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Sex Robots

AFP

Die Mensch-Sexmaschine

Mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Sexroboter sind das nächste große Ding der Sex-Tech-Branche, mit möglicherweise düsteren sozialen Konsequenzen. Sollen sie verboten werden?

Von Michael Riedmüller

Kathleen Richardson gegen Ben Goertzel, das ist das Simmering gegen Kapfenberg der Robotikszene. Richardson ist Anthropologin und Professorin für Roboterethik und künstliche Intelligenz an der britischen Universität Leicester, Goertzel wissenschaftlicher Leiter von Hansen Robotics, einer der führenden Robotikfirmen weltweit.

Auf einer Bühne bei der weltweit größten Technologiekonferenz, dem Websummit in Lissabon, treffen sich die beiden zu einem Streitgespräch über ein Thema, das zunehmend an Relevanz gewinnt: Sollen Sexroboter verboten werden?

Die Debatte als emotional zu beschreiben wäre eine Untertreibung, eine Blutgrätsche folgt der anderen. Ein junger Technerd neben mir schüttelt mit dem Kopf, sobald Richardson das Wort ergreift und kommt mit dem Augenverdrehen kaum noch nach. Die Ethikprofessorin ist Widerspruch gewohnt, seit sie 2015 die „Campaign against sex robots“ ins Leben rief und seither von Techkonferenz zu Techkonferenz tingelt, um ihre Botschaft in die Welt zu tragen. Verbote von neuer Technologie stehen hier am Websummit auf der Popularitätsskala irgendwo zwischen Donald Trump und Kim Jong-un.

Was noch vor nicht allzu langer Zeit wie Science Fiction wirkte, dürfte schon bald Realität werden. Westworld wird zur real world. Was es derzeit bereits am Markt gibt, sind Sexpuppen, die Menschen täuschend ähnlich sehen. Echte Sexroboter, die mit Menschen interagieren können, sind aber nur eine Frage der Zeit, die Entwicklung schreitet rasant voran. Ende des Jahres plant die führende Sexpuppenfirma Abyss Creations, einen ersten Prototyp auf den Markt zu bringen, ein Modell ihrer hyperrealistischen RealDoll mit einem AI-verstärkten Roboterkopf. Geschätzter Kaufpreis: 15.000 Dollar. Mittels künstlicher Intelligenz soll Harmony, so der Name des Chatbots, nicht nur mit ihrem Besitzer interagieren können, sondern sich auch seine Vorlieben merken.

Wie die Puppe aussehen soll, entscheiden die Kunden (nahezu ausschließlich Männer) bis ins kleinste Detail, sogar aus mehr als einem Dutzend Arten von Nippeln können sie auswählen.

„Sexroboter werden bestehende bedenkliche Entwicklungen in unserer Gesellschaft noch verstärken.“

Spätestens in einigen Jahren dürften die ersten echten Sexroboter Serienreife erreichen. Und je näher wir diesem Punkt kommen, umso wichtiger wird die Frage werden: Wie halten wir es ethisch mit Robotern im Allgemeinen und Sexrobotern im Speziellen? „Sexroboter werden bestehende bedenkliche Entwicklungen in unserer Gesellschaft noch verstärken“, erklärt mir Richardson nach der Debatte. Die 45-jährige Anthropologin hat eine klare Mission, akademische Floskeln spart sie sich, stattdessen malt sie dystopische Zukunftsszenarien an die Wand. Sie befürchtet, dass die Menschheit auf eine Katastrophe zusteuert, auf eine totale Entfremdung der Menschen voneinander.

Goertzel, Richardson Gegenpart bei der Debatte, arbeitet zwar selbst nicht an Sexrobotern, ein Verbot kommt für ihn aber Häresie gleich: „Ich will nicht, dass die Regierung eine Technologie nur wegen ihrer möglichen Implikationen verbietet. Das würde einen fürchterlichen Präzedenzfall schaffen“, ruft er in die Halle und erntet Applaus. Die Argumente der Befürworter der Technologie und der Herstellerfirmen laufen häufig darauf hinaus, dass Roboter nur Maschinen sind und keine Gefühle haben, nicht anderes als andere Sexspielzeuge wie Vibratoren. Außerdem könnten sie Menschen helfen, die an sozialen Phobien leiden, ein Trauma erlebt haben, ihren Partner verloren oder eine Behinderung haben.

