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Düsteres Bild: Ein See, Bäume im Nebel

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Unglück als einziger steter Begleiter

Laura Freudenthalers sehr lesenswerter Debütroman „Die Königin schweigt“ handelt von Altern in Einsamkeit, der Frage nach dem Sinn und aufgestauten, unausgesprochenen Gefühlen.

Von Lisa Schneider

Bald ist Weihnachten. Viele packen spätestens am 23. Dezember ihre Sachen zusammen und machen sich auf den Weg zu den Eltern, die sich freuen, wenn die Familie wieder zusammenkommt. Fanny, die Protagonistin und „schweigende Königin“ in Laura Freudenthalers Debütroman, ist zu Weihnachten nirgendwo hingefahren, weil sie nie fort war. Den Luxus, weg von zu Hause zu gehen oder gar zu studieren, hat sie nicht vermisst. Vielmehr fehlte ihr die erwähnte Freude, mit der die Eltern die endlich heimkehrenden Kinder herzen werden.

Enge Familienbande

Fanny wächst in den Dreißiger Jahren in einem nicht näher beschriebenen Dorf in Österreich auf. Sie hat einen älteren Bruder, Toni, der seinen Einsatz im Zweiten Weltkrieg nicht überleben soll. Ihre Mutter, „mehr ein Hausgeist“, ist schwach, und ihre zwei Kinder haben ihre letzten Kräfte geraubt. Sie flüstert oft vor sich hin, und Fanny, wenn sie in ihrem Versteck unter der Eckbank hockt, ist sich nicht sicher, ob diese Säuselstimme außer ihr überhaupt jemand hören kann.

Laura Freudenthaler

Marianne Andrea Borowiec

Laura Freudenthaler wurde 1984 in Salzburg geboren. Sie hat Germanistik, Philosophie und Gender Studies studiert und lebt derzeit in Wien. Ihr Erzählband „Der Schädel von Madeleine. Paargeschichten“ ist 2014 erschienen.

Der Vater ist klassisch gezeichnet: Eine unbeugsame, strenge Figur, ein schwarzer Adler, der immer über allem kreist. Er kann nicht stillstehen, muss immer etwas tun, sein Leben ist der Hof in der Senke, der seit Generationen in der Familie weitergegeben wird.

„Beim Essen war Fannys Platz neben dem Vater. Einmal war sie auf seinen Schoß geklettert und hatte ihm die Arme um den Hals gelegt. Sie hatte ihm etwas sagen wollen. Der Vater hatte den Kopf nach hinten gebogen und von dort das Kind betrachtet. Fanny hatte die Entfernung gesehen, die sich in seinem Blick auftat, als der Vater den Kopf zurücknahm. Sie spürte, dass ihre Hände am Vaterhals ungehörig waren.“

Fanny soll zur Schule gehen, sie soll einmal nicht abhängig sein. So stapft sie mehrere Jahre lang jeden Tag für kilometerweit durch Schlamm oder Schnee, um zu lernen, wie man näht, kocht, den Haushalt führt.

Als ihr Bruder Toni stirbt, macht sich erstmals ein Gefühl in Fanny breit, das sie zwar in ihrer kindlichen Fantasieverdrängen kann, das sie aber bald einholen wird: die tiefe, leere Einsamkeit. Sie wird Fanny ihr Leben lang begleiten, gestützt von der einzigen zwischenmenschlichen Beziehung, die sie genau kennenlernt. Die ihrer Eltern, die von Distanz, Wort- und Gefühlskargheit geprägt ist. Zuneigung oder gar Zärtlichkeit gibt es keine. Die letzte Kriegs- bzw. erste Nachkriegsgeneration, hatte ein ganz anderes Familienbild als heute: Kinder waren Arbeitskräfte, Mäuler, die man stopfen musste. Buben, vor allem aber Mädchen musste man vernünftig verheiraten.

Vom Verlust erzwungener Beziehungen

Fanny war früher schön und elegant, der Stolz darüber blitzt in ihren Erzählungen immer wieder auf. Erzählungen, die nur sie selbst hört, die nur in ihrem Kopf stattfinden. Der frühe Stolz bewegt Fanny dazu, etwas Besseres aus ihrem Leben machen zu wollen. Sie heiratet den Lehrer, den mit den Geheimratsecken und den Wutanfällen, die nur sie zu bekämpfen vermag. Ihr Sohn, nach ihrem Bruder Toni benannt, wird zum Mittelpunkt ihres Lebens. Weil er ihr einziges Kind bleibt, auch zum Ausgangspunkt einer erneuten, noch schmerzvolleren Welle an Einsamkeit.

