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Bandportrait Neuschnee

Elodie Grethen

Wenn Form und Inhalt verschmelzen

Zwischen Zeitgeist und Zwölftonmusik, zwischen elektronischen Beats und kammermusikalischen Streichern. Das neue Album „Okay“ der Wiener Band Neuschnee ist ein wilder Ritt.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Ja, darf man das überhaupt?

So ein kurzes Streicherintro machen und dann hatscht da so ein träger Beat plötzlich daher. Es wird auf Holz geklopft und kecke Synthie-Melodien hüpfen herum. Dazu wird auf Englisch dem Sprechgesang gefrönt und über Kochen, guten Geschmack und Sex philosophiert.

Wenn’s jemand darf, dann der Hans.

Der erste neue Song „Umami“ von Neuschnee, mit der bezaubernd elegischen Stimme der jungen Sängerin und Schauspielerin Pippa Galli crashed rein wie der ungebetene Gast zur Hochzeitsparty, der sich exzentrisch aufführt und den am Ende des Abends dann doch alle lieben. Ein Song über eine schwer definierbare Geschmacksrichtung, geschmackvoll umgesetzt mit viel Witz und Eigenwilligkeit.

Arschtritt ist okay

Das letzte Werk „Schneckenkönig“ von Neuschnee war ein groß angelegtes Konzeptalbum über Hans Wagners Gefühlsleben und seine inneren Prozesse. Die neue Platte „Okay“ hat ihren Ursprung im genauen Gegenteil.

Hans Wagner: „Die Songs haben eine unterschiedliche Entstehungsgeschichte, auch eine unterschiedliche Zeit in denen sie aufgenommen worden sind. Ich wollte mich diesmal selbst in den Arsch treten und mir sagen: Hey, jetzt nimm einfach einmal auf und mach was weiter und denk nicht so viel drüber nach.“

Neuschnee präsentieren in neues Album „Okay“ live:

  • 31.1. WUK, Wien
  • 09.3. Jazzit, Salzburg
  • 26.4. Orpheum, Graz

So hat Hans Wagner in seinem eigenen, kleinen Studio mit Beats und Sound herumgespielt, bis das eine oder andere Stück daraus entstanden ist, ohne noch die Vision eines Albums zu haben. Vielleicht kommt deshalb auch die elektronische Seite mehr in den Vordergrund, eine Liebe, der Hans bisher bei Neuschnee nicht nachgegangen ist.

Auch die zweite Single „Der Zeitgeist macht Buh“ ist ein aberwitziges Elektropop-Stück mit rauschendem Drumcomputer-Beat und knisternden Synthies, wobei im opulenten Refrain die Streicher mit flotter Melodie integriert werden, bevor die angezerrten Sirenen erklingen.

Verschmelzen ist okay

Auf „Okay“ wendet Hans Wagner einen sehr cleveren Trick an: Er verschmelzt die Form mit dem Inhalt. Während bei „Der Zeitgeist macht Buh“ die gegenwärtigen Elektro-Sounds in ein formatartiges Stück verpackt werden, bringt Hans Wagner unseren gesellschaftspolitischen Zeitgeist mit wenigen Worten auf den Punkt, wenn er davon erzählt, dass Populisten keine Hüter des Lichts sind, wir dem Markt zuerst vertrauen und in der Krise dann eine Mauer bauen. Am Schluss steckt Hans jedoch nicht den Kopf in den Sand, sondern erinnert uns daran, dass es nie zu spät ist für Solidarität.

Die andere musikalische Seite der Platte, die live als Band eingespielten Stücke, sind in ihrer knöchernen, organischen Soundqualität ebenfalls eine clevere Verschränkung von Form und Inhalt. Während in „Dasselbe Lied“ Hans Wagner über die Formelhaftigkeit der 4-Akkord-Popsongs singt, bedient er sich selbst diesem vier Akkordschema, um damit gemeinsam mit dem Text im Verlauf des Liedes immer mehr zu brechen.

Hans Wagner: „Ich mag es, wenn einen Musik berührt. Und wenn es nach so einem Formalismus geht, dann berührt mich die Musik nicht. Deshalb wollt ich was finden, was den Formalismus einerseits bedient und andererseits sagt, nein, mit dieser Form wird es nicht funktionieren.“

Sänger, Komponist und Songschreiber Hans Wagner von der Band Neuschnee

Jan Frankl

Selbst Anleihen der Zwölftonmusik, auf die er sich im Song „Denkmal aus Glas“ auch textlich bezieht, schafft Hans Wagner durch sein kompositorisches Geschick mühelos in einen Popsong zu integrieren. Dabei werden Tonleitern, Stimmungen und Geschwindigkeiten abrupt geändert und ineinander verschoben und trotzdem kann man überraschender Weise dem Stück leicht folgen. Alleind das ist übrigens schon mehr als nur okay.

Hoffnung ist Okay

Einen kleinen, sehr direkten Einblick in die Seele gewährt uns Hans Wagner mit dem Stück „Stadtrandkind“. Denn schon immer wollte er einen Song über seine Herkunft schreiben, über jene Zeit, als er im Speckgürtel von Berlin im Probekeller erste Songs geschrieben hat.

Hans Wagner: „Du bist am Stadtrand irgendwie Teil von einem großen Organismus, aber du hast die ganze Zeit das Gefühl, irgendwann geht’s jetzt einmal los. Irgendwann passiert mal was, dann weißt du, was du tun musst und bist Teil vom großen Ganzen. Für mich war das damals so ein großes Warten.“

Cover der neuen Neuschnee Platte "Okay"

neuschnee/Problembär Records

Das neue Album „Okay“ von Neuschnee erscheint am 2.2. auf Problembär Records.

Auch hier richtet sich die Form nach dem Inhalt. Während in der Strophe schleppend im klassischen Bandsound auf den großen Moment gewartet wird, bäumt sich der Refrain zu einem Stadionrock-Stück auf, untermalt mit Streichern und endlosem Echo.

Was die nur sieben Stücke bei aller Diversität vielleicht zusammenhält, ist die gute Portion Hoffnung, die in jedem Song irgendwo mitschwingt. Denn selbst in diesen schwierigen Zeiten sollte man laut Hans Wagner nämlich nicht den Mut verlieren, mit seinem Leben etwas anzufangen. Das spiegelt sich am besten in der berührenden Ballade „It’s Okay To Feel Lost“ wider. Ein melancholisches Lied, in dem Hans Wagner sich nicht dem alten Muster hingibt, sich in seinem Unglück zu suhlen, sondern eine neue Perspektive einzunehmen, die uns sicher allen immer wieder mal gut tut.

Hans Wagner: „Es gibt ja manchmal Tage, die laufen nicht gut und es kommt alles zusammen und du denkst dir, es ist einfach alles für’n Arsch. Im Nachhinein merkt man dann vielleicht, dass es auch an einem selbst liegt, wo man so etwas einordnet. In die Alles-ist-Kacke Ecke oder in die Ist-jetzt-blöd-aber-es-wird-schon Ecke. Es ist schon auch Einstellungssache und in dem Lied geht’s darum zu sagen: Es geht mir jetzt gerade Scheiße aber es ist okay, denn ich weiß, es wird sich wieder ändern.“

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