Wimmelbild für Große
Von Zita Bereuter
Katharina Greve ist Architektin und Comiczeichnerin. Pläne von Häusern und v.a. deren Längsschnitte haben die Berlinerin schon während ihres Studiums an Comics erinnert. „Dadurch, dass Boden und Wände da sind, entstehen ja schon Bilderrahmen.“ In Kombination mit der unendlichen Zeichenfläche des Internets entstand die Idee für ihren Webcomic „Das Hochhaus“: Ein Wolkenkratzer, der wöchentlich um ein Stockwerk wächst. 102 Stockwerke sollten es insgesamt werden. „Ich wollte auf eine dreistellige Zahl kommen und fand den Zeitraum von zwei Jahren gut zu überblicken – da kann man gut planen. Und die 102 ist eine schöne Zahl.“
2015 hat sie mit dem Keller begonnen, in dem zitiert sie Goethes letzte Worte.
Katharina Greve
Küche, Vorzimmer, Wohnzimmer, Balkon
Auf engem Raum spielt sich das Leben im Hochhaus ab. Eine Momentaufnahme von Komödien, Tragödien, Banalitäten. Missverständnisse, Gemeinheiten, Seitensprünge. Und über die Wohnungen hinweg Verstrickungen und Intrigen.
Man redet über Gott und die Welt, über Flüchtlinge, Feminismus, den Job und Beziehungen.
Round not Square / Avant Verlag
Die Wahrsagerin im 64. Stock wartet vergeblich auf Kunden - das hat ihr Mann schon vorhergesagt. Die Reiche im 94. Stock fühlt sich unter dieser Nachbarschaft noch reicher, und wenn der Sohn im Jesusgewand im 99. Geschoss seiner Mutter erklärt, dass er sofort auf die Straße muss, um das nahe Ende zu verkünden, meint die Mutter lapidar: „Aber ist die Welt eine Komödie oder eine Tragödie – das ist hier die Frage.“
Die Frau im 32. Stock erklärt ihrem Liebhaber, dass sie extra so schlecht kocht, damit ihr Mann zwei Mal die Woche bei seinen Eltern im 7. Stock isst. Währenddessen ärgern sich die Eltern, weil ihr Sohn sie so gut wie nie besucht. Denn der lässt sich zeitgleich lieber im 16. Stock den Hintern auspeitschen.
Katharina Greve
Kaum einer der Bewohner ist sympathisch. „Es sollte immer Pointen oder einen kleinen Witz pro Etage geben. Es ist leichter, sich Witze mit unsympathischen Menschen auszudenken als mit sympathischen.“
Katharina Greve
In Momentaufnahmen erzählt Katharina Greve von gesellschaftlichen oder politischen Ereignissen, die sie gekonnt in familiäre Situationen überträgt.
Aber es seien auch Erzählungen von Freunden oder eigene Erlebnisse eingeflossen. Sie selbst lebt im ersten Stock eines Altbaus. In ihrer Wohnung werden die Pakete des Hauses gesammelt - im Comic passiert dies bei einem Pensionistenpaar im Erdgeschoß.
Katharina Greve möchte nicht in dem Hochhaus wohnen – die Wohnungen wären ihr zu farbenfroh. „Ich wohne weiß und mir wäre das komplette Haus zu bunt.“
Am 5. September 2017 hat Katharina Greve den letzten Dachziegel gezeichnet. „Housing completed.“ Zwischendurch hat sie für „Das Hochhaus“ den Max-und-Moritz-Preis 2016 erhalten. Auch wenn sie durchaus noch nicht alle Ideen verbaut hat – nach zwei Jahren ist jetzt erst mal das Dach auf dem Haus und der Buchdeckel zu und Katharina Greve hat wieder mehr Zeit für analoge Häuser.
Publiziert am 27.10.2017