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Chrysta Bell

Hanna Pribitzer

Von Freak-Americana bis Dark Pop

Das Blue Bird Festival feiert seinen 13. Geburtstag mit gewohnt facettenreichem Line Up. Das waren die beiden ersten Abende im Wiener Porgy & Bess.

Von Lisa Schneider

Ein gutes Festival hat ein diverses Line-Up. Mit Künstlerinnen und Künstlern, die im besten Fall aus der ganzen Welt anreisen. Adam Green und Amanda Palmer aus den USA, Edwyn Collins aus UK. Aldous Harding aus Neuseeland, Lola Marsh aus Israel, Villagers aus Irland oder Polkov aus der Steiermark. Das sind nur einige wenige der großen Namen, die in den letzten Jahren beim Blue Bird Festival aufgetreten sind.

Ein gutes Festival bietet aber auch Annehmlichkeiten außerhalb der musikalischen Gestaltung: dass die WCs und die Bar auf kürzestem Weg zu erreichen und nicht ständig überlastet sind, dass die Location, auch wenn man ein bisschen zu spät kommt, noch einen guten Sitz- oder Stehplatz bereithält.

Institution Blue Bird

Das Blue Bird Festival wird mittlerweile schon das 13. Mal von der Vienna Songwriting Association unter Kurator Klaus Totzler und Co-Kuratorin Jenny Blochberger gestaltet und erfüllt auch heuer wieder alle diese Kriterien. Viele BesucherInnen kommen schon seit vielen Jahren her, betont Klaus Totzler in seiner Ansprache. Das Blue Bird ist eine Institution, für die man sich das eine Novemberwochenende freihält. Der Altersschnitt ist natürlich nicht der eines FM4 Frequency Festivals oder eines Nova Rock, aber vor allem je näher es gegen Hauptact des Abends zugeht, desto jünger werden auch die Besucher.

Und an jedem Tag ist auch eine österreichische Band im Line-Up vertreten, die Kuratoren können dank der heimischen Songwriter-Szene aus „einem reichen Pool“ schöpfen, wie sie im Interview sagen.

Saint Chameleon

Hanna Pribitzer

Saint Chameleon

Hinab in den Fischbauch

„I cannot hide that true nature of mine“ singt Luka Sulzer, Sänger und Gitarrist der Grazer Band Saint Chameleon, der Opening Acts am ersten Abend, von dem ich gerade noch die letzten Töne höre. Schon jetzt, kurz nach acht Uhr, hat sich eine ganz eigene Stimmung zusammengebraut: Im Gegensatz zu anderen Konzerten warten viele BesucherInnen schon Stunden vor Einlass am Eingang, um den Abend früh beginnen zu lassen. Sie alle strömen hinab in den schönsten Wiener Fischbauch, dem eigentlichen Jazz-Club Porgy & Bess, mit Bühne, rundem Zuschauerraum und mehreren Etagen von Balkonen.

Saint Chameleon machen einen erdigen, stampfenden Wüstenblues, die alte Americana-Schule lacht den Musikern, die ihren Auftritt sichtlich genießen, über die Schulter. „Tom Waits“, sagt Luka auf die Frage, wer ihn inspiriert, während er draußen CDs signiert. Ein Zuhörer ist ganz erstaunt. Er will unbedingt den Einfluss von Benjamine Clementine herausgehört haben.

Quietschen, Ziepen, Heulen

So elegant und gediegen der Ort, so experimentell die Soundexperimente, die man am Blue Bird Festival jedes Jahr wieder zu hören bekommt: Manche erinnern sich vielleicht noch an den Auftritt von Aldous Harding im Vorjahr, wie sie fast schon erschreckend und gespenstisch ihre Stimme und ihre Mimik in vorher ungekannte Positionen gebracht hat.

Den so schön angepriesenen Merch von Mary Ocher kann man auch nach dem Festival noch hier erwerben.

Mary Ocher, die russischstämmige Israelin, steht ganz in dieser Tradition: Ein „Rawwwwr“ donnert von der Bühne, dazu gibt es einmal Klavier- dann wieder nur Synthesizer- oder Flötenbegleitung. Dazu Stimmgewalt wie in der „Zauberflöte“: Mary Ocher singt, als wären wir ein paar Häuser weiter in der Staatsoper gelandet. Und sie weiß, wie man sich verkauft: ihren Merch, vom Tape bis zur 7-Inch, präsentiert sie nach und nach auf der Bühne. „And for those who don’t like to buy anything, that’s cool. Here I got a code for you, so you can download my music for free“.

