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Anna Of The North

Jonathan Vivaas Kise

Artist of the week

Aha, shake, heartbreak

Anna Of The North sammeln gebrochene Herzen vom Boden auf und werfen sie auf die Tanzfläche. Mit ihrem Elektropop-Breakup-Debüt „Lovers“ sind sie unser FM4 Artist Of The Week.

Von Lisa Schneider

Ein kühles Schimmern, Berge soweit das Auge reicht. Und eine Farbenpracht, die den Horizont einfärbt. Anna Lotterud hat den Namen „Anna Of The North“ ausgesucht, als sie in Melbourne, fern ihrer Heimat Norwegen, gelebt hat. Dort war sie immer „die, die aus dem Norden kommt“. Anna Of The North ist aber nur dem Namen nach ein Soloprojekt: Brady Daniell-Smith ist die zweite Hälfte des Duos. Er ist der Produzent, den Anna Lotterud in Melbourne, wo er herstammt, kennengelernt hat. „Brady Of The South“ klingt aber eben einfach nicht so gut.

Klischees gibt es für alle Länder, und die nicht nur beim Essen, Anziehen oder dem menschlichen Gemüt, sondern natürlich auch in der Musik. Aus dem Norden, aus Schweden, Norwegen sind in den letzten Jahren viele weibliche Popstars aufgestiegen, viele davon in engem Bezug zur elektronischen Musik, wie etwa Robyn oder Mø. Anna Of The North reihen sich ein in diese Tradition der sehr tanzbar angedachten Elektro-Coolness. Dabei ist die Basis ihrer Songs eine warme, weil analoge.

Two hearts, living in just one mind

Anna Lotterud wächst in Oslo auf. Die mittlerweile 28-Jährige beginnt schon sehr früh, nicht nur Texte, sondern auch Songs zu schreiben. „My father is a musician. He would always play me music, he loves the 80ies, like Phil Collins’ stuff. And actually, I love it, too.“ Sie spielt ihre Songs immer in Gitarrenbegleitung. Mehr als für ein Publikum für sich selbst, vor allem weil ihre Texte oft sehr intime Geschichten erzählen. „Before I came to Australia I would have never imagined starting off a career in music. In Norway it’s more like: You aren’t someone, before you are someone. You’re not really being pushed here, that was at least the way I experienced it. And I’ve always been a very shy person, so I never thought about standing on stage.“

Anna Of The North

Jonathan Vivaas Kise

In Australien, wo sie Grafikdesign studiert, lernt sie über Freunde den Produzenten Brady Daniell-Smith kennen. Er sieht sie live, ihre Songs gefallen ihm, und er baut sie im Kopf schon einmal weiter in elektronischer Begleitung aus, die beiden kommen ins Gespräch. Gleichzeitig wächst Anna Lotteruds privates Interesse an elektronischer Musik, sie bittet ihn, wieder zurück in Oslo, um Material, über das sie ihr Stimme legen könnte. „Sway“ entsteht.

Streaming-Supererfolg

Es ist ihr erster gemeinsamer Song und gleichzeitig ihr erster großer Hit, man kann es gar nicht anders sagen. Die Credits dafür gehen zu einem nicht unwesentlichen Teil aufs Konto der Chainsmokers, die den Song im Netz aufgreifen und zu einem Remix verarbeiten. „Sway“ katapultiert sich in allen möglichen Online-Streamingdiensten in die Millionen-Abspielzahl hinauf. „Actually, I couldn’t quite believe it. I cannot believe it, still. The number of clicks grows every day. Maybe in some years when I think back I will get used to it, but now, I’m not. That people are actually listening to my music is a thing I’ve never imagined. And especially for „Sway“, for me it seems as if that’s the song people always come back to.“

Nach „Sway“, das vor drei Jahren veröffentlicht wurde, kehrt ins gemeinsame Bandprojekt ein bisschen Ruhe ein. Anna Lotterud und Brady Daniell-Smith entwickeln nicht nur genaue Vorstellungen davon, wohin es musikalisch gehen soll, auch ihre Freundschaft wird tiefer. „We just know each others stories, what makes working together pretty easy“. Sie arbeiten in digitalem Austausch zusammen, arbeiten aber auch immer öfter am gemeinsamen Schreiben. Einer dieser ersten gemeinsamen Outputs ist „Baby“, er wird auf ihrem Debütalbum landen.

