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Bandportrait Farewell Dear Ghost, die Band angezogen in pinken Anzügen

Christoph Liebentritt

artist of the week

Wenn pinkes Rauschen zum Stadionpop wird

Die Österreicher Farewell Dear Ghost kreieren mit ihrer zweiten Platte „Neon Nature“ eine eigene, glitzernde Soundwelt der Dichotomien und sind damit unser FM4 Artist Of The Week.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Vor vier Jahren hat uns Sänger und Songschreiber Philipp Szalay mit der Debütplatte „We Colour The Night“ seines Projekts Farewell Dear Ghost schon die große Stadionrockgeste präsentiert.

Mit dem neuen Album „Neon Nature“ geht er noch einen Schritt weiter. Mit seiner zur fixen Band gereiften Gruppe entwirft er eine glitzernde Welt zwischen hedonistischer Realitätsflucht und intimer Identitätssuche. Ein Werk, dessen Ausgangspunkt eine Reise zum anderen Ende der Welt war.

Die Feuertaufe

Den Grazer Musiker Philipp Szalay hat es schon immer in die große Welt hinaus gezogen. Das hat man in seinen großartigen Songs wie „Fire“ oder „Cool Blood“ schon heraushören können, die für die großen Bühnen konzipiert schienen. Für die Umsetzung seines ursprünglichen Solo-Projekts Farewell Dear Ghost hat er sich die erfahrenen Musiker Alexander Hackl, Philipp Prückl und Andreas Födinger an Bord geholt und sich mit ihnen zu einer einwöchigen Tour aufgemacht. Die Reise ging nach China, eine „Feuertaufe“, wie Philipp Szalay meint, und sicher auch eine Zerreißprobe, denn sieben Tage auf engstem Raum unter Stress mit Menschen, die man noch nicht ganz so gut kennt, in einem fremden Land zusammen zu leben, ist eine große Herausforderung.

Philipp Szalay: „Es war sehr schön zu sehen, dass gerade in so einer Extremsituation es keinen Moment gegeben hat, wo man sich gedacht hätte: Uff, ob das eine gute Idee war? Wir sind mit viel mehr Motivation zurückgekehrt und es war auch rückblickend irgendwie romantisch.“

Bandportrait Farewell Dear Ghost, Band steht vor einer blauen Leinwand in der Wiese

Christoph Liebentritt

Der Leinwand-Workflow

Diese Motivation hat das Quartett auch dazu gebracht, ihre Arbeitsweise zu hinterfragen und mit neuen Ideen auf uneingeschränkte Entdeckungsreise zu gehen. Die herkömmlichen Instrumente hat man zuerst einmal weggelegt, um mit Synthesizern und Computer zu experimentieren. In Kleingruppen oder auch alleine entstanden so Songskizzen, die dann allen präsentiert worden sind und die auch manchmal der Ideenbringer erst durchfechten musste. Schlagzeuger Andreas Födinger beschreibt die Erarbeitung der Songs als „Jackson-Pollock-mäßig“. Der Proberaum und das Studio waren die große Leinwand und jeder konnte seinen Part draufschleudern, bis am Ende des Tages ein stimmiges Gesamtbild entstanden ist.

Albumcover "Neon Nature" von Farewell Dear Ghost

Farewell Dear Ghost

Das zweite Studioalbum von Farewell Dear Ghost „Neon Nature“ ist auf Ink Music erscheinen und wird auch in China veröffentlicht.

Dabei war alles erlaubt und der musikalischen Fantasie keine Grenzen gesetzt. Dass die Vier dabei nicht sich in perfektionistischem Soundtüfteln verrannt haben, ist der Arbeit und „Kontrolle“ von Produzent Christofer Frank zu verdanken, der die Band immer wieder darauf aufmerksam gemacht hat, dass es darum geht, einen Moment einzufangen. So finden sich auch kleine Ungenauigkeiten bei Gitarre-, Bass- und Schlagzeugspiel, die neben den digitalen Beats und den wunderbaren Synthie-Flächen die menschliche Komponente der Songs hör- und spürbar machen. Trockene Disco-Rhythmen werden mit rockigem Schlagwerk vermischt und verzerrte Gitarrenakkorde schmiegen sich an warme Synthie-Flächen wie bei dem Stück „Bad Ideas“. Und das zuerst recht entspannte Popstück „Prince Of Saigon“, das mit klassischer Indierock-Atmosphäre aufwartet, wandelt sich gegen Ende zum tanzwütigen Elektro-Clash-Monster.

Die erste Single „Pink Noise“ und deren visuelle Umsetzung verwebt die unterkühlte Elektronik-Welt mit der Wärme des Indie-Sound und lässt unsere Idealvorstellungen des menschlichen Körperbildes mit der spannenden Realität aufeinander prallen.

Die Zwischenwelten

Eines der leisen Highlights der Platte ist das sphärische Zeitlupenstück „Swoon“. Mit seinen verträumten Klanglandschaften, dem stetig pulsierenden Echolot und den Vocoder-Vocals verbreitet es die Stimmung einer Zwischenwelt. Wenn man in einer einsamen Halle auf seinen Anschlussflug wartet und es draußen langsam zu regnen beginnt und man die Veränderung richtig spüren kann, auch wenn sie noch nicht ganz stattgefunden hat. Es ist ein hypnotisches Stück, ein in sich gekehrter Moment der Stille, des Abwartens.

Farewell Dear Ghost live in Österreich:

  • 09.11. WUK, Wien
  • 10.11. Generalmusikdirektion, Graz
  • 30.11. ARGEkultur, Salzburg
  • 07.12. Kino im Kesselhaus, Krems an der Donau

Mit „Neon Nature“ haben sich Farewell Dear Ghost eine eigene Welt aufgebaut, die an der Oberfläche schimmert und glitzert, unter der allerdings die Probleme unseres Zeitgeistes brodeln. Einmal ist „Neon Nature“ ein, wie Andreas Födinger ausdrückt, „emotionales Waste-Land“, in dem wir unter dem Druck der ständigen Selbstoptimierung leiden und gleichzeitig ein Teil dieser glamourösen Popwelt sein wollen. Ein anderes Mal sind es die Lichter der Großstadt, wenn wir mit dem Charakter von „Moonglass“ in die Partynacht abtauchen und uns ganz dem Rausch und der hedonistischen Verdrängung hingeben. Oder aber wir reflektieren unsere Beziehungen, wie in der sehr berührenden und wundervollen Ballade „Tease“, ein kunstvolles Duett mit der Gänsehaut-Stimme von Avec.

Noch immer zelebrieren Farewell Dear Ghost die große Geste, allerdings lassen sie sich gleichzeitig auf schimmernde Popästhetik ein, experimentieren mit ihren sehnsuchtsvollen Harmonien, erweitern ihr Klangspektrum und schaffen es dabei trotzdem, die Magie des Augenblicks einzufangen. „Neon Nature“ ist sowohl ein Album für das gemütliche Wohnzimmer als auch für den dunklen Club. Es funktioniert live in einem kleinem Konzertsaal ebenso wie auf der großen Bühne, auf der wir Farewell Dear Ghost hoffentlich in Zukunft sehen werden. Das Zeug dazu haben sie allemal und die entsprechende Geste, die bringen sie ohnehin schon mit.

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