Mary Ocher

Hanna Pribitzer

Mary Ocher

Der zu kurze Fan-Moment

In einer kurzen Rauchpause vor der Tür bleibt auf einmal ein weißer, kleiner Sprinter vor dem Porgy & Bess stehen, heraus huscht, in glitzernder Strumpfhose, die Frau, für die heute die meisten ihre Tickets gelöst haben: Chrysta Bell. Einer ihrer Fans ist zu nervös, um sie um ein Selfie zu bitten. Das hätte er aber gerne tun können – nach ihrem Auftritt zeigt sich, dass Chrysta Bell sehr froh über den Kontakt mit dem Publikum ist.

Bevor sie die Bühne als abschließender Act des ersten Abends betritt, spielt noch die Schwedin Anna Ternheim ihr Solo-Set. Und zwar tatsächlich so, wie man sich ein „Singer-Songwriter-Festival“ vorstellen würde, Anna Ternheim spielt und singt alles selbst nur mit Gitarren- oder Klavierbegleitung. Ihr hochgelobtes neues Album „All The Way To Rio“ war ein „pain in the ass“, erzählt sie. Viereinhalb Jahre hat es gedauert, bis es endlich fertig war, „I even made another record in between“. Wahrscheinlich hat es so lange gedauert, weil es sich mit den negativen Seiten von Liebe und Beziehung auseinandersetzt, mit Schmerz und Eifersucht.

Lieber Popdiva als Schauspielikone

In der letzten Umbaupause platziert sich ein junger Mann in einem Nick-Cave-T-Shirt fast direkt vor der Bühne. Er unterhält sich mit seiner Freundin über die letzte Staffel von Twin Peaks. Agent Tammy Preston, ja, die wird von Chrysta Bell gespielt. Sie ist eine lange Freundin und künstlerische Kollaborateurin von David Lynch. Im Interview mit Christian Fuchs verrät sie, dass es aber immer die Musik war, wegen der sie auf die Bühne wollte. „I put a lot of intention and thought into the live performance - it’s the main thing for me in my life: presenting my art to someone who receives it. This exchange is very enlivening and inspiring to me and the experience of being on stage. It’s cathartic, it’s terrifying and I live for it, I put my heart and soul into it.”

Chrysta Bell auf der Bühne vom Blue Bird Festival 2017

Hanna Pribitzer

Chrysta Bell

In gold-glitzerndem Minikleid, mit dunkel geschminkten Lippen und extravaganten High Heels betritt Chrysta Bell nach einem minutenlangen, grollenden Instrumental-Intro die Bühne. In Wien liegt natürlich der Vergleich mit der Figur aus einem Klimt-Gemälde nahe. „I always wanted to come to Vienna, but never made it. It’s the land of my ancestry, and I’m so happy it finally worked out.“

Ihre Musiker, zwei Men in Black mit schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen, mimen lässig die Unbeeindruckten, während das Publikum Augen und Münder vor Staunen kaum schließen kann. Es sind die exakt kontrollierten Bewegungen, es ist der Blick, den Chrysta Bell direkt an einzelne Personen im Publikum richtet, während sie singt. Die Dramatik, die in ihrer Stimme liegt, und die Musik, die sichtlich durch ihren ganzen Körper fließt. Ihr Auftritt, er ist ein Gesamtkunstwerk, eine perfekte Inszenierung von praller Intensität. Rock’n’Roll, zitternd und staubtrocken, einmal zum Mitwippen, dann wieder nur zum Mitstaunen. Am besten fasst die Künstlerin ihre Liveperformance selbst zusammen: “Ultimately it’s high drama and high intensity, but there’s also a bit of lightness. Theres sensuality and a bit of melancholia. It’s a full spectrum experience.”

Auf in die zweite Runde

Den zweiten Abend eröffnet der englische Künstler Sivu, bevor es mit Mimes Of Wine die erste italienische Band des heurigen Blue Bird Festivals zu sehen gibt. Orchestrale Inszenierung, inklusive ausgefallener Percussion-Elemente.

