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FM4 Soundpark tag

Tschüss Österreich, Yo Berlin!

Österreichische Hip-Hop-Künstler wie Raf Camora, Yung Hurn, DJ Stickle, die Twintowas oder Nvie Motho haben ihre Heimat verlassen, um die eigene Musikkarriere via Berlin zu internationalisieren. Wir haben sie besucht.

Von DJ Phekt

Am 26. Oktober ist Soundpark Spezialtag auf Radio FM4!

Wir feiern den 16. Geburtstag der FM4 Plattform für Musik aus Österreich.

Weltberühmt in Österreich. Die unsichtbare Weißwurstgrenze. Ehrenamt Musik. Heimische Musikerinnen und Musiker können ein Lied davon singen, wie mühsam der Weg oft ist, mit dem eigenen Sound außerhalb Österreichs wahrgenommen zu werden. Der internationale Erfolg von Bands wie Bilderbuch, Wanda oder von Produzenten wie Dorian Concept und Cid Rim in den letzten Jahren zeigt zwar, dass es durchaus möglich ist, von hier aus zu operieren und überregional wahrgenommen zu werden. Trotzdem ist das nach wie vor eher die Ausnahme.

Manche Bands und Künstler entscheiden sich deswegen, es über den Umweg Berlin zu probieren. Durchaus mit Aussicht auf Erfolg, wie man anhand der steilen Karrieren diverser österreichischer Hip-Hop-Künstler mit Wahlheimat Berlin sehen kann.

Raf Camora über den Dächern Wiens.

Bonez MC

Raf Camora kommt aus Wien Fünfhaus. Seit 10 Jahren lebt er in Berlin. Jetzt ist er einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Künstler. Sein aktuelles Album „Anthrazit“ war in Österreich und Deutschland auf Platz 1 der Charts, seine Konzerte finden mittlerweile in großen Hallen statt.

Ich bin letzte Woche nach Berlin geflogen, um einige jener österreichischen Hip-Hop-Künstler zu treffen, für die sich das „Sprungbrett“ Berlin ausgezahlt hat.

DJ Stickle & Yung Hurn

In einem unscheinbaren Hinterhof in Kreuzberg befindet sich das 80qm große Studio von DJ Stickle. Der gebürtige Linzer lebt seit mehr als 12 Jahren in Berlin und war der erste österreichische Hip-Hop-Künstler, der über den Umweg Berlin in die musikalische Champions League aufgestiegen ist.

Gemeinsam mit seinem damaligen Reimpartner Chakuza ist DJ Stickle Mitte der 2000er Jahre in die Stadt an der Spree gezogen, um dort ein Album für Bushido zu produzieren. Unter dem Namen „Beatlefield“ haben Chakuza und Stickle dann zahlreiche Produktionen für das damals sehr erfolgreiche Label „Ersguterjunge“ gemacht und Chakuza konnte parallel eine erfolgreiche Solo-Karriere etablieren. Hätten sie damals weiter von Linz aus operiert, wäre das laut Stickle mit der professionellen Musikkarriere wahrscheinlich nichts geworden.

Fast Forward in die Gegenwart: DJ Stickle empfängt mich am Nachmittag in seinem Studio, das mittlerweile zu einem beliebten Hang-Out-Spot diverser Künstler geworden ist. Die „Ersguterjunge“-Zeit liegt weit zurück. Viel ist seither passiert, Chakuza lebt mittlerweile in einer anderen Stadt und Stickle hat sich solo als gefragter DJ, Produzent, Remixer und Studio-Engineer einen Namen gemacht. Casper hat zum Beispiel bei Stickle die Vocals für sein Album „XOXO“ aufgenommen und auch in Folge für weitere Alben (unter anderem für sein aktuelles „Lang lebe der Tod“) mit ihm zusammengearbeitet.

Eine Gold-Schallplatte, die DJ Stickle für seine Arbeit am Album von Casper bekommen hat.

Alexander Hertel

Gleich beim Studioeingang steht eine Kiste mit diversen Auszeichnungen, die DJ Stickle bekommen hat. Gold für Casper, warum nicht.

Während meines Besuchs im Studio klingelt es an der Tür und Yung Hurn kommt spontan zu Besuch. Der Wiener Rapper hat seinen Lebensmittelpunkt mittlerweile auch nach Berlin verlegt.

DJ Stickle & Yung Hurn haben sich dort vor einiger Zeit nach einem Konzert kennengelernt und angefreundet. Sie spielen mir rohe Audio-Skizzen zukünftiger gemeinsamer Songs vor und Stickle öffnet auf seinem Rechner das File vom „OK Cool“-Instrumental, ihrem aktuellen gemeinsamen Hit. Spur für Spur tauchen wir ein in Synthie-Flächen, 808-Drums, Basslines und atmosphärische Sounds. Es liegt ein guter Vibe in der Luft, die Atmosphäre in Stickles Studio ist inspirierend. Yung Hurn entwickelt seine Rap-Parts oft aus einer Stimmung heraus, die ihm der Beat vorgibt.

