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Marcel Koller

APA/ROBERT JAEGER

Nationalteam

Das starke und das schwache Fundament

Teil 1 einer morgen und übermorgen fortgesetzten Trilogie über Glanz und Elend des ÖFB.

von Martin Blumenau

Ärger ist kein guter Ratgeber.
Weshalb ich dann besser weder das Serbien-Spiel am Freitag noch die Schöttel-Vorstellungs-PK am Samstag begleitet habe, textlich. Sondern bis zum Spiel in Chișinău zuwarten möchte. Um danach die letzte Koller-Vorstellung aufzuarbeiten und anschließend die Konsequenzen, die der ÖFB gezogen hat, zu analysieren.

Davor, als quasi 1. Teil dieser Trilogie, hier ein Text, den ich am 1. Oktober (bei Prtintmedien gibts halt einen Redaktionsschluss...) für den am Donnerstag erscheinenden Ballesterer geschrieben habe. Auftrag: eine Bilanz der Koller-Ära.

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

Mitgeschwungen ist da bereits (auch wenn da angeblich noch nix fix war) auch das nahend-drohende Ende der Ära Ruttensteiner. Treppenwitz am Rande: dass der in diesem Text angesprochene Mut zum Experiment just im Serbien-Spiel am 6. 10. plötzlich vorhanden war.

Der Ballerster hat den Text leicht bearbeitet, Das starke und das schwache Fundament genannt, und ihm folgenden Vorspann gegeben: „Marcel Kollers Zeit als Teamchef geht zu Ende. Doch der Weg, den er mit Unterstützung von Sportdirektor Willibald Ruttensteiner eingeschlagen hat, war richtig.“


"Die erstmalige Euro-Qualifikation ist ausschließlich Marcel Koller zu verdanken.“ Diesen meinen euphorischen Satz vom 9. September 2015 hat Armin Wolf am selben Abend in der ZiB2 dem lächelnden Koller vorzitiert. Und er stimmt auch heute noch, wo der ÖFB-Teamchef, auch rückwirkend, kritisch hinterfragt wird, in diesen freudlosen Tagen der Dämmerung, den letzten seiner Amtszeit. Der Satz stimmt, weil ihm damals ein zweiter, erläuternder folgte: „Genauer: seiner (damals verfemten, hochumstrittenen) Bestellung.“

Es war diese Richtungsentscheidung, die den Weg freigemacht hat für eine der aufregendsten Phasen der österreichischen Fußball-Geschichte der Neuzeit, freigemacht für frischen Wind von außen, für einen einziehenden Professionalismus und freigemacht vom alten Denken, der permanenten Rücksichtnahme auf Seilschaften, Strukturzwänge, Medienkonstellationen und andere in sinnbefreiter Folklore erstarrte Traditionen. Diese an sich selbstverständlichen Freiheiten nahm sich Koller, und er konnte das, weil ihm der Rücken freigehalten wurde, vor allem von demjenigen, der seine Bestellung geplant, vorangetrieben und umgesetzt hatte: Willibald Ruttensteiner, der Sportdirektor des ÖFB.

Koller brachte etwas mit aus der Welt des außerhalb Österreichs selbstverständlichen Profi-Fußballs: die Gegenwart zog ein ins durch veraltete Ansätze und Weiterbildungsresistenz verseuchte Hinterwald-Notstandsgebiet Österreich. Aktuelle Trainingsmethoden ebenso wie gezielte Vorbereitung (Stichwort: Gegneranalyse), die Menschen ins Zentrum stellende Teambuilding-Maßnahmen jenseits der affirmationsbeschränkten „Motivations“-Kultur Krankl‘scher Prägung und vor allem den Aufbau einer bis dorthin unbekannten spielerischen Philosophie. Das ist/war alles keine Zauberei, sondern international übliche Grundlagen. Und da sich gerade eine Spielergeneration entwickelte, die diese Arbeit bei ihren zunehmend besserklassigen ausländischen Arbeitgebern/Vereine kannte und auch im Team erwartete und bei Kollers Vorgängern eben nicht bekommen hatte und den Schritt in die Moderne deshalb willig annahm, zeigten sich schnell Erfolge.

Schon die WM-Quali-Campaign 2012/13 bot erfrischende Ansätze, danach gelang der A-Nationalmannschaft in der EM-Qualifikations-Phase von 2014&15 der Durchbruch aufs nächste Level: man war konkurrenzfähig geworden, auf Augenhöhe unterwegs. Ein Traum wurde wahr.

