FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Nick Cave

Radio FM4 / Patrick Wally

Church of Cave

Der Prediger und sein Publikum. Nick Cave und die Bad Seeds machen sich die Wiener Stadthalle für einen Abend zum Tempel. One More Time With Feeling.

Von Christoph Sepin

Es geht um Alles. Im Juli 2015 musste Nick Cave durch den schwersten Moment für einen Vater gehen und sich viel zu früh von seinem Sohn verabschieden. Monate später veröffentlichte der Musiker dann das sechzehnte Studioalbum der Bad Seeds, „Skeleton Tree“. Gemeinsam mit der Dokumentation „One More Time With Feeling“ gab die Platte einen Einblick in die Phase der Trauer, in die Leere, die durch Verlust entsteht und das Verarbeiten von traumatischen Erlebnissen.

Das alles auf Tour zu bringen, die intimsten Momente vor tausenden Menschen in unpersönlichen Konzerthallen wiederzugeben, ja, zu „performen“, als Entertainment für die Massen, wie soll man das angehen? Trotzdem schafft es Nick Cave gemeinsam mit seinen Bad Seeds als Rückendeckung den reduzierten Sound von „Skeleton Tree“, neuere und ältere Hits seiner Karriere in die Wiener Stadthalle zu bringen. Und das sehr, sehr gut.

Schon von Beginn an herrscht Ruhe in der Halle, zwischen Entspannung und Anspannung. Friedfertig klimpert Hintergrundmusik durch die Konzertlocation an diesem Allerheiligenabend. Auf eine klassische Hypeplaylist vor der Show wird verzichtet, das wäre auch gar nicht notwendig gewesen. Es ist voll, aber ruhig. Menschen trinken und reden, Sonntagsstimmung möchte man meinen.

Nick Cave setzt sich hinter sein Mikrofon, rezitiert, die Bad Seeds hinter ihm spielen sich langsam in die Halle. Es geht bereits um die Liebe und das Scheitern, das Stürzen und dass irgendwas kommt. Alles passiert, alles ändert sich, die kalte Umarmung die Morgen verspricht. „Come home now“, wünscht sich Cave. „Please“.

Trotz all dem heißt es nicht ruhig bleiben. Der Bad Seed geht aufs Publikum zu, lässt die Hände über den Köpfen schweben. Der Boatman ruft in sein Meer hinaus: „With my voice I am calling you“. Und die Hände strecken sich ihm wie Schlangen aus der Grube entgegen, bis Cave die erste Berührung macht und nach den Fingern in den ersten Reihen greift. Ob sich hier festgehalten oder an sich gehalten wird, das verschwimmt. „Can you feel my heart beat?“

Dahinter die beste Liveband der Welt, die Bad Seeds, und Warren Ellis, der zwischen den Instrumenten hin und her stolpert. „I don’t know what I would do without Warren“, sagte Cave in der Dokumentation „One More Time With Feeling“. Und so ist es auch auf der Bühne: Der Performer Nick Cave im Vordergrund, Dirigent Ellis dahinter zwischen Piano, Gitarre und Geige. Die während dieser Show leider mal nicht von ihm zertrümmert werden soll.

Come sail your ships around me

Emotionen ändern sich schnell, musikalische Stimmungen der Bad Seeds auch. Es gibt Ausflüge ins vorletzte Album „Push The Sky Away“, dann all the way into the past: „From Her To Eternity“. Erstes Bad Seeds-Album, Post-Punk-Stimmung, stolpern, schreien, Zeit lassen zur langsamen Selbstzerstörung, die kaputte Welt in Musik zusammenfassen.

Ab und zu geht angeregtes Kichern durch das schon eher gut betuchte Publikum in der Stadthalle. Die haben anscheinend noch nicht gecheckt, dass es nichts mehr zu lachen gibt. „You can sing along to this if you like“, sagt Cave hinter dem Piano sitzend. Und dann die beste Openingzeile der Welt: „I don’t believe in an interventionist god“.

„Into My Arms“ vom 1997er Album „The Boatman’s Call“. Gleich nach dem „Ship Song“, das kennt jeder und jede im Publikum. Vor einem roten Vorhang, der gar nicht wirklich in der Halle hängt, sondern auf die Leinwand hinter der Band projiziert wird. Weil echt ist abgeschafft und überschätzt. Fuck reality, solang man sich nur in den Armen halten kann.

„Skeleton Tree“, das ist ein Album, das ist gleichzeitig extrem reduziert und emotional überwältigend. Und das schaffen die Bad Seeds auch live rüberzubringen. Das Vermissen ist echt, die zerstörte Hoffnung, das Fehlen von jemandem. Aber trotzdem geht die Zeit weiter. „Nothing really matters“, singt Cave mit seinen Armen ins Publikum deutend. „Just breathe“.

Die Glocke zu Beginn von „Red Right Hand“ ist wie der Knopf, der eine Maschine einschaltet: Jubeln im Publikum, Beine, die sich im Takt bewegen, rotes Licht in der Halle. Bis das nächste Kapitel der Bad Seeds-Geschichte geöffnet wird. „Mercy Seat“ soll das sein. Nick Cave spricht mit jemandem in der ersten Reihe: „You look like you’re having a miserable time. Do you need a special chair?“ Der Angesprochene ruft zu Cave zurück, dass er awesome ist. „No, you’re awesome! Maybe this song will cheer you up.“ Und dann: „An eye for an eye, a tooth for a tooth.“

Regulär endet dann alles mit den letzten beiden Nummern von „Skeleton Tree“, „Distant Sky“ und dem Titeltrack. „Danke schön“, sagt Cave mehrmals. Und ein in die Länge gezogenes: „And it’s all right now“. Bevor dann die Zugabe alles auf den Kopf stellt. „Weeping Song“ hat noch gefehlt, Cave lädt das Publikum ein mit ihm auf die Bühne zu kommen, füllt die Stage wie ein Prediger mit seinem Hintergrundchor. Und dann die letzte Verabschiedung mit dem besten Ratschlag: „Push the sky away“. Den Himmel wegschieben, Morgen kann kommen, die Welt geht weiter. Und an diesem Abend ging es um alles.

Aktuell: