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Erich Möchel

Umbruchsphase für die NSA beginnt im Jänner mit einem neuen Chef

Im Jänner muss eines der wichtigsten US-Überwachungsgesetze erneuert und der Nachfolger des scheidenden NSA-Direktors Michael Rogers ernannt werden. Erwartet wird, dass die NSA dabei die Oberhoheit über die Cyberkriegsführung abgeben muss.

von Erich Möchel

Das Jahr 2018 wird in die Annalen der NSA als Jahr des Umbruchs eingehen, denn im Jänner stehen entscheidende Termine an. Bis 19. Jänner muss die berüchtigte „Section 702“ erneuert werden, ein Überwachungsgesetz, das der NSA erlaubt, bei Spionageangriffen auf ausländische Ziele auch Daten von US-Bürgern zu sammeln. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die NSA dies als Freibrief zur systematischen Erfassung aller US-Kommunikationsdaten benutzt.

Ein diesbezüglicher Gesetzesentwurf, der das bestehende Regime von „Section 702“ nicht nur fortschreibt sondern sogar noch erweitert, passierte am Donnerstag das Repräsentantenhaus. Nun liegt der Ball im Senat, wo die Mehrheitsverhältnisse äußerst knapp sind. Senator Ron Wyden (D) kündigte danach entschiedenen Widerstand der Demokraten an.

Ebenso für Jänner wird die Nominierung eines Nachfolgers für den scheidenden NSA-Direktor Michael Rogers erwartet. Die meisten Beobachter rechnen damit, dass die NSA dann das Kommando über Cybercom verliert. Die US-Cybertruppen sollen zu einer eigenen Einheit wie Navy oder Air Force werden. Das weitaus größte Problem aber ist derzeit laut ehemaligen NSA-Offiziellen die Demoralisierung des Personals der NSA.

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Electronic Frontier Foundation

In den USA läuft eine ganze Serie von Klagen der Electronic Frontier Foundation gegen „Section 702“ und andere Überwachungsgesetze.

Die Trennung von NSA und Cybercom war noch unter Barack Obama angestoßen worden, die Umsetzung ist allerdings problematisch. Die Militärs warnen vor Lücken in der Sicherheit der USA während der Umbruchsphase.

Spectre, Meltdown und die NSA

Wie es um die öffentliche Wahrnehmung des gebeutelten Geheimdiensts steht, zeigte sich nach dem Bekanntwerden der gefährlichen Sicherheitslücken in Intel-Prozessoren. Die NSA war sofort verdächtigt worden, diese Lücken entdeckt, jahrzehntelang verheimlicht und selber ausgenützt zu haben. Das Weiße Haus beeilte sich, zu dementieren, der Verdacht selbst wurde indes nicht ausgeräumt, denn seit den Enthüllungen Edward Snowdens wird der NSA nun einmal alles zugetraut.

Im Kongress liegen nun zwei Gesetzesanträge vor, beide schreiben die vielkritisierte Regelung fort, die es dem FBI ermöglicht, Durchsuchungsbefehle eines ordentlichen Gerichts zu umgehen. Der „Beifang“ von US-Daten zur Auslandsspionage ermöglicht dem FBI anlasslose Schleierfahndung in den Datensätzen nach Belieben. „Section 702“ sieht nämlich keine Auflagen zur Weitergabe dieser Daten an andere US-Behörden vor. Unter Präsident George W. Bush war die ursprüngliche Polizeibehörde FBI in den Rang eines Geheimdienstes versetzt worden, damit diese Zugriffe auch rechtlich gedeckt waren.

„Übelste Vorschläge, neue schädliche Ideen“

Im Oktober kam zutage, dass ein unvorsichtiger NSA-Mitarbeiter massenweise Schadsoftware auf seinen Privat-PC geladen hatte, auf dem der Virenscanner von Kaspersky lief.

Der neuere der beiden Gesetzesvorschläge ist vom 5. Jänner und stammt aus dem Repräsentantenhaus. Darin soll der Wirkungsbereich von „Section 702“ noch ausgedehnt werden. Dieser Entwurf greife einige der übelsten Vorschläge aus früheren Novellen von „Section 702“ wieder auf und füge zudem völlig neue schädliche Ideen dazu, hieß es von der Electronic Frontier Foundation dazu.

NSA-Direktor Michael Rogers

Brendan Smialowski / AFP

Der scheidende NSA-Direktor Michael Rogers folgte auf Keith Alexander, dessen Amtszeit durch die Snowden-Leaks beendet wortden war. Während der Führung von Michael Rogers wiederum kam der NSA ein riesiges Arsenal an Cyberwaffen abhanden, das durch seine Veröffentlichung quasi in die Luft gejagt wurde.

Der US-Kongress ist hierzu auf unübliche Weise gespalten. Während sowohl das republikanische wie das demokratische Establishment dafür eintreten, sind Teaparty und Libertäre hier bzw. Liberale aller Schattierungen dort dagegen, „Section 702“ ohne Auflagen durchzuwinken. Wie es derzeit aussieht ist diese unübliche Allianz in der Minderheit. Der NSA aber attestieren weniger die Kritiker wie die EFF, als vielmehr vormalige Kommandeure ein gravierendes internes Abnützungsproblem.

Der enorme Schaden, den „WannaCry“ und „Petya“ angerichtet haben, geht auf ein einziges, umfunktioniertes Exploit aus dem geleakten NSA-Fundus der „Shadow Brokers“ zurück.