Ihr Sohn wird sich abwenden, er wird eine Freundin finden, die Fanny nicht mag. Ihr Mann kommt ums Leben, auf dem Weg heim vom Wirtshaus war es doch ein Schnaps zu viel. Auch spätere Liebschaften verlaufen im Sand. Toni und seine Tochter, also Fannys Enkeltochter, das ist die Familie, die bleibt. Dabei spricht Toni seit frühen Teenagerjahren nicht mehr mit seiner Mutter, oder nur, wenn die Wichtigkeit der Sache es verlangt. Die Enkeltochter wiederum, als Kleinkind noch angenehm, wird später immer aufdringlicher, wenn es um Vergangenheitsforschung geht, will mehr von ihrer Großmutter wissen.

LESUNGEN

Laura Freudenthaler liest aus „Die königin schweigt“

  • 26.11. im Rahmen der Literaturtage in Freistadt
  • 29.11.17 im Literaturhaus Salzburg
  • 11.12.17 in der Alten Schmiede Wien
  • 25.1.18 im Literaturhaus Innsbruck

„Die Enkeltochter hatte mit Fanny über Erinnerungen sprechen wollen. Nicht deine Märchen aus dem Dorf, hatte sie gesagt. Die wirkliche Vergangenheit. Fanny hatte gelächelt. Sie hatte nicht verstanden, was das Kind von ihr wollte. Sie wusste es immer noch nicht. Vielleicht hatte das Kind mittlerweile verstanden, dass man die Toten besser ruhen lässt, und war deshalb verschwunden.“

Fanny trägt ihre Erinnerungen mit sich wie ein Buch, das in ihre Manteltasche eingenäht ist. Wie das Buch, das ihr ihre Enkelin geschenkt hat, das mit den goldenen Buchstaben auf dem Rücken, in das sie die Dinge hineinschreiben soll, über die sie nicht sprechen kann. Die Seiten bleiben leer.

Der lange Schatten der Vergangenheit

Schon lange schläft Fanny nicht mehr, die Erinnerngen und Fantasien halten sie munter und ketten sie an einen unangenehmen, plagenen Wachzustand. Wie eine alte Katze schleicht sie durchs Haus und hört auf frühere Geräusche, die ihr heranwachsender Sohn in seiner Tischlerwerkstatt im Keller fabriziert hat.

„Heimlich, ohne Fannys Zutun, hatte der Körper über die Jahre alles bewahrt. Und jetzt, da er so schwach war, da Fanny nur noch wenig Nahrung zu sich nahm und der Körper nichts mehr zu tun hatte, waren die Erinnerungen wie organische Prozesse, die eigenständig und ohne willentliche Steuerung vor sich gingen. Früher hatte sie geglaubt, die Kontrolle über den Körper und das Gedächtnis zu haben. Nun lag sie hilflos in ihrem Ehebett und lachte in die Stille, weil sie so dumm gewesen war.“

Cover "Die Königin schweigt" von Laura Freudenthaler

Droschl

Laura Freudenthalers Debütroman „Die Königin schweigt“ erscheint im Literaturverlag Droschl.

Die Geister ihrer Vergangenheit wird sie nicht los, sie jagen und hetzen Fanny durch ihre letzten Tage. „Das Leben bestand daraus, dass man immer mehr Tote ansammelte, bis man ihr Gewicht nicht mehr tragen konnte.“ Fannys Geschichte ist eine konzentrierte, eine traurige, stille. Die Gegenwart wird dabei so intensiv mit der Vergangenheit verwoben, dass die Grenzen manchmal nicht auszumachen sind. Die Gefühle von Verlust und Angst, vom Alleinsein und dem fehlenden Willen, aufzustehen, erlebt die „Königin“ als 30- wie als 60-Jährige.

Ein Psychogramm und ein Familienroman

Mehr noch als das, ist es ihr beschränkter Aktions- und Gefühlsradius, der Fanny in ihrem Dasein beschränkt. Gesellschaftliche Normen werden nicht hinterfragt, das wird sie schon als junges Mädchen gelehrt, auch über Emotionen wird nicht gesprochen. „Die Königin schweigt“ liest sich wie ein Psychogramm, gleichzeitig wie ein Familienroman. Was die Familien zusammenhält, sind nie aufgearbeitete, sich über Generationen spannende Traumata - sei es Kriegsverlust oder andere Schicksalsschläge.

Die Hoffnung blinzelt in manchen Momenten durch: wenn etwa die Ribiseln im Garten reifen, wenn die Nusstorte im sonnengefluteten „Sommerzimmer“ vernascht wird oder eine Freundin auf ein heimliches Glas Heidelbeerlikör vorbeikommt. Ansonsten aber, das hat sie die Zeit gelehrt, gibt es in Fannys Leben nur einen steten Begleiter:

„Das Unglück war ein Wesen, das manchmal verschwunden zu sein schien, weit weg und nicht zu sehen, aber es verlor nie die Spur. Ein Wildtier, das eine Beute verfolgt, von der es weiß, dass sie ihm nicht entkommen wird. Ein Tier, das sich in der Wildnis besser auskennt und gewandter ist als alle anderen und ihnen daher unendlich überlegen. Ein erhabenes Tier.“

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