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Filmstills The Square

Alamode Film

Der Cannes-Gewinnerfilm „The Square“ bringt Eskalation ins Museum

Der schwedische Regisseur Ruben Östlund ist zurzeit einer der spannendsten Regisseure im gegenwärtigen europäischen Kino. Und ein penibler Aufdecker menschlicher Abgründe.

Von Jan Hestmann

Ein Performancekünstler in der Rolle eines tobenden Affen. Mit nacktem Oberkörper stürmt er das Bankett, auf der Suche nach unfreiwilligen Spielgefährten. Sein aggressives Verhalten lässt die feine Abendgesellschaft rund um ihn erstarren vor Empörung. Anstatt zu rebellieren, senkt man kollektiv die Blicke, um jetzt bloß nicht aufzufallen.

Mit großer Lust inszeniert er die Erschütterung der herrschenden Ordnung. Privilegierte Menschen aus ihrer Comfort-Zone drängen und aufs moralische Glatteis führen; das hat Regisseur Ruben Östlund schon in seinem Vorgängerfilm „Höhere Gewalt“ bravourös exerziert. Dort war es die gut situierte Kleinfamilie im Luxus-Schiressort. In seinem neuen Film „The Square“, der dieses Jahr die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes gewonnen hat, begibt sich Östlund ins Milieu des Kunstmarkts.

Filmstills The Square

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Die Installation „The Square“: Ein symbolischer Schutzraum in Zeiten zunehmenden Vertrauensverlusts. Im Gegenwartsmuseum kann auch das ein Hit sein.

Dort ist Christian Nielsen (Claes Bang), Kurator eines Museums für Gegenwartskunst in Stockholm, ein angesehener Mann. Maßanzug und rote Desinger-Brille inklusive. Gerade wird eine neue Installation mit dem Titel „The Square“ vorbereitet. Ein am Boden markiertes Quadrat, das einen Schutzraum symbolisieren soll. Damit will man auf den zunehmenden Vertrauensverlust innerhalb der Gesellschaft hinweisen.

Doch dann wird Christian auf der Straße beklaut. Während er einen abstrusen Plan verfolgt, um sein Handy und seine Geldbörse zurückzubekommen, führt eine provokante Marketingkampagne für die Installation zu einem massiven Shitstorm. Die Souveränität des narzisstischen Kurators gerät zunehmend ins Wanken.

Regisseur Östund beobachtet & zersetzt

Regisseur Ruben Östlund setzt in Szene wie ein Dokumentarfilmer. Man bekommt leicht das Gefühl, dass er aus genauen Alltagsbeobachtungen heraus inszeniert. Anstatt ausgetretene Pfade der Satire zu gehen, die einem beim Begriff Gegenwartskunst sofort in den Sinn kommen, lotet er das Zwischenmenschliche ganz genau aus. Das kommt am besten dann zur Geltung, wenn die Situation besonders skurril, die Eskalation besonders heftig ist.

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Wer will schon eine Person sein, die anderen nicht vertraut? Eben.

Ästhetisch betrachtet wirken die Aufnahmen in Östlunds Filmen immer geschliffen und poliert. Oft in weiten Aufnahmen, um die Schwere des Moments einzufangen. Etwa, wenn eine alte Statue am Museumsplatz mit dem Kran vom Sockel gehoben werden muss, schließlich ein Seil reißt und das Denkmal donnernd zu Boden kracht. Auch, um den Menschen und seinen Einfluss auf äußere Umstände kleiner zu machen.

Diese konsequent durchgezogenen Stilmittel Östlunds wirken faszinierend. Sie geben den einzelnen Szenen eine befremdliche Energie. Und trotzdem, am Ende wirkt „The Square“ aufgrund seiner Skurrilität, ästhetischen Perfektion und teilweise voneinander isolierten Szenen schon etwas zu unterkühlt. Das liegt auch vor allem daran, dass man vergebens nach Sympathieträgern sucht. Dabei geben die Protagonisten Claes Bang und Elisabeth Moss wunderbare Performances ab. Die Figuren, die sie verkörpern, lassen es aber nicht zu, dass man sich auf ihre Seite schlagen wollen würde.

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Christian und Anne (Elisabeth Moss): der Sesselturm im Hintergrund wirkt stabiler als die beiden.

Das ist schade, speziell, wenn man es mit Östlunds hervorragendem letzten Film „Höhere Gewalt“ vergleicht. Auch dort treibt der Regisseur seine Charaktere in die kleinen Existenzkrisen, in denen sie hilflos zu zappeln beginnen und zu irrationalem Handeln gezwungen werden. Aber gleichzeitig fühlt man mit ihnen, geht ihren Weg mit, fühlt sich vielleicht sogar das ein oder andere Mal selbst ertappt.

„The Square“ ist wesentlich glatter, abstrakt konstruiert, Szene für Szene. Und das passt ja auch wieder ganz gut in das Milieu, die der Film skizziert. Vielleicht muss man Ruben Östlund diese Defizite am Ende einfach verzeihen, weil er im Grunde dann doch ein Dokumentarfilmer im Körper eines Spielfilmregisseurs ist. Ein Erlebnis der ungewöhnlichen Art ist dieser Film aber allemal.

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