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Morrissey auf der Bühne

Monika Stolarska

Louder than Bombs

Selten zimperlich: „Low in High School“, das neue Album von Morrissey.

Von Philipp L’heritier

Die Luft ist noch nicht draußen aus Morrissey. Dass der einstige Frontmann der Smiths im Alter milde geworden sein könnte, wird auch keiner geglaubt haben.

Gerade hat der immer streitbare Morrissey sein elftes Soloalbum veröffentlicht und lässt da noch einmal die Muskeln spielen: hinsichtlich Themen und Pointen, Spitzen gegen dies und jenen und opulenter Dramatik. Aber auch hinsichtlich Stimmgewalt und orchestralem Überschwang. „Low in High School“ von Morrissey ist ein Album geworden, über das man reden wird wollen. Man kann es auch hören.

Mit dem ersten Song der Platte scheint sich Morrissey zunächst der versöhnlichen Form des gut abgehangenen Liebesliedes anzunehmen: „My love, I’d do anything for you“ heißt das Stück, und darum geht es dann auch. Unter anderem.

Morrissey singt davon, wie sehr es doch wärmt, die Umarmung einer herzlichen Person zu spüren. Und davon, wie sehr die Sehnsucht doch stechen kann, wenn sie die Erfüllung nicht findet. In diesem Lied jedoch bleibt die zärtliche Pflanze der Zweierbeziehung nicht hermetisch eingeschlossen in der intimen Kammer, in der man sich um nichts und niemanden kümmern muss als das Gegenüber.

Privat & Politik

Bei Morrissey toben draußen freilich widrige Umstände, eine tyrannische Gesellschaft macht uns das Leben schwer: „Teach your kids to recognize and despise all the propaganda, filtered down by the dead echelons maintream media“ – so gehen gleich die ersten Zeilen in „My love, I’d do anything for you“. Und bald heißt es dann: „Weren’t we all born to mourn and to yawn at the occupations that control every day of our lives“.

Morrissey kann so etwas singen und auch die Worte „Mainstream Media“ im Mund schmelzen lassen, ohne, dass er wie ein verwirrter Verschwörungstheoretiker klingt.

Der Song ist dann auch in musikalischer Hinsicht gleich als Aufruf zum Kampf gestaltet. Verzerrte Gitarren, geiler Bläser-Pomp, Trommel-Bombast. Eine Marsch-Hymne. Und so geht das dann weiter auf „Low in High School“, in der Art, die es die Art des Morrissey ist, mischen sich die hochprivate Gemütsbespiegelung und das ausdrücklich Politische, die süßesten Gladiolen werden von der gereckten Faust umschlungen.

Das sollte das Normale sein. Morrissey gelingt jedoch die Überlagerung beiläufig – und das, obwohl er immer dick aufträgt und alles als epochalen Weckruf inszeniert. Der Song „Who will protect us from the police“ lässt schon im Titel die Drastik sprechen, die Nummer „Home is a question mark“ ist klassisch süffisant-zerbrechlicher Morrissey, mit dem üblichen Charme der glanzvollen Traurigkeit: Der Mann sucht die Hand, die streichelt, eine Heimat. Wo mag sie sein?

Kein Gott, kein Staat

Das zentrale Stück „I bury the living“ hat keine Sympathien für die aufrechten Patrioten, die in fernen Ländern den Dienst für Königin und Vaterland leisten: „Give me an order – I’ll blow up a border. Give me an order and I’ll blow up your daughter“.

Am besten aber ist Morrissey, wenn die Durchdringung der Motive und Themen innerhalb eines Songs glückt, beispielsweise in der wunderbaren, kleinen Single „Spent the day in bed“, die die persönliche Faulheit und den Müßiggang als politische Geste der Verweigerung deutet.

Der Song „In your lap“ ist da das plakativste Stück, und so soll es auch sein, Morrissey sagt hier, dass es nicht bloß das Eine und das Andere gibt, sondern dass die Ebenen, die Zustände, die Gefühle miteinander verwoben sind.

Er singt hier zunächst vom Arabischen Frühling, danach vom brennenden Wunsch nach Sex: “They tried to wipe us clean off the map / And I just want my face in your lap".

Gefährlicher Bombast

„Low in High School“ ist entsprechend gewaltig und überzuckert arrangiert, im besten Sinne, voller Details und Soundideen, bisweilen schon Richtung Broadway-Showtune gebogen, aber eben vergiftet und voller Galle. Es zittert und scheppert und donnert, bisweilen quietschen und ächzen Synthesizer, wir steigen hinab in ein dampfendes Post-Punk-Cabaret, zwischen roten Samtvorhängen wird aus goldenen Kelchen der Arsen-Cocktail gereicht.

Morrissey sitzt an einem Tisch

Sam Rayner

Die Abschlussnummer auf „Low in High School“ hat Morrissey „Israel“ genannt. Wohlwissend, dass alleine der Titel von vielen als Provokation verstanden werden wird. Immer wieder ist Morrissey in Israel aufgetreten und hat seine Sympathien zum Ausdruck gebracht.

Er ergreift in dem Song aber eben nicht Partei: „I can’t answer for what armies do, they are not you, they are not you, they are not you“.

Und so funktioniert die Platte, auch oft die Idee Morrissey: ein saftiges Hantieren mit starken Meinungen, oft auch mit bloßen Schlagworten als Trigger, bei dem aber Irrwege und das Verlorengehen in nebulösen Ahnungen zum Programm gehören. Ein schlaglichtartiges Auf-den-Punkt-Bringen und ein diffuses Umkreisen des Lebens, das kompliziert ist, Unfug inklusive.

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