Mit der Love Hotel Band haben sie zum Spaß ein weiteres Band-Projekt gestartet, mit dem sie bereits beim Melt Festival und bei der Fashion Week in Paris und Berlin aufgetreten sind. Das Echo auf ihre Musik war so positiv, dass sie an diesem Projekt in nächster Zeit weiterarbeiten werden.

Yung Hurn erzählt, dass er Wien zwar nach wie vor viel lieber als Berlin mag, im Moment fühlt es sich für ihn aber richtig an, dort den Lebensmittelpunkt zu haben. Er möchte in naher Zukunft selbst Beats basteln und weiter mit Stickle an neuen Songs feilen.

Raf Camora

Wien Fünfhaus heißt der Bezirk, den Raf Camora vor knapp 10 Jahren für seinen Karriereschritt nach Berlin hinter sich gelassen hat.

Raf Camora vor seinen zahlreichen Platin und Gold-Auszeichnungen.

Raf Camora

„Du brauchst eine Vision, absolute Willenskraft, die Bereitschaft richtig viel zu arbeiten, und musst wissen, was du als Künstler darstellen willst, wenn du es als Österreicher in Deutschland schaffen möchtest.“ Raf Camora vor seinen zahlreichen Platin- und Gold-Auszeichnungen.

Raf Camora ist ein Workaholic. Der Rapper, Produzent, Manager und Geschäftsmann kann nicht anders. Er muss permanent kreieren, etwas schaffen, Masterpläne schmieden und denkt mindestens zwei Schritte voraus, wenn er an einem Projekt arbeitet. Erfolg ist seine Antriebsfeder.

Für unser Gespräch holt mich Raf gemeinsam mit seinem DJ mit dem Auto ab. Wir fahren stundenlang durch die Straßen Berlins und reden über seinen langen Weg als Künstler.

Inspiriert von DJ Stickle und Chakuza hat er vor circa 10 Jahren Wien verlassen und zuerst als Ghostproducer für das „Ersguterjunger“-Label in Berlin Fuß gefasst. Er erinnert sich an die ersten Momente in Berlin, das eindrucksvolle Universal-Gebäude, an riesige Bushido-Plakate in der Stadt und die Erkenntnis, dass das irgendwann er sein möchte, der von diesen Plakatwänden schaut.

Ein Traum, der durch harte, konsequente Arbeit tatsächlich zur Realität wird. Nach mehreren Solo-Alben landet Raf Camora 2013 mit seinem Album „Hoch 2“ zum ersten Mal auf Platz 1 der deutschen Charts. Bitterer Beigeschmack: Während er in Deutschland für den Echo nominiert wird, lässt man ihn in Österreich in den breitenwirksamen Medien links liegen. Raf fühlt sich ausgeschlossen und unfair behandelt. Die Erfahrungen füttern seine Hassliebe zur alten Heimat, mit der er sich nach wie vor identifiziert. Vor allem mit den so genannten Außenbezirken wie Favoriten, Fünfhaus oder Ottakring und deren „Parallelgesellschaften“ mit Migrationshintergrund.

Raf Camora vor zig-tausenden Fans beim Frauenfeld Open Air in der Schweiz.

Raf Camora

Raf Camora beim Frauenfeld-Open Air in der Schweiz.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Nach einem weiteren Solo-Album („Ghost“) gelingt Raf Camora letztes Jahr gemeinsam mit Bonez MC aus Hamburg der ultimative Durchbruch. Beide lieben jamaikanische Dancehall-Musik. Nach einem gemeinsamen deutschsprachigen Dancehall-Tune für „Ghost“ und einer Jamaika-Reise vertiefen sie ihre Zusammenarbeit und treffen mit dem Album „Palmen aus Plastik“ den Nerv der Zeit. Dank Künstlern wie Drake oder MHD aus Frankreich (Afrotrap) ist die breite Masse anscheinend ready für die seit Jahrzehnten existierenden Dancehall-Riddims. Raf & Bonez MC kombinieren karibische Rhythmen mit zeitgemäßen Sounds und rohen, von einer Street- und DIY-Attitude geprägten Texten. Ihr gemeinsamer Song „Ohne mein Team“ wird zum ultimativen Hit, der mittlerweile knapp 65 Millionen Views hat und den beiden mehrfach-Platin-Auszeichnungen beschert.

Mittlerweile gelten die beiden als diejenigen, die deutschsprachige Dancehall-Musik breitenwirksam salonfähig gemacht haben.

Statt sich auf den verdienten Lorbeeren auszuruhen, hat Raf Camora nach einem unfassbar intensiven Sommer mit „Anthrazit“ vor kurzem gleich noch ein erfolgreiches Album nachgelegt, das in Österreich und Deutschland auf Platz 1 der Album-Charts gelandet ist. Raf Camora ist 2017 einer der, unter Umständen sogar DER meist-gestreamte Künstler im deutschsprachigen Raum.

Opfer bringen

Im Interview erzählt er mir, dass er während der Aufnahmen zu „Anthrazit“ zum ersten Mal in vollem Umfang das Opfer realisiert hat, das er bringen musste, um an diesen Punkt zu gelangen.

