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Arno Geiger

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„Der Liebesroman ist der wahre Antikriegsroman“

Arno Geiger schreibt aus einem Flohmarktfund einen beeindruckenden Antikriegsroman. Er heißt „Unter der Drachenwand“.

von Zita Bereuter

„Der Stoff ist mir zugefallen“, erklärt Arno Geiger ziemlich bescheiden. Zufällig kauft er vor über zehn Jahren auf dem Flohmarkt ein Bündel Briefe. Wie sich herausstellt, sind es Briefe aus dem zweiten Weltkrieg, als Wiener Mädchen im Rahmen der Kinderlandverschickung an den Mondsee ins Lager „Schwarzindien“ mussten. Kinderbriefe, Elternbriefe, Behördenbriefe. „Das spielt jetzt nicht die ganz wichtige Rolle im Roman, aber das hat die Szenerie und auch den emotionalen Raum geöffnet.“

Auf diesen Briefen ist Geigers neuer Roman „Unter der Drachenwand“ aufgebaut.

„Man könnte sagen, der Roman ist ein erfundenes Haus mit echten Türen und Fenstern.“

Hauptperson des Romans ist Veit Kolbe, ein 23-jähriger Soldat, der nach einer schweren Kriegsverletzung zur Genesung in seine Heimatstadt Wien zurückkehrt. Wie es scheint in ein normales Leben: er hat wieder eine Zahnbürste und kann wieder Kaffee aus seiner Lieblingstasse trinken.

„Weil aber, wenn einer aus dem Krieg zurückkehrt, das Zuhause ein anderes ist als dasjenige, das er verlassen hat, fühlte ich mich trotz der Erfüllung all dieser Wünsche zu Hause nicht wohl.“ Vor allem hält er den Kriegsbefürwortenden Vater nicht aus „Ich hatte den Irrsinn der Front mit dem Irrsinn der Familie vertauscht.“

Folglich zieht er nach Mondsee, wo sein Onkel lebt. Veit Kolbe findet dort ein schlechtes Zimmer bei einer ebensolchen Bäuerin. Nebenan ist eine junge Darmstädterin mit ihrem Baby eingemietet. Gegenüber züchtet der Bruder der Bäuerin Orchideen und träumt von Brasilien. Und dann gibt es noch das Lager mit einer distanzierten Lehrerin und Wiener Schülerinnen.

Buchcover "unter der drachenwand"

hanser verlag

Arno Geiger: Unter der Drachenwand, Hanser 2018

Das ist alles sehr schlau konstruiert und wird nur schreibend in Briefen und Tagebucheinträgen erzählt. Möglich, dass auch hier die ursprüngliche Korrespondenz des Lages mit hineinspielt.

Arno Geiger trug die Geschichte zehn Jahre mit sich herum, bevor er das Thema anging. „Eines Tages, da wusste ich in der Früh noch nicht, dass sich am Nachmittag mit Schreiben beginnen werde.“ In wenigen Monaten habe er die Geschichte geschrieben. „Von vorn nach hinten im Fieber.“ Das ist umso erstaunlicher, weil es mehrere Handlungsorte gibt: Mondsee, Wien, Darmstadt, Budapest, Hainburg und immer wieder die Front.

Die Mitte, nicht das Extrem

Arno Geigers Helden sind Durchschnittsmenschen. Das Extreme findet er nicht interessant. „Im Schatten der Egomanie wächst kein Gras. In der Mitte mischt sich alles. Die Mitte finde ich viel unübersichtlicher als das Extrem.“

Gerade bei Büchern über das Dritte Reich liege es nahe, dass man Extreme heranzieht und in Täter und Opfer einteilt. Arno Geiger schaut auf die vielen Übergebliebenen in der Mitte. Die Zuschauer, die sich unbeteiligt fühlen und eben doch mittendrin sind. Es sei viel schwieriger und spannender, sich zwischen die Stühle zu setzen. „Zwischen den Stühlen ist der legitime Platz für die Kunst."
"Ich glaube, der wahre Antikriegsroman ist der Liebesroman. Dort wo eben nicht der Krieg im Vordergrund steht.“

Dem Privaten dieser Durchschnittsmenschen widmet sich „Unter der Drachenwand“. Geiger sagt dazu: "Totalitäre Regime, Krieg, das ist immer die Zerstörung des Privaten. Alle totalitären Systeme wollen das Private als etwas Unbeherrschbares unterbinden. Ich breche eine Lanze für die Privatheit der Menschen – und bin auch der Meinung, dass die allermeisten angeblichen Antikriegsromane letztlich Romane über den Krieg sind, weil sie vom Krieg erzählen. Ich wollte einen Roman schreiben, der zwar vor dem Hintergrund des Krieges spielt, aber letztlich die Wichtigkeit von sozialen Beziehungen aufzeigt.“

Orchideen als Form des Widerstands

Und so gibt es in diesen Kriegszeiten auch berührend Schönes: Der Brasilianer züchtet in einem Gewächshaus Gemüse – und Orchideen. Die sind völlig nutzlos und nur schön. Das sei eine Form des Widerstands, sagt Geiger: „Wer im 5. oder 6. Kriegsjahr Orchideen anbaut, ist der natürliche Feind all derer, die darüber nachdenken, was außer Blut noch zum Boden passt.“ Dieser Glaube an die Schönheit der Welt und dass nicht alles für irgendwas in Gebrauch genommen werden muss, gibt Hoffnung.

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Das ganze Interview mit Arno Geiger zu seinem neuen Roman „Unter der Drachenwand“ gibt es ab sofort auch im FM4 Interviewpodcast!

Für die meisten Bauern ist das unvorstellbar. Die lässt Arno Geiger über niedergewehtes Getreide sagen: „Wir müssen abwarten, wir haben eh keinen Einfluss darauf. Und so hielten sie es auch, wenn sie über den Krieg redeten, wir müssen abwarten, wir haben eh keinen Einfluss darauf, das ist halt so.“

Eine Redensart, die man auch heutzutage häufig hört. Aber, so Arno Geiger: „Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass das nicht stimmt, dass wir nur abwarten können. Umso wichtiger, Haltung zeigen für das, was einem Wichtig ist.“

Wir leben alle unter der Drachenwand

Auch wenn die Drachenwand dem Namen nach an das Felsmassiv am Mondsee angelehnt - das Thema des Buches ist gerade sehr aktuell: „Wir leben alle unter der Drachenwand – die Drachenwand, das ist das Ungewisse, das Bedrohliche, die Zwangssituation. Wir sind alle viel mehr von äußeren Zwängen bestimmt, als uns das recht sein kann.“ Es sei viel leichter, Menschen zu Schlechtem, zu Geringschätzung und Verachtung zu erziehen, und mühsamer, sie zu Respekt, Hingabe und Liebe zu erziehen. „Das ist der mühsame, aber der lohnende Weg.“

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