tot.

Von Boris Jordan

Wie erst heute bekannt wurde, ist der deutsche Musiker Holger Czukay diese Woche in seinem Studio tot aufgefunden worden. Dem Vernehmen nach war er bereits seit einigen Tagen dort gelegen, weshalb nun die Kriminalpolizei wegen der Todesursache ermittelt. Czukay war 79 Jahre alt.

Denjenigen, die jetzt „Holger-Wer?“ murmeln, sei verziehen. Immerhin war Holger Czukay lange Zeit nur einer kleinen Spezialistengruppe von Musikern bekannt gewesen: Als Bassist und Sounddoktor der deutschen Avantgarde Band Can, als einer der Pioniere von Studiotüftelei und Sampling, als Mitentdecker von einem unrockistischen Sounduniversum, das auch Vorreiter von „World Music“ und „Ambient“ gelten könnte.

Zu dieser Spezialistengruppe von Can-Verehrern darf man mehrere Generationen von MusikerInnen zählen, darunter Mark Hollis von Talk Talk, David Sylvain von Japan, John Lydon und Jah Wobble von Public Image Limited (die vor allem Czukay einiges verdanken), The Edge von U2, Brian Eno und David Bowie (der jedoch immer in Interviews den Kollegen von „NEU!“ den Vorzug gegeben hatte), Johnny Greenwood von Radiohead, praktisch die gesamte Chicagoer Post-Rock Szene und den Krautrockfanatiker Julian Cope. Zu den jeweiligen Zeiten, als diese Musiker ihre Versionen von „möglichem Avantgarde-Pop“ aushirnten, war Can fast immer als hysterisch-verdrogte, schlecht riechende Hippiemusik verschrien. Jede Generation muss diese in jeder Hinsicht unkonventionelle Band neu entdecken. Neben Cluster, Faust und „NEU!“ sind Can die einzige Krautrockband, die die pillenfresende Land-WG-Hippiezeit gut überstanden hat, und neben Kraftwerk (die beim besten Willen nicht Krautrock sind) bleiben sie der bedeutendste Deutsche Beitrag zur Popgeschichte.

Holger Czukay beim Bass Spielen

WDR/Youtube

Als ich als Halbwüchsiger meine Sixties-Eltern mit ungewöhnlicher Musik aus den Sixties gerne provozierte (sie hatten etwa von Velvet Underground noch nichts gehört gehabt) schleppte ich ein Doppelalbum namens „Cannibalism“ nach Hause, auf dem eine gezeichnete Fischdose die Hauptreferenz darstellte. Für Dire Straits-gewohnte Ohren war das erstmal Lärm. Musik, wie von ungezogenen Kindern, die ihre Eltern ärgern wollten – also genau das Richtige. Doch meine Eltern – nicht blöd – konnten meine Avantgarde-Arroganz hier leicht dämpfen: Eine der Nummern sei in ihrer Jugend in jeder Provinzdisco gelaufen. Tatsächlich hatten Can mit „Spoon“ in ihrer Hochzeit sogar Platz Sechs der deutschen Single-Charts erreicht, die Nummer war die Titelmusik eines der „Straßenfeger“ der Siebziger Jahre, des Fernsehkrimis „Das Messer“. Wie es ein so gieksig-hysterisches, gemütlich rumpelndes, psychedelisches Mantra von Song in den Mainstream geschafft hat, bleibt eines der Mysterien dieses an musikalischen Mysterien nicht eben armen Jahrzehnts.

Holger Czukay war der Architekt hinter Can. Nach dem Erfolg von „Spoon“ kaufte er ein altes Kino, stellte es mit Studio-Equipment voll und die nächsten Jahre sollte die Band dort leben, Kommune spielen und vor allem stundenlang über avantgardistischen Skalen improvisieren. Obwohl Teile der Can-Musik klingen, als würden die Musiker noch üben müssen, tighter zu werden, war ihr holpriger Proberaum-Sound das Ergebnis von sehr bewussten, musiktheoretischen Konzepten - und dem Versuch, sich von all dem zu befreien.

Sie alle hatten bei Karl-Heinz Stockhausen studiert, sich durch sämtliche Spielarten der Moderne, von serieller Musik bis Free Jazz, gehört und gespielt. Geführt vom Keyboarder und Theoretiker Irmin Schmidt (dem letzten noch lebenden Can-Mitglied) setzte man es sich zum Ziel, möglichst jedes theoretische Korsett abzulegen und in eine Art frühkindliche musikalische Unmittelbarkeit zu verfallen, zu „Universalen musikalischen Dilettanten“ (Czukay in einem Interview) zu werden. Dazu bediente man sich (hier kommt die Avantgarde) endloser Wiederholungen, das komplexe Metrum noch komplexer umspielender, unrockiger Drums, vokalakrobatischer Improvisationen und außermusikalischer, elektronischer Geräusche. Zum Eindruck von inselhafter Entrücktheit hatte – neben dem immer noch schwer zu verdauenden, zum Teil satanisch klingenden Gekreische von Damo Suzuki – vor allem Czukays seltsame Soundvision beigetragen. Teilweise hatte er die Improvisationen seiner Band heimlich mitgeschnitten und dann in einem Editingverfahren zu Songs (oder was er dafür hielt) zusammengeklebt – eine frühe Variante der Loop Technik und des Sampling, der er den schönen Kraut Namen „Radiomalerei“ gegeben hatte. Czukay war es auch, der Damo Suzuki ein Mantra von Aleister Crowley brüllen ließ („Augumn“), heimlich Alltagsgeräusche in die Musik montierte und die zweitgefälligste Can-Nummer auf eine ganze Plattenseite ausdehnte („Yoo Doo Right“).

Später, als Can sich immer mehr von Songstrukturen in Richtung Abgedrehtheit entwickelten, konnten Czukays und Schmidts minimal verändernde „Soundscapes“ durchaus - zusammen mit dem Eno dieser Zeit - als frühe „Ambient Music“ durchgehen.

Um sich vorstellen zu könne, welche Fassungslosigkeit die Czukay’sche Soundwelt selbst in den künstlerisch so offenen Siebziger Jahren auslösen konnte, sollte man sich diese Aufnahme von 1970 ansehen: Selten hat man ein aufnahmewilligeres Publikum schöner an einer unverständlichen Musik scheitern gesehen:

Nach dem Split von Can machte sich Holger Czukay vor allem als Soundtüftler einen Namen. Er baute das erwähnte Can-Studio zu einem der wertvollsten Sammlungen analoger Röhren- Studiotechnik der Welt aus. Seine musikalische Neugier und Unkonventionalität ließ ihn nicht nur mit seinen Fans (Edge von U2, Jah Wobble, David Syvain oder dem Disco Pionier Francois Kevorkian) arbeiten, sondern auch die - bei genauerem Hören nicht so weit weg liegenden – Trio produzieren.

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