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Daphne

Viennale

Viennale-Tagebuch

Einmal ein bisschen langsamer

Zeit lassen, Geschwindigkeit raus: Über Geschichten auf der Viennale, die es nicht eilig haben.

Von Christoph Sepin

Was für ein schöner Zufall, dass der heutige Eintrag ins Viennale-Tagebuch auf einen Sonntag fällt. Denn heute geht es an dieser Stelle um ein Thema, das zum Ende der Woche für viele zum Hauptfokus wird: Ruhe geben, Zeit nehmen, Zeit einfach mal verstreichen lassen.

Obwohl hunderte Filme auf der Viennale gezeigt werden, obwohl man die unmöglich alle sehen kann, obwohl Karten oft sehr schnell rar werden, Vorstellungen ausreserviert und Warteschlangen lang sind: Irgendwie entsteht während dem Filmfestival trotzdem nie das Gefühl von Stress.

Das Viennale-Tagebuch auf FM4

Vielleicht liegt es am Publikum, das gerne Filmfestivals besucht. Eine Crowd, die sich nicht so leicht stressen lässt. Vielleicht liegt’s an den Kinos der Stadt in denen man während der Viennale ganz anders abhängt als sonst. Vielleicht liegt’s aber auch an der Auswahl der Filme, die es zum Anschauen gibt. Filme, die sich selbst einfach mal Zeit nehmen. Zeit, die man als Besucher und Besucherin schon bereit sein muss, den Filmen zu geben.

Minute Bodies

Viennale

„Minute Bodies: The Intimate World of F. Percy Smith“

Minute für Minute

Ein solches Projekt hat Stuart Staples umgesetzt. Der Musiker und Leadsänger der Band Tindersticks ist nämlich auf die Arbeiten des britischen Dokumentarfilmemachers F. Percy Smith gestoßen und hat sich kurzerhand dazu entschieden, diese neu zu vertonen.

„Minute Bodies: The Intimate World of F. Percy Smith“ heißt der daraus entstandene Film von Staples. Darin werden alte Aufnahmen aus den Naturdokus von F. Percy Smith aus dem frühen 20. Jahrhundert genommen und neu vertont. Statt schulbuchhaften Erklärungen, was denn gerade passiert, wenn in mikroskopischen Nahaufnahmen Zellen geteilt und Insekten begutachtet werden, ist „Minute Bodies“ ein Film, der ohne Worte auskommt.

Minute Bodies

Viennale

„Minute Bodies: The Intimate World of F. Percy Smith“

Stattdessen ist es die Musik von Tindersticks, die durch den Film führt. Wie ein sehr, sehr langes Musikvideo also, in dem vorsichtig dahinplänkelnde Soundlandschaften über Schwarz-Weiß-Aufnahmen gelegt werden. Das Ergebnis funktioniert überraschend gut. Durch die Musik entsteht eine ganz neue Art von Dramaturgie, den Bildern von Percy wird neue Bedeutung gegeben und durch einen sich wechselnden Soundtrack entsteht sogar fast so etwas wie ein Handlungsstrang.

Nur: Zeit muss man dem Ganzen natürlich geben. „Minute Bodies“ ist wie ein Bildschirmschoner für das Gehirn, eine beruhigende, langsame und repetitive Angelegenheit, die sich trotzdem fast eine Stunde hinzieht. Zum Luft holen und Wegtauchen, sich von den Bildern hypnotisieren lassen und zum Bewundern der visionären Arbeiten, die F. Percy Smith da vor gut hundert Jahren für sich entdeckt hat. Den Kontext dahinter zu kennen und zu verstehen, was die Filme von Smith ursprünglich waren, hilft beim Anschauen von „Minute Bodies“ aber auf jeden Fall.

FM4-Interview mit Stuart Staples

Selbstfindung in Zeitlupe

„Minute Bodies“ ist durch Unterstützung des BFI, des British Film Institute entstanden. Genauso wie ein anderes auf der Viennale gezeigtes Projekt: „Daphne“ von Peter Mackie Burns. Mit „Minute Bodies“ hat der Film abgesehen davon nicht besonders viel zu tun, er präsentiert aber einen weiteren Zugang zum Thema Verlangsamung, Zeit nehmen und Geschwindigkeit zurückschrauben. Noch so ein guter Sonntagsfilm.

In „Daphne“ geht es um die knapp über 30jährige Daphne, die in London wohnt, in einem Restaurant arbeitet und so vor sich hin lebt. Sie ist dem Genuss nicht abgeneigt, macht sich nicht so viele Gedanken über die Konsequenzen ihrer Aktionen und schaut einfach, was geht in ihrem Leben. Das klassische Millenialschicksal also, wenn jemand zwar älter, aber nicht reifer wird. Weil Alter in Daphnes Welt eh irgendwie abgeschafft ist.

Daphne

Viennale

Daphne

Dinge ändern sich, als Daphne eines Tages Zeugin eines Gewaltverbrechens an einem Ladenbesitzer wird, dem sie in weiterer Folge das Leben rettet. Das Ereignis traumatisiert sie, reden kann sie aber irgendwie nicht über das, was passiert ist. Und so stürzt sie in eine Abwärtsspirale aus Sex, Trinken und Eskapismus.

Das alles wird nicht hektisch, sondern auf eine langsame, ruhige Art und Weise erzählt. Daphne verfällt trotz aller Dinge, die passieren, nie in Panik, sondern gibt sich - wie es oft auch im echten Leben der Fall ist - nach außen wie immer, zwischen Entspannung und Gleichgültigkeit. Ist schon alles okay oder so, das scheint die Message zu sein, die sie ihrer Welt mitteilen will.

Was daraus entsteht, ist ein realistischer Film. Ein selbstbewusster Film, mit Charakteren, die glaubhaft sind. Wie ein Ausschnitt aus dem Leben eines anderen Menschen, den wir für kurze Zeit beobachten und begleiten dürfen. Wie seine Titelheldin nimmt sich „Daphne“ Zeit, behält die Ruhe, überstürzt nichts. Denn stressig ist sowieso schon genug, deswegen einfach mal wieder einem Film Zeit geben. Auf der Viennale geht das auch besonders einfach.

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