FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Bilder von der Ars Electronica: der "Kissenger"

Christian Stipkovits

ars electronica

Artificial Intimacy auf der Ars Electronica

„Artificial Intimacy“ heißt jener Teilbereich der Ars Electronica, den man hinter dicken, schwarzen Vorhängen versteckt. Was sich dahinter verbirgt, erfahrt ihr hier.

Von Daniel Grabner

„No entry under 18 years“ warnt eine Tafel vor der Ausstellung „Artificial Intimacy“, am Eingang hindern schwarze Vorhänge daran, dass man ins dunkle Innere des separierten Ausstellungsraums schauen kann. Es stellt sich die Frage, warum hier Schlüpfrigkeit und Verbotenes suggeriert werden will, auf einer Ausstellung, die sich üblicherweise unverstellt und aufgeklärt mit ihren Themen beschäftigt. Hinter den Vorhängen befindet sich ein circa 70m2 großer, abgedunkelter Raum, in dem eine Handvoll Aussteller ihre Werke präsentieren. „Was bedeutet Intimität im technologischen Zeitalter? Wie werden zukünftige Generationen ihre Sexualität entdecken und ausleben? Ist Intimität ohne Menschlichkeit überhaupt denkbar?“ Das sind die Fragen, die die Ausstellung stellt.

Bilder von der Ars Electronica: Der Eingang zu "Artificial Intimacy"

Christian Stipkovits

Sexpuppe Samantha

Die Besucher im Ausstellungsraum stehen flüsternd vor den Installationen und Objekten, die zwischen Kunstwerk und erotischem Utensil angesiedelt sind. Die Künstler und Aussteller sind hier selten zu sehen. Nur der spanische Ingenieur Sergi Santos klärt mit kräftiger Stimme Besucher über seine Sexpuppe „Samantha“ auf. Die lebensgroße Puppe sitzt mit starrem Blick und halb geöffnetem Mund auf einer Couch in der Mitte des Raumes. Samantha sieht aus wie die groteske Überzeichnung des Klischee einer Pornodarstellerin aus den 90ern: Riesiger Busen, Wespentaille, Botoxlippen. Für rund 4.000 Euro kann man die Puppe, die verbal mittels Sprachsoftware auf Berührungen und Ansprache reagiert, kaufen.

Bilder von der Ars Electronica: die Sexpuppe

Christian Stipkovits

Das Luststück „Almost There.“

Definitiv mehr Kunstwerk als Ware ist das Musikstück des Australiers Todd Anderson-Kunert. Repräsentiert durch eine Plastiktulpe, an die ein USB-Stick mit dem vierzehnminütigen, elektronischen Track „Almost There.“ gebunden ist. Auf dem Track sind die Stimmen von zehn Teilnehmern verschiedenen Geschlechts und sexueller Orientierung zu hören. Über einen Zeitraum von zwei Jahren haben sie mit speziellen Vibratoren masturbiert. Die Vibratoren pulsierten dabei im Takt einer Instrumentalversion von Anderson-Kunerts Stück, das sich die Teilnehmer während des Masturbierens anhörten. Dabei zeichneten sie ihre Stimmen auf, die der Künstler anschließend unter das Instrumentalstück mischte.

Bei „Almost There.“ wird sexuelles Vergnügen in seiner Dynamik von Ursache und Wirkung, in seiner Vergänglichkeit festgehalten und dadurch ganz nebenbei selbst zum erotischen Produkt. Denn der/die HörerIn hört wissentlich beides: den Auslöser und die Äußerung von sexuellem Vergnügen. Die Vorstellung, die mit dem Wissen um das Stück im Kopf entsteht, ist Porno. Anders aber als in der Pornografie, wo die Bildebene der Fantasie viel vorwegnimmt, ideologiebehaftet und immer auch politisch ist, schaffte es Anderson-Kunert ein direktes und unvermitteltes, erotisches Produkt zu erzeugen. Ein Kunstwerk.

Mit Kautschuk schmusen

Ein junges Paar probiert den „Kissenger“ aus. Beide halten ein Smartphone mit einem Aufsatz mit hautfarbener, leicht angerauter Fläche zum Mund. Ihre Lippen berühren die Fläche, während sie auf dem Display den jeweils anderen sehen. Der Kissenger ist das Projekt der malaysischen Forscherin Emma Yann Zhang. Ein Gadget, das es möglich machen soll, einen Kuss in Echtzeit zu verschicken. Mehrere Sensoren unter der hautfarbenen Kautschukfläche messen den Druck, den die Lippen ausüben. Die Daten werden dann über das Internet an den Partner übertragen, wo Linear-Motoren das gleiche Ausmaß an Druck reproduzieren. „Total komisches Gefühl, nicht so intensiv, hat sich nicht so echt angefühlt“, resümiert das Paar.

Bilder von der Ars Electronica: der "Kissenger"

Christian Stipkovits

Von Emma Yang Zhangs „Kissenger“ existieren derzeit nur Prototypen. Kleiner und handlicher soll der „Kissenger“ noch werden, um vielleicht auch in einer Hosentasche Platz zu haben. Die Sorge mancher, dass uns Erfindungen wie der „Kissenger“ von anderen Menschen isolieren könnten, kann Emma Yann Zhang nicht teilen. Im Gegenteil, sie hat beobachtet, dass das „digitale Küssen“, wie sie es nennt, dabei hilft, Scheu vor körperlichem Kontakt abzubauen. So küssten sich schon gleichgeschlechtliche Freunde oder Menschen, die sich nicht kannten, mit dem „Kissenger“. Die häufigsten Kaufanfragen bekommt Emma Yang Zhangs von Paaren, die in einer Fernbeziehung leben. Da scheint es nicht gerade zufällig zu sein, dass sich das junge Paar nach dem Testen vorstellen kann, einen Kissenger zu benutzen. „Da wir rund 1.000 Kilometer voneinander getrennt leben, ist das durchaus vorstellbar, aber am Material müssten sie noch etwas verändern. Damit es sich noch echter anfühlt.“

Weitere Austellungsobjekte der „Artificial Intimacy“:

Machine Learning Porn von Jake Elwes

Ein Algorithmus, der mit Pornografie „gefüttert“ wird, versucht selbst pornografische Bilder herzustellen. Ermöglicht einen nüchternen Blick auf das blanke, visuelle Material, das uns erregt.

Machine Learning Porn from Jake Elwes on Vimeo.

End Of Life - Care Maschine

Der „Last Moment Robot“ erkennt eine sterbende Person und beginnt sich um sie zu kümmern. Er verfügt über einen weichen Arm, der streicheln kann. Kann eine sanfte Berührung auch als solche empfunden werden, wenn sie von einer Maschine kommt?

Sich zukünftige, artifizielle Intimität vorzustellen, ist ein spannendes Gedankenexperiment und wirft uns zwangsläufig auf uns selbst und die Beschaffenheit unserer eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte zurück. Drinnen im dunklen Separee der „Artificial Intimacy“ hätte man also getrost das Licht anmanchen können.

Aktuell: