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Jonathan Meese

Elisabeth Scharang / Radio FM4

FM4 Doppelzimmer

Diktatur der Kunst

Jonathan Meese wurde Ende der 90er Jahre zum Shootingstar der internationalen Kunstszene. Bei einem Besuch in seiner Kunstfabrik in Berlin erzählt der kontroversielle Maler und Performer über Kunstjünger, Samurais und die Pest des Netzwerkens.

Von Elisabeth Scharang

Sean Connery schleudert im roten Lendenschurz seinen Speer. In den ersten Minuten von John Boormans Film „Zardoz“ aus dem Jahr 1974 fühlt man sich in die Supertrashwelt einer vergangen Zeit gebeamt.

FM4 Doppelzimmer mit Jonathan Meese
Am 6. Jänner 2018 von 13 bis 15 Uhr im Radio und anschließend für 7 Tage im FM4 Player

Aber es kommt anders: der Film spielt im Jahr 2293 und die Welt in dieser Zukunftsvision spaltet sich in die der „Ewigen“ und die der „Brutalen“. Die „Ewigen“ repräsentieren das, was wir heute die „westliche Gesellschaft“ nennen. Die Ewigen schotten sich ab und lassen andere für ihren Wohlstand arbeiten. Sie meditieren statt zu schlafen und haben Sex abgeschafft. Ihr System funktioniert nur über eine starke Führerin und eine reiche Elite, die ihr Herz verschlossen hat. Die digitale Boheme ignoriert, dass jemand die Biogadgets herstellen muss; in unserer Welt sind das die Menschen aus der Dritten Welt, bei John Boorman sind es die „Brutalen“.

Doppelzimmer mit Jonathan Meese

Warum ich das erzähle? Weil dieser Film sich durch die Welt des Jonathan Meese zieht. Mit 12 hat er den Film zum ersten Mal gesehen. Und nicht viel davon verstanden. Aber die Geschichte hat ihn nie losgelassen. Viele Jahre später hat er den alten Kultregisseur Boorman persönlich getroffen und im letzten Sommer fand sich der Lendenschurz und ein Sean Connery-Abbild aus Zardoz in der Festwochenproduktion „Mondparsifal“ wieder. Jonathan Meese inszenierte Wagner und hat die Zukunftsvision von Boorman eingarbeitet. Sieht man sich Oper und den Film an, ergeben sich atemberaubende Querverweise und es entsteht eine Metaebene, die das Hirn nur so berauscht.

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Ich habe Jonathan Meese in einem Dokumentarfilm über das alte Kurhotel Waldhaus in den Schweizer Alpen gesehen. Das ist viele Jahre her. Er hat dieses geschichtsträchtige Hotel, in dem Schriftsteller, Philosophen und Politiker (und ja, es waren vor allem Männer) im 19. und 20. Jahrhundert abgestiegen sind, auf seine Art mit Zeichnungen und Beobachtungen für sich erobert. Ich war beeindruckt von der Art dieses langhaarigen, großen Mannes, der immer in einer schwarzen Trainingsjacke auftaucht und so gerade heraus agiert, wie man das nur von Kindern kennt. Tarnung? Strategie? Vielleicht. Man kennt Meese ja auch als den, der dafür angezeigt wurde, in einer Performances den Hitlergruß verwendet zu haben; und der laut die Diktatur der Kunst proklamiert.

Letzten Sommer war Meese also in Wien. Bei den Wiener Festwochen. Bei einer Führung im Kunsthistorischen Museum, wo er eine Kunstintervention hinterlassen hat, habe ich ihn persönlich kennen gelernt. Ich war mir vor dieser Begegnung nicht sicher, ob ich ein langes Radiogespräch mit ihm führen möchte. Ich war mir nicht sicher, ob er die Rolle eines radikalen Künstlers spielt oder ob man ihm die Rolle bloß in der Kulturberichterstattung überstülpt, weil es sich medial besser verkauft.

Jonathan Meese

Elisabeth Scharang / Radio FM4

Meese ist kein Fake

Meine persönliche conclusio: Meese ist kein Fake. Er ist aufmerksam, er nimmt die Welt um sich wahr, und die Menschen. Er agiert nicht strategisch. Er ist nicht von Neid zerfressen. Und ich frage mich, wie er sich schützt, vor einer Welt, die vor allem eines von ihm will: ihn verkaufen. Die Antwort sehe ich in Berlin.

Messe hat sich über die Jahre ein Unternehmen aufgebaut und sich damit vor dem Kunstmarkt geschützt. Die Handvoll Menschen um ihn, schützen ihn und den Raum, in dem er lebt und arbeitet. Sie führen die Geschäfte in seinem Sinne und sie sind Freund*innen für ihn. Eine Familie. Seine alte Mutter ist eine von ihnen.

Als ich Meese in seiner alten Fabrik am Rande vom Prenzlauer Berg, in dem sein Lager und die Ateliers sind, besuche, ist seine Mutter nicht da. Er ist ausnahmsweise alleine. Brigitte Meese ist eine der wenigen, die einen Freischein für Kritik an Meeses Kunst hat. Und den nutzt sie und nimmt sich kein Blatt vor den Mund, erzählt Meese. Schnell könnte man da eine verquere Muttersöhnchengeschichte basteln. Viel interessanter ist aber die Realität: Meeses Mutter hatte immer schon ein Händchen für Malerei. Sie hat einen wesentlichen Teil zu der Mappe mit Zeichnungen beigetragen, mit der er sich mit Anfang zwanzig an der Kunstakademie beworben hat. Und auch aufgenommen wurde.

„Die sind richtig gut, diese Arbeiten von ihr“, erzählt Meese. Er hat seiner Mutter einen Platz in seinem Leben und seiner Kunstkarriere eingeräumt, weil er sie gerne um sich hat, weil er sie schätzt und weil die beiden offenbar auch gut ohne einander klar kommen, es aber gemeinsam schöner finden. Meeses langjährige Freundin hat damit kein Problem.

Die Meese-Fabrik in Berlin, eine ehemalige Kläranlage, sieht von außen aus wie Tim Burtons Schokoladenfabrik. Wir lassen uns in dem riesigen Bereich nieder, in dem Jonathan Meese die meiste Zeit verbringt und der beheizbar ist. Halbfertige Bilder, Stofftiere, die auf ihren Einsatz warten, bemalte Hüte – es ist ein Spielplatz der Kunst. Ein Raum, in dem die Welt in Ordnung scheint.

Wir reden über Kunstgurus, Ich-AGs, über rückwärtsgerichtetes Denken und warum für ihn das einzig Wichtige die Zukunft ist.
Zwischendurch ein Blick auf die Songliste, die Meese mir schon Wochen davor geschickt hat. „Eine Momentaufnahme“, sagt er. „Ich hätte dir am liebsten zwanzig verschiedene Listen geschickt. Aber die hier ist ein Moment. Dieser jetzt.“

Songliste Jonathan Meese

Jonathan Meese

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