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Junge Menschen spielen alte Computerspiele

Copyright: Computerspielemuseum/Philipp Kuelker

Das Spiel ist aus!

Anlässlich 20 Jahre Computerspielemuseum Berlin habe ich mich mit Museumsdirektor Andreas Lange zum Gespräch getroffen. Es geht um Vergangenheit und Zukunft von Computerspielen – und wie das Wissen um Mechanismen von Belohnung und Abhängigkeit aus den Spielen in die Welt hinaus getragen wurde.

Von Felix Knoke

Das Computerspielemuseum in Berlin ist 20 Jahre alt geworden. Ich habe mich mit Museumsdirektor Andreas Lange getroffen, um von ihm zu erfahren, warum man Computerspiele überhaupt ausstellen soll. Vor allem aber wollte ich mit ihm über die Jubiläumstagung „Kulturgut Computerspiel“ sprechen. Ich dachte mir, dass es eine interessante Frage sein könnte, wie man Computerspiele als Kulturgut diskutieren kann, ohne die leidige Diskussion „Sind Computerspiele Kunst?“ zu führen. Es kam ein wenig anders - vor allem ging mir im Gespräch eine Sache auf, die ich hier unbedingt loswerden will.

Verwertbarkeit herstellen

Andreas Lange sagt: Computerspiele reflektieren die Gegenwart, erzählen etwas über die Vergangenheit und beeinflussen unseren Umgang mit Technik. Wenn das nicht systematisch gesammelt, analysiert und für die Zukunft haltbar gemacht wird, geht wichtiges Wissen verloren.

Was Lange, recht ausführlich, zur Wichtigkeit der Anerkennung von Computerspielen als Kulturgut zu sagen hatte, könnt ihr im Interview hören:

Interview mit Andreas Lange - 20 Jahre Computerspielemuseum

Damit sich das Computerspiel weiterentwickelt und nicht im Kreis dreht, muss die Vergangenheit überwunden werden. Das geht nur, wenn man sie versteht und das so gewonnene Wissen in die zukünftige Produktion einspeisen kann. Das ist banal. Aber bei Computerspielen muss diese Verwertbarkeit aufwändig hergestellt werden: Bücher, Musik und Filme können meist auch Jahrzehnte nach ihrer Produktion noch mühelos konsumiert werden. Bei Computerspielen geht das oft schon nach ein paar Jahren nicht mehr.

Sein für mich bestes Argument: Ohne Museen wie seines, die alte Hard- und Software konservieren, Spiele durch wissenschaftliche und archivarische Aufarbeitung verwertbar machen, müssen künftige SpieleentwicklerInnen und -forscherInnen immer wieder beim jeweiligen Status Quo anfangen. Und so kommt es, dass in einer Retrowelle nach der anderen feststellbar wird, wie eingefahren das Computerspiel ist: Inhaltliche und spielmechanische Neuerungen gibt es allzu wenige. Es gibt vor allem Verbesserungen, der Spielmotor läuft besser geschmiert.

Diese Erzählung ist natürlich nur vollständig, wenn man den Ressourcenaufwand bei der Spieleentwicklung in die Analyse miteinbezieht: Computerspiele unterliegen einem besonderen wirtschaftlichen Druck, erfolgreich zu sein und deswegen nicht zu sehr von bewährten Methoden abzuweichen.

Ein junger Mann vor einem alten Spiel namens "Poly Play"

Copyright: Computerspielemuseum/Jörg Metzner

Dunkle Spielgeheimnisse

Als ich so mit Andreas Lange diskutierte, fiel es mir plötzlich auf: Natürlich gibt es eine enorme Innovation, die aus den Spielen entstanden ist. Etwas, das das Spielen verändert und mit ihm die Welt. Es ist das Verständnis über das Spielen selbst - und das ist ein geradezu dunkles Wissen.

Das Größte, das SpieleentwicklerInnen in den letzten 40 Jahren Computerspiel hervorgebracht haben, ist das Wissen, wie man Unterhaltung geradezu mechanisch herstellt, wie man die Aufmerksamkeit eines Menschen über spielerische Elemente fesselt, Abhängigkeit herstellt und so die Selbstkontrolle aushebelt. Wer Freemium-Spiele, Geldspielautomaten oder Grinding-Games spielt, kennt das allzu gut - und auch, wie gut es funktioniert.

