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„Denunziation - Erzählungen aus Nordkorea“

Unter dem Pseudonym „Bandi“ gibt ein nordkoreanischer Autor authentische Einblicke in das abgeschottete Land. Die Texte sind in den Neunzigern aus Nordkorea hinausgeschmuggelt worden und jetzt zum ersten Mal auf Deutsch erschienen.

Von David Pfister

Es vergeht momentan kaum ein Tag, an dem Nordkorea nicht in den internationalen Schlagzeilen auftaucht. Gerade gestern hat US-Präsident Donald Trump das Land wieder auf die Terrorliste gesetzt. Aber so berühmt-berüchtigt das isolierte Land ist, so unbekannt ist es auch.

Denunziation

Piper Verlag

„Denunziation - Erzählungen aus Nordkorea“ von Bandi, übersetzt von Ki-Hyang Lee, ist im Piper Verlag erschienen

Atomtests, Hungersnöte, strikte Überwachung, Diktatur und Totalitarismus. Nordkorea steht für vieles, aber mit Kunst und Kultur assoziiert man es nicht. Vielleicht noch am ehesten mit dem kruden Reiz der überladenen Propagandamalerei, aber das war’s dann schon. Eine eigenständige Literatur aus Nordkorea, abseits von Parolen und Staatspropaganda, war bisher nicht bekannt. Und ein Blick in die intellektuelle Seele des Landes nicht möglich. Die sieben Kurzgeschichten des Sammelbandes „Denunziation - Erzählungen aus Nordkorea“ des Autors Bandi ändern das.

Sobald das Urteil gefallen war, hatten sie nicht einmal mehr das Recht, ihre Sachen selbst zu packen. »Genosse, dein Verhalten in dieser oder jener Sache, an diesem oder jenem Tag, hat den Ablauf unseres großen Ereignisses gestört. Die Partei hat deswegen beschlossen, dich aufs Land zu schicken«. Die Vollstreckung erfolgte sofort. Mehrere Parteifunktionäre kamen mit Säcken und Schnüren, die aus Reishalmen gedreht waren. In Anwesenheit des zuständigen Beamten der Staatssicherheit packten sie im Handumdrehen die Habseligkeiten der betroffenen Familie, bevor diese überhaupt reagieren konnte.

In den Neunzigerjahren wurden die Texte auf abenteuerliche Weise aus Nordkorea in den Westen geschmuggelt. Verfasst von einem nordkoreanischen Schriftsteller und Dissidenten, der sich Bandi nennt und über den man nur weiß, dass er 1950 geboren wurde und offiziell als anerkannter Schriftsteller für das Regime arbeitet. Die Texte sind zeitlich in den Achtziger- und Neunigerjahren verortbar, als Nordkorea von Kim Il-sung und in Folge von seinem Sohn Kim Jong-il beherrscht wurde und das Land unter einer enormen Hungersnot zu leiden hatte.

Wenn man dir befiehlt, die Stadt zu verlassen, dann hast du dies zu tun, ohne zu murren, anstatt über lauter belanglose Sachen nachzudenken! Du hast geglaubt, die Stadt gehöre dir? Aber keineswegs, sie gehört nur uns allein!

Bandis Schreibstil ist nüchtern und zurückhaltend, gleichzeitig oft hintergründig-ironisch, aber niemals zynisch. Dafür wiegen die Dramen seiner ProtagonistInnen zu schwer. Beispielsweise die Episode über die Deportation einer Beamtenfamilie. Grund für die Verschleppung: die Angst des kleinen Sohnes vor der gigantischen Stalinstatue.

Bandi erlaubt einen Blick in eine Gesellschaft, von der wir schon längst wissen, dass sie eine wahrgewordene Orwellsche Dystopie ist, die aber natürlich facettenreicher und komplexer ist, als man von einschlägige TV-Dokumentationen um 23:00 Uhr weiß.

Das hat auch damit zu tun, dass die von Bandi erzählten kleinen und großen Dramen, nicht ausschließlich an die nordkoreanische Autokratie gekoppelt sind. Weil auch in Nordkorea wird Bier getrunken, geraucht und sich verliebt. Die Erzählungen aus Nordkorea sind nicht nur relevante historische Erklärungen, sondern bergen auch eine karge, lesenswerte Romantik in sich.

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