Über den Schatten springen

Bis das Debütalbum „Lovers“ aber aufgenommen ist, vergehen insgesamt drei Jahre. „I wanted to be ready. I didn’t want to just throw out stuff just to catch people’s attention. Actually, doing all those interviews and photo shoots was a pretty tough challenge for me. I also had huge stage fright. When my parents went to one of my first gigs, they told me afterwards, I just looked like as if I’d seen a ghost. But, as we as a band evolve, I keep on learning every day. It’s challenging, but I’ve started to get the fun out of it.“

Anna Of The North Cover "Lovers"

Jonathan Vivaas Kise

„Lovers“, das Debutalbum von Anna Of The North, erscheint via Different Recordings.

Anna Lotterud lacht nach diesem Satz, am anderen Ende der Telefonleitung. Auch hier wirkt sie anfangs noch sehr zurückhaltend, und betont immer wieder, wie sehr sie sich freut, dass das mediale Echo, vor allem eben seit ihr Debütalbum Anfang September erschienen ist, so groß ist.

Wenn die Liebe am Ende ist

Wie es der Titel „Lovers“ schon verrät, ist es ein Album über die Liebe. Aber nicht über die erste Verliebtheit und all die bunten Schmetterlinge, sondern über das Ende der Liebe, oder den Punkt kurz zuvor. Es ist ein Break-Up-Album und steht damit in einer langen und facettenreichen musikalischen Tradition. Sehr im Gegensatz zu ihrer selbst betonten „shyness“ spricht Anna Lotterud in ihren Texten klare Worte. „I was never really torn to using metaphors. That’s just me. I don’t want to hide anything, I want to get it straight to the point.“

"It’s gonna be alright, it’s just a change of mind. Don’t forget about the good time“, so beginnt mit „Moving On“ das Album. Die Trennung ist schon durch, jetzt gilt es nochmal, die Zähne zusammenzubeißen, und die Social Media Kanäle auszublenden, auf denen er/sie einem immer mit dem neuen Schwarm entgegenlacht. Je weiter das Album schreitet, desto offener und bissiger werden die Zeilen, wie etwa in „Money“:„Don’t want you baby, don’t want your love. She just wants your money, honey.“ Die Musik geht natürlich mit: der Beat pulsiert immer stärker, 80er-Anleihen kommen nicht nur von Phil Collins, sondern gern auch von Tom Petty (etwa im Intro zu „Someone“). Bis alles dann in der aktuellen Single, und der Dancefloorqueen des Albums, „Fire“ explodiert: „I don’t wanna go down in your fire.“

„Of course if you create something, you always think about the feedback. What will people say about it, will they find themselves described in those lines? Writing that album was a tough one, but it felt good, looking back to things that have happenend, and try to see them in a different light. You learn so much about yourself by writing about your experiences. Sometimes I felt like I’m just turning my diary into music. It was very cleansing.“

Der erste Song, über den ich Anna Of The North kennengelernt habe, war „Oslo“. Ein puristisches, kraftvolles, klares Stück, „kühl“, möchte man hinzufügen, wenn man an die namensgebende norwegische Hauptstadt denkt.

Popalbum mit Remixpotential

„Lovers“ geht in eine andere Richtung, die viel mehr auf der Tanzfläche als in dichten Nadelwäldern, wie man sie im Video zu „Oslo“ sieht, verloren hat. Anna Lotteruds Stimme ist bestimmter, zorniger, sie verlangt mehr, und sie traut sich mehr. „Lovers“ ist ein rundes Ganzes, was zugleich Vorwurf wie Lob bedeuten kann. In jedem Fall ist es, neben seiner Club- sowie Radiotauglichkeit auch eine perfekte Vorlage für diverse Remixes geworden. Und die haben Anna Of The North vor drei Jahren ja schon einmal ziemlich hoch hinauskatapultiert.

Dazu passt auch der Ansatz der Band, sich im nächsten Schritt anderen MusikerInnen zu öffnen und zu sehen, „how far we can go with the project ‚Anna Of The North’“. Anna Lotterud hat ihre Stimme vor kurzem Tyler, The Creator auf zwei Songs seines aktuellen Albums „Flower Boy“ geliehen. Momentan ist sie in London, um sich dort zu vernetzen und auch mit anderen KünstlerInnen außer Brady Daniell-Smith Musik zu schreiben. Das klassische Bandformat ist aufgehoben, passend zur Streaming- und Onlinemusikwelt, in der Anna Of The North ihre ersten großen Erfolge gefeiert haben. Es ist ein Weiter- und Gemeinsamdenken in diesem riesigen Musikkosmos, genre – und altersunabhängig.

„It’s a big world“, sagt Anna Lotterud am Telefon,bevor sie zum nächsten Meeting eilt, „and I’m very excited about what the future’s holding for me and my music."

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