Mimes Of Wine

Hanna Pribitzer

Mimes Of Wine

Die österreichische Band dieses Abends heißt Elsa Tootsie And The Mini Band. Elsa Tootsie ist ein bärtiger Mann begleitet von Artur Nutz am Laptsteel und Michael Prehofer an Hackbrett und Schlagwerk. Es ist Country-Noir, auch der Begriff Freak-Americana kommt mir in einem Gespräch zweier Zuhörer später unter. Vor allem aber ist es eine brachiale Soundgewalt, die das Porgy im Rahmen des heurigen Festivals so noch nicht erfüllt hat. Es fühlt sich an, als wäre die Luft dicker geworden, eine Atmosphäre wie vor einem Gewitter. Dieses bricht dann in Form von immer lauter werdenden, schnalzenden Gitarrenriffs los. Kurz vor dem Ende wird ein Song angespielt, der “High And Dry” von Radiohead erstaunlich nahe kommt. So viel zu einem breiten Soundspektrum - nicht nur innerhalb des Blue Bird Line-Ups.

Elsa Tootsie And The Mini Band

Hanna Pribitzer

Elsa Tootsie And The Mini Band

Und alles was zählt, ist die Stimme

Der zweite Abend des Blue Bird Festivals war ausverkauft. Die deutsch-brasilianische Musikerin Dillon hat dazu wohl nicht wenig beigetragen: Gerade ist ihr neues Album “Kind” erschienen, und so heißt auch der Song, der ihr Set eröffnet. Anders als Chrysta Bell am Vorabend verzichtet Dillon auf aufwendige Visuals, die Bühne hinter ihr ist mit einem schwarzen Vorhang abgehängt, die Nebelmaschinen pusten und die wabernden Schleier färben sich gelb. Kein Scheinwerferlicht fällt der Musikerin direkt ins Gesicht, die Stimmung ist düster. Heraus hebt sich schneidend klar das Markenzeichen: Dillons unverkennbare Stimme.

Dillon

Hanna Pribitzer

Dillon

Im Laufe ihrer Karriere hat sich Dillon immer mehr zum Electronic Dark Pop hinentwickelt, der auch ihr neues Album dominiert. Es ist ein schöner Zufall, dass auch gerade Björks “Utopia” erschienen ist, da lassen sich durchaus viele Vergleiche ziehen.

Am Samstag, den 26.11. spielen am dritten und letzten Abend des Blue Bird Festivals Attic Giant, Plant Man, Girl Ray, Michelle Gurevich und Vashti Bunyan.

Den genauen Timetable gibt es hier.

Der Abend ist ausverkauft, es wird aber noch Resttickets an der Abendkasse geben.

“Be kind” ist Dillons neuer Schlachtruf. Ihr neues Album handelt von der Kraft der Liebe. Das klingt straight und einfach, die Songs sind es aber nicht. Vielmehr sind sie manchmal durchaus sperrig, manchmal beatlastig und wenig melodiös angelegt. In ihrer Liveperformance holt sie alles davon heraus: Dillon wird nur von einem Musiker begleitet, der die Zuspielungen und Synthesizer bedient. Es gibt auch Bläser- und Streicher zu hören, aber die kommen alle vom Band. Dillon atmet ein, ihr Atmen wird gesampelt, verpixelt, weiterverarbeitet im nächsten Song. Alles ist eins und es ist ein langer, dunkler Rausch. Anfangs mag das ein bisschen irritieren, hat man Dillons Stimme doch von früheren Songs mit glasklarer Klavierbegleitung im Ohr. Aber der Auftritt folgt, so zeigt es sich, einem minimalistischen Gesamtkonzept, von dem das Publikum in den Bann gezogen wird.

“Ich hab mir ein Wiegenlied geschrieben”, erzählt Dillon. Es heißt auch so, “Lullaby”. “Schlaf ein, schlaf ein” singt sie. Blickt man zurück auf die letzten Jahre des Blue Bird Festivals, dann ist das sicher einer der schönsten Sätze, die man im Hinausgehen noch summt… Und sich schlafen legt.

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