Für mich steht das Konzept der Compulsion Loop, also des Kreislaufes aus Herausforderung, Belohnung und dadurch bewältigbaren neuen Herausforderungen als Sinnbild dieser Entwicklung. Es ist die Essenz des Spiels - und, wie mich Andreas Lange hinweist, dessen Perversion. Denn er sagt sehr richtig, dass das Spiel immer schon ein geschützter Raum war. Im Spiel sind Dinge erlaubt und möglich, weil sie eben nur innerhalb des Systems Spiel Wirkung haben. Man kann etwas riskieren, ohne etwas zu riskieren. Nutzt ein Spiel aber nun diese neu identifizierten Mechanismen, um Spieler abhängig zu machen und von ihnen Geld geradezu zu erpressen (Geld gegen Spaß, den das Spiel strategisch zurückhält), dann ist das kein Spiel mehr im klassischen Sinne. Das Spiel hat Konsequenzen, die Schutzzone ist durchbrochen.

Weil man aber - zumindest derzeit noch - nicht auf diese Tricks vorbereitet ist, die tief im neurologischen Belohnungssystem verankert sind (oder sein sollen), ist man ihnen ausgeliefert. Und übrigens die SpieldesignerInnen auch: Gerade die Compulsion Loop ist so einfach zu verstehen und funktioniert so gut, dass man das Wissen um sie nicht rückgängig machen kann. Wer ein packendes Spiel gestalten will, muss sie einsetzen. Wer auf ihren Mechanismus verzichtet, gestaltet ein objektiv weniger packendes Spiel, egal ob das jetzt aus der Indie-Ecke oder von den großen Spieleverlagen kommt.

Detail einer alten Spielkonsole

Copyright: Computerspielemuseum/Foto: Jörg Metzner

Spiele am Ende

Für mich war das ein Paukenschlag: Kann sein, dass die Wirksamkeit solcher Tricks nachlässt. Aber längst geht es ja nicht nur mehr um die Sphäre des Spiels, in die eine Welt mit Konsequenzen eindringt. Sondern das Spiel kolonisiert Bereiche der Welt, in denen Spiel-Mechanismen eingesetzt werden können, um Motivationen und Abhängigkeit herzustellen. Plötzlich ist man nicht mehr vor Spielen sicher!

Ich glaube, dass sich die Spieleszene mit ihrem Wunsch nach Anerkennung und der daraus folgenden Akademisierung ihr eigenes Grab geschaufelt hat. Und so erscheint mir mit etwas Abstand auch die Ausstellung des Computerspielemuseums als nostalgischer Traum, eine Erinnerung an eine Zeit, in der Spiele noch nicht viel über sich wussten und frei waren.

Als das Computerspielemuseum 1997 eröffnete, waren kommerzielle Computerspiele gerade zwanzig Jahre alt. Die ersten SpielerInnen waren alt genug, um sich für ihr Hobby Videospiel vor einer äußerlich spielfeindlichen Gesellschaft rechtfertigen zu müssen. Sie taten es über Akademisierung, Popularisierung, Kommerzialisierung und auch über die Musealisierung: alles Strategien der Anerkennung. Hätten sie doch einfach nur gespielt.

Ein Kopf vor einem alten Computerspiel

Computerspielemuseum

Umso mehr bin ich mit Andreas Langes Ansatz für sein Computerspielemuseum einverstanden. Es ist ein populistisches Museum. Man soll dort Spaß haben. Das Nachdenken über Spiele kann an anderen Orten und zu anderen Zeiten passieren. Und vielleicht ist das ja auch eine Erfahrung, die man nur noch in seinem Museum haben kann. Ich stelle mir Handyspiel-verseuchte Jugendliche vor, die nichts anderes mehr als durchgamifizierte, In-App-monetarisierende Grinding-Wettbewerbe kennen. Und die dann vor einem uralten Spiel stehen, das alles falsch macht, für das man sich begeistern muss, weil es das nicht selbst tut, zu dem man sich zwingen muss, weil es einen nicht lockt und das irgendwann einfach zu Ende ist - und vor allem: Nichts von einem will.

Verrückt, dass man sich so etwas von einem Spiel wünschen kann.

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