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Björk mit türkisem Pelz und Strap On

Embassy of Music/Warner

Utopia, it’s here

Not repeating the fuck-ups of the fathers: Björk gibt sich auf ihrem neunten Album „Utopia“ optimistisch, feministisch, verletzlich und wissend zugleich.

Von Katharina Seidler

Für das britische Magazin Mixmag, dessen Cover sie im Dezember ziert, hat Björk Guðmundsdóttir einen Mix aufgenommen. Er besteht aus Musik, die sie im vergangenen Jahr begleitet hat, und laut Eigenaussage lauten die beiden Grundthemen: Flöten und Luft.

Tatsächlich schwirren Flötenklänge schon ab den ersten Minuten durch die Tracks, Atem auf dem Weg durch Holzrohre, vorbei an Klassikern der Minimal Music, an zeitgenössischen klassischen Kompositionen, an arabischem Pop, wilder Krachelektronik, futuristischem R’n’B, kubanisch-inspirierter Bass Music und vielem mehr. Am Ende stehen ein paar ausgewählte Flötenstücke aus Neu Guinea und „Various birdsongs from Iceland“.

Bei den meisten anderen Menschen wäre eine solche Musikzusammenstellung kaum mehr als ein absichtliches Zurschaustellen eines eklektischen Geschmacks. Bei Björk aber kann man sich wirklich vorstellen, wie sie zu den Klängen neu-guineischer Sakralmusik Frühstück macht oder mit den polyphonen a-capella-Gesängen zentralsardischer Männerensembles im Ohr durch Island streift. Alles ist möglich, wenn es um Björk geht, und die Möglichkeiten dieses „alles“ zersprengt und definiert die Künstlerin seit Jahrzehnten mit jeder Platte neu. Die Erde ist ein besserer Ort, weil es Björk gibt.

Utopia, it’s here

Auf „Vulnicura“, das Werk eines gebrochenen Herzens, das die Wunde, aber auch ihre Heilung bereits im Titel trug, folgt nun zwei Jahre später Album Nummer Neun, „Utopia“. Wieder gibt der Name die Richtung vor: Es geht bergauf.

When I spot someone who is same height as you
And goes to same record stores
I literally think I am five minutes away from love

(„Features Creatures“)

Björk "Utopia" Albumcover

Embassy Of Music/Warner

Zu Beachten auf diesem Bild neben der Stirnverzierung: die Flötenlöcher im Hals und das Vogelküken

Wenig überraschend kehrt Björk auch diesmal nicht zum Format „Popsong“ zurück, dem sie sich zumindest zu Beginn ihrer Björk-Karriere noch ab und zu gewidmet hat. Konventionelle Strophe-Refrain-Muster oder einfach nachklopfbare Rhythmen sind ihr in ihrem eigenen Klanguniversum schon lange fremd.

Unter Mithilfe ihres kongenialen Produktions-Partners Arca hat Björk wieder karstige Beat-Landschaften gebaut, zerschossene Rhythmusfelder, die unter der Oberfläche brodeln und sich krachend entladen, und doch noch genug Raum lassen für die Luft, in der auf „Utopia“ alles vibriert: Die freifließende Harfe, das zwölfköpfige, von Björk persönlich dirigierte Frauen-Flötenorchester, ihre punktgenauen, ewigen Textzeilen – auf „Utopia“ vielleicht expliziter als zuvor. Jeder Satz ein Treffer, vorgetragen in Björks ureigener Sprache.

Break the chain of the fuck-ups of the fathers
It is time: For us women to rise and not just take it lying down
It is time: The world, it is listening

(„Tabula Rasa“)

Auch wenn es in den 14 neuen Songs einzelne Momente des Liebesglücks gibt, ist „Utopia“ vor allem ein Album der Selbstermächtigung, ein feministisches Manifest mit Raum für Zerbrechlichkeit. Mithilfe ihrer Flöten sowie zahlreicher Vogelrufe lockt Björk zurück zur Natur, in der so etwas wie Unschuld möglich ist, trotz erlittener Wunden, trotz der Verletzungen, die man selbst in der Vergangenheit anderen zugefügt hat. „Watch me form new nests, weave a martriarchal home“, heißt es im Abschlusstrack „Future forever“, der die loophaften Erinnerungen an Vergangenes endgültig von sich weist und für eine Zukunft voll bedingungsloser Liebe plädiert: „Hold fort for love forever“.

Björk Nacken aus "Blissing Me"

Embassy Of Music/Warner

„Utopia“ von Björk ist am 24.11.2017 via Embassy of Music erschienen. Bezahlen kann man es unter anderem in Bitcoin.

Erlösung findet das lyrische Ich außerdem in der Erotik, die auf „Utopia“ unmissverständlich deutlich ausformuliert ist. Im Schoß von Mutter Natur, eingehüllt in geistige wie körperliche Formen von Liebe, wird Björk zur hippiesken Instanz: Philosophin und verletzliches Individuum zugleich, Erdgöttin, Naturwesen, und Technik-Virtuosin in einem, Mutter, Frau, Geliebte und Verlassene.

My sexual DNA
X-rays of my Kamasutras
Summons different bodies
Compares spines and buttocks
And back of necks

(„Body Memory“)

So konkret Björk auf ihrem neuen Album textlich gearbeitet hat, so schwebend und fließend bleibt sie in der Musik. Kaum eine fassbare Melodie bietet den Ohren Halt, verlieren kann man sich eher in den sorgfältigst aufeinander abgestimmten Produktionsschichten und dem ätherischen Gesamtuniversum ihrer Utopie. In weltpolitisch dunklen Zeiten wie diesen findet Björk in einer versöhnlichen Natur den Glauben an die Liebe zwischen zwei Menschen, mit all ihren Wirrnissen. All is full of love.


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