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US figure skaters Tonya Harding (L) and Nancy Kerrigan avoid each other during a training session 17 February in Hamar, Norway, during the Winter Olympics.

VINCENT AMALVY / AFP FILES

der song zum sonntag

Blades of Glory

Der Song zum Sonntag: Sufjan Stevens - „Tonya Harding“

Von Philipp L’heritier

Das hätte nur allzu leicht ein spöttisch-zynisches, gimmickhaftes Joke-of-the-Week-Liedchen werden können. Tonya Harding ist ein allzu leichtes Ziel. In die Figur und die Geschichte der gefallenen Eiskunstläuferin lässt sich wunderbar eine Mischung aus Abscheu und Verherrlichung projizieren.

Der aus Detroit stammende Musiker Sufjan Stevens aber hat mit seinem Stück „Tonya Harding“ eine Hymne für ein kaputtgegangenes Symbol des kaputten amerikanischen Traums geschrieben, voller Herzblut.

Tonya Harding wurde 1970 in Portland, Oregon in ärmste und zerrüttete Verhältnisse geboren und von früher Kindheit an von ihrer Mutter – DER Definition für den Begriff „Eislaufmutter“ – gedrillt und zur Paradesportlerin geformt.

Harding war hochtalentiert, von heiligem Ehrgeiz und Zwängen getrieben, erschien dabei in Interviews entweder unbeholfen, ungehobelt oder affektiert. Schnell war es allgemeingültig akzeptiert, sie als das „Trailer Trash Girl“ zu sehen. Für viele war Tonya Harding aber eben auch die Fackelträgerin der Hoffnungen: aus der Gosse in den Olymp, durch harte Arbeit, durch Sport.

Im Jahr 1994 wurde Hardings ewige Hauptkonkurrentin Nancy Kerrigan auf Hardings Ex-Manns Geheiß hin incognito von einem gedungenen Attentäter attackiert, um Kerrigans Teilnahme an den folgenden Olympischen Spielen zu verhindern und so Harding den Weg zum Triumph zu ebnen.

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Zunächst waren Hardings Verwicklungen in den Vorfall unklar, schließlich jedoch ging die Sportlerin einen Deal ein, bekannte sich der Mitwisserschaft schuldig, wurde auf Lebenszeiten vom Sportverband gesperrt und in selten gesehenem Aufruhr durch Medien und Öffentlichkeit mit Schimpf und Schmach begraben. Demnächst erscheint ein Biopic über Tonya Harding – das ist der Stoff, für den es gewöhnlich Academy Awards regnet.

Sufjan Stevens widmet sich dieser vielschichtigen Geschichte ohne falsches Schmalz, dabei mit unumwundener Ehrerbietung. Er sieht in dieser minimalistischen Ballade Harding als tieftragische Figur, die nicht anders konnte als zu kämpfen.

Als Überwinderin von Klassenhierarchien, als eben oft auch naive Störerin im System. Die Welt ist eine kalte, so singt Sufjan Stevens, sie hat ihren Spaß mit Tonya Harding gehabt und ihr auch gerne beim tiefen Fall zugesehen.

Stevens bewundert Hardings fraglose Meisterschaft auf dem Eis, er nennt sie „Shining American Star“, gesteht gleichzeitig ein, dass er weiß, dass sein Idol sich nicht zu gut war für Betrug und Verbrechen. Ein sehr spezielles Lied über eine sehr spezielle Geschichte, in das man universelle Wahrheiten - oder immerhin Ahnungen - hineinlesen kann.

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