Der herzlose Begriff „Attrition“

Seit Monaten manifestiert sich die Frustration in unüblich hohen Abgangsquoten von NSA-Mitarbeitern in Richtung Industrie. Dieses Problem ist derart virulent geworden, dass es auch aus den notorisch verschwiegenen Kreisen ehemaliger leitender Angestellter plötzlich Stellungnahmen mit voller Namensnennung gibt. Es sei recht klar, dass es derzeit interne Probleme in der Agency gebe, vor allem was die „Abnützung“ („attrition“) der Truppe betreffe, sagte Rhea Siers, eine ehemals hochrangige NSA-Führungskraft zum US-Fachmagazin „The Cipher Brief“.

Der herzlose Terminus „Abnützung“ bezeichnet im Militärjargon generell materielle und personelle Verluste einer Militäreinheit, egal ob es gefallene, verwundete oder eben schwer frustrierte Truppenangehörige sind, die deshalb ausscheiden. Die NSA habe sich noch kaum von den Snowden-Leaks erholt, da sei sie mit einem Oberkommandeur konfrontiert, der auf den „Tiefen Staat“ fixiert sei und „Dinge sage, die sicherlich nicht zur Steigerung der Moral in der Truppe beitragen“, so Siers. „Deep State“ war ursprünglich ein Synonym für den militärisch-elektronischen Komplex mitsamt den wirtschaftlichen und politischen Kräften dahinter. Mittlerweile ist „Deep State“ fast nur noch bei rechtsextremen Verschwörungstheorien in Gebrauch, die US-Präsident Donald Trump regelmäßig auf Twitter verbreitet.

Bruce Schneier: „Super-GAU für die NSA“

In Europa werden die Empfehlungen Bruce Schneiers zum Zugang zu verschlüsselten Daten für Strafverfolger gerade umgesetzt, Trojaner sind dabei nicht vorgesehen.

Wie bei Geheimdienstmitarbeitern generell üblich, wird in dieser Aufzählung der Probleme ein entscheidender Punkt verschwiegen: die Leaks der ominösen „Shadow Brokers“ seit Mitte 2016 und deren verheerende Folgen für die Moral in der National Security Agency. Bruce Schneier, einer der erfahrensten internationalen Sicherheitsexperten, bezeichnet die Veröffentlichung von wichtigen Teilen des Cyberwaffenarsenals als Super-GAU für die NSA, der den Schaden durch die Enthüllungen Edward Snowdens weit in den Schatten stelle.

Anders als Snowden, der ausschließlich Folien und Dokumente der NSA an die Öffentlichkeit gebracht hatte, stellten die ominösen Schattenhändler, hinter denen jedenfalls ein großer ausländischer Geheimdienst steht, ein ganzes Arsenal funktionsfähiger Angriffswaffen der NSA ins Netz. Dass mit einer umgebauten Version solcher Schadsoftware der NSA dann im Mai 2017 Verbündete der USA von Unbekannten angegriffen und verheerend getroffen wurden, ist eine Blamage, die in der neueren Geschichte der Geheimdienste bis jetzt einzigartig ist.

Bruce Schneier

CC BY SA 2.0 von Terry Robinson via Flickr

Foto: CC BY-SA 2.0 von Terry Robinson: Bruce Schneier, unabhängiger Sicherheitsexperte mit Schwerpunkt Kryptographie und Autor mehrerer Kryptoalgorithmen hält den Schaden durch die „Shadow Brokers“ für weitaus höher, als in der Öffentlichkeit angenommen wird.

Nachfolger in den Sternen

Bereits seit Herbst hatten Washington Post und „New York Times“ abwechselnd über den Schwund gerade an erfahrenen Agenten berichtet. Direktor Michael Rogers, der kurz nach den Snowdenschen Enthüllungen berufen worden war, um dann selbst in ein noch größeres Fiasko zu geraten, hatte bis zuletzt versucht, mit einem Reformprogramm gegenzusteuern. Diese Aufgabe muss nun sein Nachfolger bewältigen. Wer das freilich sein soll steht angesichts der bisherigen Besetzungspolitik der Trump-Regierung völlig in den Sternen.

Derzeit steht ein des Diebstahls von insgesamt 50 Terabyte Daten angeklagter NSA-Consultant in den USA vor Gericht, der höchstwahrscheinlich die Quelle der „Shadow Brokers“ war.

Genannt wird zwar der bisherige Direktor von Cybercom, Generalleutnant Paul Nakasone, mehrere US-Senatoren sprachen sich dafür aus, wieder einen Zivilisten an die Spitze der NSA zu berufen, wie es jahrzehntelang üblich war. Dafür hatte sich auch der ehemalige Oberste Geheimdienstdirektor James Clapper gegenüber „The Cipher News“ ausgesprochen, obwohl Clapper selbst im Generalsrang mit drei Sternen ausgeschieden war. Das scheint zwar paradox, das Kalkül dahinter ist allerdings völlig rational. Die Führung der NSA ist weniger eine militärische, als vielmehr eine weitgehend politische Aufgabe, da ja politische Vorgaben umgesetzt werden müssen. Die aber kommen von der Trump-Regierung, wodurch das Amt des NSA-Direktors nun eine Art von Himmelfahrtskommando geworden ist.

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