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erich möchel

Verlegerkampagne gegen E-Privacy ohne Medienecho

Die Kampagne der Verleger gegen stärkeren Schutz der Privatsphäre im Netz wurde von den Redaktionen europaweit ignoriert. Zwei von drei österreichischen EU-Abgeordneten im Innenausschuss des EU-Parlaments haben gegen mehr E-Privacy gestimmt.

Von Erich Möchel

Das aggressive Lobbying von Medienverlegern, Privat-TV, Telekoms und Internetwirtschaft gegen E-Privacy, die wichtigste EU-Regulation zum Konsumentenschutz, ist offenbar nach hinten losgegangen. Drei Tage nach der Abstimmung im Innenausschuss (LIBE) des Parlaments am Donnerstag finden sich kaum Berichte in etablierten Medien, das Thema E-Privacy wird von den Redaktionen derselben Privatmedien bis jetzt offensichtlich ignoriert.

„Schande über die Medien“ twitterte denn auch das Zentralorgan der Internet-Werbung IAB über seine Mitlobbyisten am Freitag. In Österreich hat neben ORF.at offenbar nur der „Standard“ berichtet, in Sozialen Netzwerken war das Thema „elektronische Privatsphäre“ hingegen stark präsent, im deutschen Twitterfeed war E-Privacy sogar ein Trend. Von den drei österreichischen EU-Abgeordneten im Innenausschuss haben zwei gegen einen stärkeren Schutz vor Onlinetracking gestimmt.

Posting

IAB Europe

Die Stimmen österreichischer MEPs

Das am Freitagabend veröffentlichte detaillierte Abstimmungsergebnis enthält eine Überraschung. Die liberale Fraktion (ALDE) in Brüssel tritt in dieser Frage offenbar geschlossen für eine Stärkung des Schutzes der Prіvatsphäre der EU-Bürger und gegen die herrschende Datensammelpraxis der Konzerne ein. Anscheinend hat sich in dieser ausgesprochen wirtschaftsliberalen Fraktion die Ansicht durchgesetzt, dass die derzeit unbeschränkte Datensammlung im Netz doch kein künftiges Erfolgskonzept für die digitale Wirtschaft in Europa ist.

Am Donnerstag stimmte der Innenausschuss allem Lobbying zum Trotz mit 31 zu 24 für eine datenschutzgerechte Version von E-Privacy.(fm4.orf.at

Folgerichtig stimmte MEP Angelika Mlinar (Neos, ALDE-Fraktion) mit Sozialdemokraten, Grünen und Linken für verstärkten Datenschutz in E-Privacy. Geschlossen dagegen war nur die konservative Fraktion, darunter war auch der Österreicher Heinz Becker, der im Vorfeld die europäische Datenschutzpraxis als Relikt aus dem Neandertal bezeichnet hatte. Sekundiert wurden die Konservativen von Abgeordneten der EU-Austrittsfraktion EFDD, die noch von der britischen UKIP dominiert wird. Auch die kleine Rechtsaußenfraktion ENF, zu der die FPÖ gehört, stimmte im LIBE-Ausschuss mit den Konservativen, auch Harald Vilimsky (FPÖ) war dabei. Ѕozialdemokraten und Grüne aus Österreich sind im LIBE nur als Ersatzmitglieder vertreten.

E-Privacy-Bestimmungen

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EPP ist EVP, die größte Fraktion im Parlament. Weitere Nein-Stimmen kamen vom ECR, das ist die viel kleinere nationalkonservative Fraktion, die noch von den britischen Konservativen angeführt wird. EFDD sind die radikalen EU-Gegner, noch dominiert von der UKIP, dem EFD gehören neben der FPÖ auch die Partei des Holländers Geert Wilders und die Le-Pen-Partei in Frankreich an. Die gesamte Abstimmungstabelle mit allen Pro- und Gegenstimmen findet sich hier.

Mit der Kampagne war es zwischendurch gelungen, das „Privacy by Design“-Prinzip aus dem Text zu drängen.

Neueste Version des Verordnungstexts

Von der E-Privacy-Verordnung selbst ist mittlerweile eine erste, nicht-autorisierte Version im Netz, die ORF.at vorliegt. Gerade die am heftigsten umstrittenen Punkte wurden dabei noch erweitert und detailliert. So wurde etwa in Artikel 6, der die erlaubten Datenverarbeitungsprozesse listet, die ohne Zustimmung des Benutzers möglich sind, der bestehende Text noch verschärft und präzisiert, um Schlupflöcher auszuschließen. Die von Wirtschaftsverbänden vehement eingeforderte Klausel zum „legitimen Interesse“ - gemeint ist damit ein geschäftliches - der Internetfirmen an der Verarbeitung und Speicherung aller möglichen Benutzerdaten findet sich nirgendwo.

E-Privacy-Bestimmungen

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Die aktuellen Änderungen im Text sind fett markiert. Hier sind die Verschärfungen und Präzisierungen gut zu sehen, die Wortwahl „strictly“ dient zur Klarstellung, dass es hier keine Schlupflöcher gibt. Die Industrie hatte darauf bestanden, hier ein „legitimate interest“ zur Verarbeitung und Sammlung beliebiger Benutzerdaten zu verankern, ohne dass eine Zustimmung des Benutzers nötig ist. Das hätte den gesamten Katalog der Bestimmungen oben obsolet gemacht. Der aktuelle Text der E-Privacy-Verordnung des LIBE ist eine nicht autorisierte Vorabversion.

Im Text ist vielmehr stets vom „legitimen Interesse“ der Benutzer die Rede, zumal E-Privacy ja eine EU-Verordnung zum Konsumenten- und Datenschutz ist. Auffällig sind die vielen neuen Passagen im Verordnungstext, aus denen klar hervorgeht, dass die Abgeordneten technische Expertise eingeholt haben. In Rezital 14a wurden zur Erläuterung und Begründung der einleitenden Begriffsdefinitionen in Artikel 4 der Verordnung, Kommunikationsvorgänge im Netz bis auf die Ebene der TCP/IP-basierten Protokolle heruntergebrochen: stark vereinfacht, dafür auch für Nichttechniker verständlich und korrekt.

E-Privacy-Bestimmungen

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Hier etwa wird die Verschachtelung der einzelnen Layer im TCP/IP-Protokoll beschrieben. Das ist insofern essentiell, weil Metadaten und Inhalte in jeder Gesetzgebung strikt auseinandergehalten werden müssen, da es für beide stets unterschiedliche juristische Regeln gibt.

Im federführenden Innenausschuss Ende Juni kam „Privacy by Design“ wieder in den Verordnungstext.

Das ist beileibe nicht die einzige solche Passage, die neu im Text der Verordnung ist, denn hier zeigt sich bei den Parlamentariern ein Effekt, der bereits bei einer Reihe notwendigerweise techniklastiger Regulationen zu beobachten war. Je länger ein solcher Prozess dauert, desto genauer werden die Formulierungen im Text, für die Parlamentarier neue Begriffe werden laufend eingeführt und erläutert. Die weitaus überwiegende Mehrheit der MEPs hat beruflich keinen technischen Hintergrund, die scheidende Berichterstatterin Marju Lauristin (SPE) etwa ist Soziologin und promovierte Publizistin.

Wie es mit E-Privacy nun weitergeht

Sie sei über die Fertigstellung der Regulation im Innenausschuss sehr erleichtert, sagte Lauristin nach der Abstimmung, denn die Erstellung der Verordnung sei unter großem Druck verlaufen. Gemeint ist damit: Allein 2016 waren es 35 hochrangige Treffen von maßgeblichen Industrielobbys von Verlagswesen, Privat-TV, Internetwirtschaft und Telekoms mit EU-Vizepräsident Andrus Ansip, dem der Digitalsektor untersteht. Wieviele solche Termine während der Diskussionen in den Ausschüssen 2017 angefallen sind, wird erst im EU-Transparenzbericht 2018 nachzulesen sein.

Marju Lauristin

CC BY-SA 2.0 von euranet_plus auf flickr.com/110900366@N07/

Davor war Marju Lauristin schon Sozialministerin Estlands. (CC BY-SA 2.0)

Auf dem Weg zum Ministerrat

Lauristin (77) wurde am 14. Oktober per Vorzugstimme in den Stadtrat ihrer Heimatstadt Tartu gewählt, wer ihr als Berichterstatter nachfolgen wird, ist derzeit noch nicht bekannt. Der neueste Stand ist nun, dass die Version des LIBE mit den Einwänden des Ministerrats harmonisiert wird, der ja hier mitredet. Und dort gibt es nun anscheinend doch Einwände allerdings zu einem anderen Punkt. Dem Ministerrat scheint die geplante Meldepflicht für Internetunternehmen bei schwerwiegenden Sicherheitsvorfällen wie Datendiebstahl nicht zu gefallen, angeblich wurde auf einer Streichung von Artikel 17 bestanden.

Sehr viele Zeitverzögerungen können sich die EU-Instanzen allerdings nicht gut leisten. E-Privacy muss nämlich bis 18. Mai fertig sein, weil da die EU-Grundverordnung zum Datenschutz (DSGVO) in Kraft tritt. Beide verweisen gegenseitig aufeinander.

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Der aktuelle Text der E-Privacy-Verordnung des LIBE ist nicht autorisiert, sollte aber mit der Endversion weitestgehend übereinstimmen.

Die gesamte Abstimmungstabelle mit allen Pro- und Gegenstimmen im Innenausschuss findet sich hier.

Die Aussendung vom MEP Heinz Becker (EVP) zu E-Privacy: Silicon Valley statt Neandertal

Ersucht wird, sachdienliche Informationen, Metakritiken et al. über dieses Formular sicher verschlüsselt und natürlich anonym einzuwerfen. Wer eine Antwort will, sollte jedenfalls eine Kontaktmöglichkeit angeben.

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