Die Tatsache, dass man seine Familie und den Freundeskreis zurücklassen muss, wenn man in eine andere Stadt zieht, um Karriere zu machen, ist nicht zu unterschätzen. Raf widmet auf seinem neuen Album einen Song („Donna Imma“) seiner Mutter und spricht in „Vienna“ ausführlich über sein ambivalentes Verhältnis zu Wien, der Stadt, die er einerseits so liebt und der er trotzdem den Rücken gekehrt hat. Bei den Aufnahmen des Refrains sind ihm aufgrund der vielen Emotionen die Tränen gekommen, wie er erzählt.

Wir reden noch über heimische Musiker wie Kroko Jack, der laut Raf Camora einer der besten Rapper der Welt ist, und österreichische Talente wie Def Ill und Svaba Ortak. Laut Raf wird man es mit „breitem österreichischen Dialekt“ jedoch leider nie schaffen, im gesamten deutschsprachigen Raum erfolgreich zu sein. Ein sprachlicher Kompromiss, der für ihn persönlich kein Problem war.

Ein Highlight seiner Karriere werden die beiden Konzerte im Wiener Gasometer am 22. und 23. Dezember 2017. Die Tickets für den ersten Tag waren so schnell vergriffen, dass es nun einen Zusatztermin gibt (der ebenfalls schon fast ausverkauft ist).

Aktuell erfüllt sich Raf Camora den Traum, ein eigenes großes Ton-Studio zu bauen. Wir fahren nach Moabit, wo im Moment sein Hit-Labor entsteht, aus dem er in Zukunft operieren wird. Stillstand ist für ihn keine Option.

Twintowas & Nvie Motho

Wer im letzten Jahr auf einem der großen Festivals war, hat mit großer Wahrscheinlichkeit die beiden Brüder Daniel & Fabian Schreiber aka Twintowas und den Produzenten Nvie Motho auf einer Hauptbühne gesehen.

Alle drei sind fixer Bestandteil (Gitarre, Schlagzeug, DJ) der Live-Band von Raf Camora. Im Rahmen der „Palmen aus Plastik“-Tournee waren sie gemeinsam mit Raf, Bonez MC und der 187 Straßenbande monatelang im Tourbus unterwegs und haben die größten Bühnen bespielt.

Die Twintowas und Nvie Motho leben ebenfalls seit einigen Jahren in Berlin.

Daniel Schreiber von den Twintowas mit Nvie Motho in Berlin.

Alexander Hertel

Daniel Schreiber & Nvie Motho in einer Berliner U-Bahn-Station. Auf dem Foto fehlt leider der zweite „Twintowa“ Fabian Schreiber.

Wir treffen uns auf der Terrasse eines Restaurants in Mitte und reden über ihre Motivation, der Heimat den Rücken zu kehren.

„In Österreich machen alle, was sie wollen, weil es um nix geht.“

Ihre musikalischen Wurzeln haben Fabian und Daniel Schreiber in der Wiener Hip-Hop-Szene und im Umfeld des Waxolutionists/Supercity-Kollektivs und als House-Produzenten „TNTG - The New Tower Generation“.

Nach Zwischenstationen in den Bands von James Hersey und Gerard entscheiden sie vor ein paar Jahren spontan in einer Bierlaune, gemeinsam nach Berlin zu gehen und dort ihr Musiker-Dasein zu professionalisieren.

Nachdem ein WG-Zimmer frei wird, zieht noch spontan der Produzent Nvie Motho, mit dem sie schon gemeinsam in der Band von Gerard zusammengearbeitet haben, nach Berlin. Seit ein paar Jahren sind die drei fixer Bestandteil der Raf Camora Live Show.

Im Interview reden wir über Vor- und Nachteile vom Leben in Berlin und über mögliche Gründe, warum österreichische Musik in den letzten Jahren plötzlich mehr Aufmerksamkeit in Deutschland bekommt. Nvie Motho, der das Musikgeschäft in Deutschland als Produzent sehr gut kennt, hat dazu eine schöne Theorie:

Ab 21 Uhr kann man heute (26.10.2017) das umfangreiche Homebase-Spezial über österreichische Hip-Hop-Künstler in Berlin hören. Anschließend für 7 Tage im FM4 Player.

Österreichische Künstler haben aufgrund nicht vorhandener Optionen auf großen kommerziellen Erfolg in breitenwirksamen Medien weniger Druck, einem gewissen Sound zu entsprechen. Alle wissen, dass man hierzulande von Musik sowieso nicht leben kann. Dadurch machen sie jahrelang einfach ihr Ding, etablieren sich in lokalen Szenen und werden im besten Fall bei FM4 gespielt. Im Lauf der Zeit entsteht so ihr ganz eigener Sound, losgelöst von aalglatten Pop-Ambitionen oder vermeintlichen Hit-Rezepturen. Diese österreichische, unangepasste Rohheit in der Musik klingt in den Ohren deutscher Hörerinnen und Hörer ungewöhnlich und charmant. So erklärt Nvie Motho den Erfolg von Bilderbuch oder Wanda.

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