Noch fehlt jegliche Regulierung

Aimee van Wynsberghe, Ethikprofessorin an der Universität Delft, erklärt bei einer anderen Diskussionsveranstaltung beim Websummit, dass diese Argumente sicherlich diskussionswürdig sind. Genau diese Diskussion fehle aber derzeit, genauso wie jegliche Regulierung. Sollen diese Roboter nur für Menschen da sein, denen damit aus bestimmten Gründen wirklich geholfen werden kann, oder für alle? Wie sieht es mit Sexrobotern aus, die wie kleine Kinder aussehen? In welchen Bereichen sollen humanoide Roboter grundsätzlich Anwendung finden? Welche Auswirkungen hat eine immer stärkere Interaktion mit Maschinen auf uns Menschen?

„Wir sollten tunlichst bald damit beginnen, uns über diese Fragen Gedanken zu machen“, sagt van Wynsberghe. Denn genauso, wie Sexroboter manchen Menschen helfen könnten, könnten sie in der breiten Masse dazu führen, dass Frauen immer mehr zu einem rein sexuellen Objekt degradiert werden. Die Anthropomorphisierung von Robotern könne am Ende zu einer Desensibilisierung und Isolation von Menschen führen, die sie benutzen.

Genau davor warnt auch Richardson. „Bringen wir dieses Artefakt eines Sexroboters in die Welt, dann produzieren wir eine Gesellschaft, die beispielsweise in Japan bereits heute immer mehr zur Realität wird. Die Japaner haben immer weniger Sex, die Geburtenrate dort sinkt dramatisch, viele junge Männer tun sich schwer, Beziehungen mit Frauen zu führen.“ Das Argument, dass Sexroboter Menschen mit verschiedenen Problemen sogar helfen könnten, lässt sie nicht gelten. „Diesen Leuten muss anders geholfen werden, eine Beziehung zu einer Maschine kann echte zwischenmenschliche Beziehungen nicht ansatzweise ersetzen.“

Sex Robots

CC-BY-SA-2.0 / Michael Coghlan

CC-BY-SA-2.0 - Michael Coghlan

Was für Richardson eine Horrorvorstellung ist, sieht die Sexindustrie als das nächste große Ding, um ihren Umsatz von derzeit weltweit rund 30 Milliarden Dollar jährlich in bis dato ungeahnte Höhen zu treiben. Der Markt für Sexroboter dürfte riesig sein. Kürzlich veröffentlichte die Universität Duisburg-Essen eine Studie, laut der vierzig Prozent von 263 befragten Männern sich vorstellen könnten, einen Sexroboter zu kaufen.

Solche Zahlen sind es, die Richardson schaudern lassen. Was passiert mit einer Gesellschaft, in der Sex mit Maschinen, die echten Menschen so nahe kommen wie möglich, zur Normalität wird? Erste Warnungen seien bereits heute zu erkennen, erklärt die Ethikprofessorin: „Die Sexindustrie, Prostitution und Pornographie, erklärt Männern, dass sie die Menschlichkeit von Frauen nicht anerkennen müssen. Du bist ein Konsument, du musst dir um die Gefühle der Frau keine Gedanken machen, es geht ausschließlich um dein Vergnügen.“ Egozentrische Misogynie nennt sie diese Entwicklung. Die Frau sei in dieser Vorstellung ein Tool wie ein Telefon, das man benutzen kann, ein Objekt, kein Mensch.

Das Problem mit Sexrobotern sei nicht die Technologie an sich, denn Technologie sei immer neutral, sagt Richardson. Der Kontext, in dem die neue Technologie eingesetzt wird, sei das echte Problem. Und der Kontext ist eine Gesellschaft, in der Frauen unter Diskriminierung leiden und physisch als auch sexuell missbraucht werden. „Diese ohnehin schon bestehende Ungleichheit wird durch Sexroboter noch verstärkt werden.“

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