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Der Cast aus SKAM

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The kids are all right

In der norwegischen Erfolgsserie SKAM nimmt uns eine Handvoll Teenager mit in ihre Welt, die auch die unsere ist.

von Christian Pausch

Eva, Sana, Chris, Noora und Vilde - diese fünf Mädchen sehen sich, wie könnte es anders sein, als Außenseiterinnen ihrer Highschool. Eva hat sich mit den Cool Kids zerstritten, Sana ist Muslimin, Chris ist dick, Noora ist neu an der Schule und Vilde ist super naiv. Zumindest sind das die Oberflächen, die im Laufe der norwegischen Serie SKAM unentwegt aufgebrochen werden.

Die Serie besticht aber nicht nur durch ihre fünf Hauptcharaktere, sondern auch durch ihre quirky Nebenrollen. Da wäre zum Beispiel Eskild, der schwule Mitbewohner von Noora, der ganz klischeehaft eine lustige Klamauk-Rolle spielen muss, aber dann in einem unerwarteten Moment eine der wohl bedeutendsten Brandreden aller vier Staffeln hält. Mit den beiden lebt auch noch Linn, die oft für die Länge einer Staffel ihr Zimmer kein einziges Mal verlässt, und dennoch ein geheimer Liebling der weltweiten Fans geworden ist.

Das hat auch Jamilla geschafft, die Erzfeindin Sanas, die erst in der letzten Staffel zu Wort kommt und zuvor immer nur in Zeitlupe und von schweren HipHop-Beats begleitet über den Schulhof marschiert. Und dann ist da noch die Schulärztin, die pro Staffel mindestens einen heiß ersehnten Auftritt hat, ist sie doch der verrückteste und abgeklärteste Charakter der ganzen Show. Auch bei SKAM gilt also meine ungeschriebene Regel für alles Filmische: gut durchdachte Nebencharaktere bedeutet gut durchdachtes Endprodukt.

Weltweiter Erfolg

Dass die Serie weltweit großen Anklang findet, zeigen Download-Zahlen und Einschaltquoten, aber auch ein Blick ins Internet. Die Fanseiten rund um den Globus häufen sich: von Skam Italia, über SKAM Polska, bis hin zu Portal Skam Brasil mit jeweils einer beachtlichen Follower*innen-Anzahl und einem enormen Output an Fan-Art.

Bilder aus der Serie "SKAM"

NRK

Den Erfolg der Serie hat nicht nur die gut erzählte Story selbst vorangetrieben, sondern auch der mehr als experimentierfreudige Umgang von Serienmacher*innen und Darsteller*innen mit Social Media. Jeder Charakter hatte beispielsweise sein eigenes Instagram-Profil, das durchgehend bespielt wurde, auch an Tagen, an denen die Serie nicht lief. So konnte man nicht nur den Schauspieler*innen folgen, sondern auch ihren dargestellten Charakteren.

Feministisch, stark, authentisch

In SKAM wird einem nichts aufdoktriniert. Zweifel und Ambivalenzen sind an der Tagesordnung bei den jugendlichen Protagonist*innen, und die darf und soll es auch geben. Es ist eine Freude, dabei zuzusehen, wie sich die Teenager durch ihre vielen kleinen Unterschiedlichkeiten kämpfen, sich gegenseitig blockieren, aber auch unterstützen.

SKAM hat einen Nerv getroffen, und zwar mit Themen, vor denen andere Serienmacher*innen oft zurückschrecken, aus Angst zu speziell zu sein. Dabei sind das alles Themen aus dem Alltag junger Menschen, die es verdient haben eine realistische Darstellung zu erfahren: Mental Illness, Esstörungen, Depression, Bullying, Homophobie, Chauvinismus, Xeno- und Islamophobie sind nur ein paar der Themenkomplexe mit denen sich SKAM in vier Staffeln auseinandersetzt.

Außerdem ist SKAM eine zutiefst feministische Serie, die zeigt wo Feminismus und das Bewusstsein für Gleichwertigkeit im allerbesten Fall schon starten sollte: im Highschool-Alter, wenn nicht sogar davor. Dass das nicht nur an der elitären Hartvig-Nissen-Schule in Oslo funktioniert, wo die Serie spielt, sondern dass das auch in einer Hauptschule in Wien-Floridsdorf möglich ist, will ich gerne glauben.

Bilder aus der Serie "SKAM"

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Die fünf Hauptdarstellerinnen Lisa Teige, Josefine Frida Pettersen, Ulrikke Falch, Ina Svenningsdal und Iman Meskini

Der Soundtrack

Dass die Macher*innen von SKAM auch passionierte Musik-Konsument*innen sind, wird schon in den ersten Folgen klar und hält sich auch bis zum Ende der Serie konstant auf einem großartigen Level. So viel „shazamed“ wie bei SKAM habe ich bei einer Serie noch nie, was dazu geführt hat, dass ich nun Experte der norwegischen HipHop-Szene bin, deren Song-Inhalte aber leider oft nicht so offen sind, wie der Rest der Serie.

Der schönste Musik-Moment (Spoiler-Alert!) ist vielleicht in Staffel 3, als der frisch geoutete homosexuelle Protagonist Isak mit den christlichen Eltern zu einem Weihnachtskonzert gehen muss. Dort singt nämlich nicht der altbackene Kirchenchor, sondern der queere Ausnahme-Künstler Nils Bech hat einen Cameo-Auftritt. Während seines Falsett-Gesangs werden nicht nur die Herzen der Eltern erweicht, sondern auch Isak weiß plötzlich, wohin sein Weg ihn führen soll. Kunst als Rettung, so wie SKAM selbst wohl viele Jugendliche gerettet hat.

Der Norweger Nils Bech singt die schwedische Version von "Oh Holy Night". Erst wenn man die Serie gesehen hat, wird aus diesem puren Kitsch pure Schönheit.

„You are not alone“

Die vier Worte, die Isak seinem Boyfriend ins Ohr flüstert, sind die Worte die wir alle brauchen. Sie sind das Überthema von SKAM. Solidarität unter jungen Menschen über alle Gesellschaftsschichten, Religionen, Sexualitäten und kulturellen Hintergründe hinweg.

Dass uns diese optimistische Botschaft ausgerechnet aus Norwegen erreicht, gibt Hoffnung. Denn es ist das gleiche Land in dem vor sechs Jahren ein weißer Rassist siebenundsiebzig Menschen, davon neunundsechzig Jugendliche, in der Innenstadt von Oslo und auf der naheliegenden Insel Utøya kaltblütig ermordet hat.

Dass Hass nicht immer noch mehr Hass erzeugt, zeigt SKAM auf beeindruckend unaufgeregte Weise. „Love spreads“ sind die letzten Worte, die in der Serie gesprochen werden. Wir sind nicht allein, wir sind viele.

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