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S Weidenbach

Für den eigenen Geschmack kämpfen

Wenn Musikverlegen ein Handwerk ist, sind Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann stolze Meister.

Von Zita Bereuter

Achim Bergmann, „Trikont“-Gründer ist am 01. März 2018 im Alter von 74 Jahren gestorben. Dieser Text ist im November 2017 erschienen.

München ist vielleicht nicht der Nabel der Welt. Musikalisch aber sitzt in München ein Label, das Populärmusik aus der ganzen Welt vertreibt.
Unabhängig und abseits vom Mainstream. Und das seit 50 Jahren. Trikont heißt das Label. Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann sind das Paar, das die Trikontwelt leben lässt. Und Trikont ist das Leben der beiden. Aber der Reihe nach.

Am Anfang war das Wort ...

In den 60er Jahren beherrscht der Vietnamkrieg das Weltgeschehen. Für den Studenten Achim Bergmann ist das damals ein Schock, gründen doch die meisten seiner Vorlieben in der amerikanischen Popkultur. Aber Information zur Weltlage ist rar und so gründen einige Studierende zusammen den Verlag „Trikont“: „Das war ein linksradikales Start-up von Leuten, die keine Ahnung hatten vom Verlagswesen.“

Namensgebend ist die Trikontinentale Konferenz in Kuba und die erste Publikation erhalten die Trikontler von der kubanischen Regierung: Die Tagebücher von Che Guevara.

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Mit bloßer Mund-zu-Mund-Propaganda verkauft sich das Buch rund 100.000 Mal und schafft es sogar auf die Spiegel- Bestsellerliste.

Auch das zweite Buch wird zu einem großen Erfolg: die Maobibel. Die „Worte des großen Vorsitzenden Mao Tsetung“ verkaufen sich nicht nur in linken Buchläden, sondern liegen auch in Bahnhofskiosken auf.

Die Macher von Trikont publizieren zu den Themen, die sie beschäftigen. Eine Ehrlichkeit, die viele überzeugt.

Angelehnt an die Kampflieder der italienischen Arbeiter-Studenten-Bewegung Lotta Continua, will Trikont auch Protestmusik machen. Musik, deren Texte man gerne mitsingt. Erst übersetzten sie aus dem Italienischen, bald schreiben sie eigene Songs. Die erste Platte „Wir befreien uns selbst“ singen die VerlagsmiterabeiterInnen selbst ein. Die Nachfrage ist groß. Als „Neoprimitve akustische Pre-Punk-Musik“ wird sie später bezeichnet.

...dann kam die Musik

Schon bald kommt es zur Zusammenarbeit mit Ton, Steine, Scherben. „Keine Macht für Niemand“ wird bei Trikont verlegt.

Trikont gründen einen Frauenverlag und bringen eine Platte mit Protestsongs von Frauen heraus. Sie engagieren sich in der Anti-AKW-Bewegung, veröffentlichen verschiedene Straßenmusiker und solidarisieren sich mit den amerikanischen Ureinwohnern – mit indianischen Kriegern.

Die Plattenverkäufe laufen im Gegensatz zum Buchverlag recht gut. 1980 trennt sich das Plattenlabel vom Verlag. Zwei Jahre später bringt Trikont den ersten musikalischen Themensampler heraus:„Fünf Griechen in der Hölle“ heißt der Rembetika-Sampler, der auch international ein Erfolg wird. Alte Schellackplatten werden für Trikont immer wichtiger. Sie publizieren schwarze Hillbilly-Musik und in Folge Cajunmusik mit französischen Wurzeln. Später dann rare Schellacks - auch aus Wien. Daneben featuren sie heimische Künstler wie Ringsgwandl und Hans Söllner. Söllner wird zu einem Eckpfeiler des Labels.

Populärmusik ist das Credo von Achim Bergmann – in keiner andern Kunst können sich die Leute besser ausdrücken.

Nach wie vor verehrt Achim Bergmann das Akkordeon und die Pogues. Er sei oft verzweifelt gewesen, weil das Konzept mit traditioneller Musik in Kombination mit Punk so schwierig doch nicht war. Und dann kommt die Offenbarung – aus Österreich: Attwenger.

Attwenger

Trikont

„Attwengern heißt – im Dialekt denken und den Schädel in den Most tauchen.“

Die blutjungen Attwenger - Markus Binder und Hans-Peter Falkner - schicken gleich ein Video an Trikont. Ein kluger Schachzug - Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann sind von dieser Brechung begeistert. „Es war das erste und letzte Mal in unserer Geschichte, dass wir eine Flasche Sekt geholt haben. Wir haben auf Attwenger angestoßen und drei Tage später waren die hier.“ Attwenger werden auch vom Godfather der Radio-Djs, John Peel, gespielt.

Trikont widmet sich weiter Perlen der Musikgeschichte und veröffentlicht rare Schellacks - populäre Volksmusik von 1902-1948 aus Bayern und Österreich – Musik vom Grammofon. Derweil zieht der Musiker und Autor Thomas Meinecke durch Texas und nimmt mit seinem Walkman Blasmusikkonzerte auf: Polka aus Europa trifft auf Hillybillytradition.

Bei Trikont wird auch einem Lied ein Denkmal gesetzt: „La Paloma“. Nicht ein, zwei oder drei Mal lockt die Seemannsbraut, das Meer. Über 80 Versionen aus der ganzen Welt füllen schließlich sechs Sampler mit diesem Seemannssong, dieser Ursonate des Pop.

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In den 90ern startet der Journalist und Schriftsteller Franz Dobler die Serie „Wo ist zu Hause Mama?“ und nimmt dafür Indiebands aus Hamburg und Berlin.

Mit dabei sind Funny von Dannen und Rocko Schamoni. King Rocko war einer der wenigen, der das Konzept von Trikont gleich verstanden hat, erklärt Achim Bergmann: „Aus einem populären Bereich etwas mit einem gegen den Mainstream gerichteten Ton zu verbinden.“ Denn „Das Normale wird besonders, wenn man es mit Aufmerksamkeit und Sorgfalt behandelt. In jedem von uns ist was Normales und was Schräges.“

In die Kerbe schlägt auch der Scheitel, eine großartige Versammlung trinkfreudiger österreichischer Untergrundmusiker, die ihre Liebe zum Schlager frönen. Mit dabei auch Fritz Ostermayer, der Ende der 90er zwei vielbeachtete Sampler mit Trauermärschen und Totenliedern vorlegt. Raritäten vom Friedhof.

Erwähnenswert ist auch schwarzer trauriger Soul aus den Südstaaten, finnischer Tango und ein Tribute an den Countrykönig Hank Williams.

Buchcover zu Die Trikont Story

Heyne Hardcore

Christof Meueler, Franz Dobler: Die Trikont-Story. Musik, Krawall & andere schöne Künste. Heyne 2017

Ende der 90er nehmen drei österreichische Architekturstudenten in Vietnam Straßenmusiker auf, die amerikanische Songs spielen. „Shit Music“ nennen es die Locals. Im deutschsprachigen Raum floppt die Platte, in New York ist sie auf Platz zwei der DJ-Charts.

Ho! – Roady music from vietnam zeigt besonders schön den Blick, den Trikont auf die Musik der Welt hat. Es geht nicht darum, alte Instrumente zu polieren und so zu tun, als wäre das früher. „Was machen Bereiche der Welt, die alle ihre Schüsseln auf dem Dach haben? Die alle alles sehen können? Was machen die damit und wo kommen da ihre Einflüsse zu tragen?“

Die Nullerjahre sind durch den 11. September 2001 geprägt und bei Trikont legt man den Fokus auf amerikanische Musik und die Anti-Folk-Bewegung. Es folgen amerikanische Emigrationslieder, Black and Proud, Early Black Rock’n’Roll und die Sampler zu the Soul of Black Country. Achim Bergmann und Eva Mair-Holmes bringen mit Dirty Laundry auch schwarze Countrymusik heraus.

Trikont verlegen mit Vladimir Kaminer Russendisko, jiddische Musik und Undergroundgrooves aus der Türkei. In Bayern wird LaBrassBanda groß und aus Wien kommt die Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune.

Trikont ist der Himmel für Musikliebhaber und die Hölle für Businessplaner. In einem Interview für eine Finanzzeitung werden die beiden gefragt, wie sie wachsen wollen. Sie erklären ihm, dass sie nicht wachsen wollen. „Dann hat er gesagt: ‚Ja, aber sie haben eine Firma. Sie müssen doch wachsen.‘ Dann haben wir gesagt: ‚wir wollen nicht wachsen.‘ Dann ist der vollkommen verzweifelt gegangen.“

Trikont haben den Umstieg von Vinyl auf CDs und im weiteren auf mp3s miterlebt. Die Herausforderung ist aber nicht die Technik, erklärt Achim Bergmann: „Es geht darum, die Ökonomie der Aufmerksamkeit, wie sie das heute alle nennen, zu durchbrechen in dem Sinne, dass die Leute ihre eigene Aufmerksamkeit wieder entwicklen oder behalten und sich nicht nur in Algorithmen reinschieben lassen.“ Wichtig sei daher, dass sich wieder eine Art Selbstbewusstsein entwickelt, dass man einen eigenen Geschmack haben will. Und dafür müsse man auch kämpfen.

Ein Kampf, der sich lohnt! Und einer, den Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann seit 50 Jahren erfolgreich führen!

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