Ich darf hier unterbrechen; und ins Jahr von Kollers Inthronisation zurückkehren: 2011. Bereits im Februar brachte Ruttensteiner das Nationale Frauenzentrum in St.Pölten auf den Weg. Wenige Wochen später übernahm der dort als Leiter und als U17-Teamchef vorgesehene Dominik auch die A-Nationalmannschaft. Dieser Startschuss brachte all das auf den Weg, was im holländischen Sommermärchen der Frauen-EM mündete.
Ein Märchen, das den Herren verwehrt blieb.

Ich meine, das ist kein Zufall.
Denn es gibt einige entscheidende Unterschiede zu den Herren: die von Ruttensteiner installierten Strukturen und basics sind zu stark, der eingeschlagene Weg von Nationalteam, Liga und Ausbildungszentrum unumkehrbar; es sei denn der Komet schlägt ein. Wenn die Frauen in der nächsten WM-Quali schwächeln, dann wird Thalhammer vielleicht den Hut nehmen, seine Nachfolgerin aber wird die Spiel-Philosophie der Mannschaft nicht ankratzen und sich auf das vorhandene Fundament stützen.

Nachdem Koller seine WM-Quali nicht gelang, wurde nicht nur er, sondern auch die Struktur dahinter in Frage gestellt. Bei den Herren ist es deutlich schwieriger Pflöcke einzuschlagen, die Standards für Generationen setzen. Zu viele Süppchenkocher, zu viel interessengetriebene Einflussnahme, zu viel zu verteilende Macht. Ein Rückfall in frühere, finstere Zeiten ist schnell möglich: es hängt alles nur an ein, zwei Personen. Und wenn da Risse auftreten, wackelt gleich das Fundament.

Bei Trainer Thalhammer hatte man lange Zeit, vor allem zu Beginn des Koller-Erfolgslaufs, das Gefühl, dass er sich strategisch und philosophisch am Schweizer orientierte - scharfes Pressing auf Basis einer guten Kondition, ein ganz ähnliches Spielsystem etc. Aber während sich Koller damit schwertat sich eine zweite Spielidee zuzulegen (bzw sie einfach zu proben), war Thalhammer diesbezüglich deutlich offensiver. Und so kam es, dass die Frauen mit zumindest drei durchaus bereits gut geübten Varianten und Spielanlagen in ihr EM-Turnier gehen konnten.

Es war diese taktische Vielfältigkeit, diese Unausrechenbarkeit, die die ÖFB-Frauen unter die letzten vier führte. Und es war die fehlende Variationsbreite und die Ausrechenbarkeit, die beim Herren-Team für den Backlash zur allerungünstigsten aller Zeitpunkte, nämlich im Sommer 2016 sorgte.

Nun liegt das sicher auch an der grundsätzlichen Zögerlichkeit des Marcel Koller, die bereits (ich war selber erstaunt) bei seinem ersten Länderspiel - hier der Text dazu - sichtbar wurde. Die verhindert Experimente im Spiel, erstickt Ideen im kreativen Denken danach.

Trotzdem, eine These: hätte Koller bei den Herren das Backing, die Möglichkeiten gehabt, die Freiheiten, über die Thalhammer bei den Frauen verfügt, dann hätten wir seine erste Risikonahme nicht erst im Verzweiflungs-Match gegen Island gesehen.

Nun ist Koller also Geschichte, nach den Vorkommnissen, der Mutlosigkeit in den Zeiten des Zenits, der schwachen, selbstkritiklosen Euro-Aufarbeitung und der Ideenlosigkeit der letzten 13 Monate auch zurecht. Er hat in einigen Bereichen überragenden Input geliefert, sich in anderen aber von Beginn an nicht engagiert. Er hat gezeigt was möglich ist, wenn man einer klug erarbeitenden Idee nachgeht; und damit gezeigt, was andere, noch Bessere und Größere aus dem ÖFB-Team herausholen könnten. Er hat auch Maßstäbe gesetzt, an denen seine Nachfolger – vor allem dann, wenn man sie wieder aus den alten Seilschaften heraus besetzt – noch fest kiefeln werden. Und er hinterlässt eine junge Medienarbeiter-Generation, die jetzt immer einen Bezugspunkt aufbieten kann, wenn man sie für blöd verkaufen will. Das ist alles viel wert. Danke dafür.

Noch schwerer als die bereits entschiedene Personalie Koller wiegt aber die zum Zeitpunkt der Drucklegung noch ungeklärte Personalie Ruttensteiner. Er ist der Erfinder des Frauenfußball-Wunders und von Koller. Ruttensteiner ist ein Bereitsteller und Ermöglicher, seine von visionsbefreiten Funktionären ältesten Schlags herbeigeredete Entlassung/Degradierung, würde Schaden anrichten; bis hin zur Kometen-Stärke. Denn die Chance, dass der ÖFB eine Teamchef/Sportchef-Kombi mit mehr Qualität als Koller/Ruttensteiner findet, ist verschwindend gering.

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