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SZenenbild aus "Mosaic"

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Puzzle-Schlamassel

Der Zuseher als Hobby-Ermittler in einem Mordfall: Steven Soderberghs Serie „Mosaic“ wurde ursprünglich als interaktives Schau-Experiment für eine App konzipiert. Bei uns ist es in linearer Form verfügbar - und ist eine matte Sache trotz Sharon Stone im Aufriss-Modus.

Von Pia Reiser

Der Teufel steckt im Detail, sagt man, manchmal steckt im Detail auch ein engelsgleicher Rettungsring für die eigene Wachsamkeit, um beim Serienschauen nicht zu ertrinken in schulterzuckender Gleichgültigkeit, in einlullendem Ennui.

Szenenbilder aus der Serie "Mosaic"

HBO/Sky

In Steven Soderberghs - ansich der Mann für Anti-Ennui - sechsteiliger HBO-Serie „Mosaic“ muss man sich an Details klammern, nach Soderbergh-Spleens im Krimi-Experiment suchen, um nicht dezent fadisiert das Handtuch zu werfen. Was er als interaktive Schnitzeljagd inszenieren wollte, muss man sich selbst zur akademisch-analytischen Schnitzeljagd umbauen, um das Interesse nicht zu verlieren. Ein dünner, roter Faden, der sich anbietet als Geleit durch eine durchwegs katharsis-freie Serie, ist die Thematisierung von Kunst. Aber lasst uns am Ende beginnen:

„Mosaic“ ist in Österreich via Sky verfügbar

Unzählige kleine Pinselstriche und Pinselpunkte in reinen Farben, die sich zu einem großen Ganzen zusammensetzen. Vor so einem Gemälde, das man dem italienischen Divisionsmus oder Pointilismus zurechnen kann, steht in der letzten Episode von „Mosaic“ eine Figur, die praktischerweise ein paar Folgen zuvor über italienischen Divisionsmus referiert hat. Viele kleine Teile, die sich zu einem Ganzen zusammensetzen lassen ist auch eine treffende Beschreibung für ein Mosaik und auch für „Mosaic“, das interaktive Serien-Experiment, das Steven Soderbergh - nach einem Skript von Ed Solomon - inszeniert hat.

Szenenbilder aus der Serie "Mosaic"

HBO/Sky

So sieht die „Mosaic“-App aus

Mörderjagd im Schneckentempo

Bereits letztes Jahr konnte man in den USA mit der „Mosaic“-App am Smartphone in die Geschichte um einen Mord an einer Kinderbuchautorin in einer Kleinstadt eintauchen. Nach 30-minütigen Episoden konnte man entscheiden, welcher Figur man weiterfolgen wollte. Den Ausgang der Geschichte konnte man nicht beeinflussen, wohl aber den Blickwinkel, von dem aus sich die Geschichte entfaltet.

Finanziert wurde das Projekt von HBO, dafür musste Soderbergh dann auch eine lineare Variante von „Mosaic“ abliefern, der Sechsteiler, der sich wie eine Strafhausübung anfühlt, die Soderbergh trotzig auf den Lehrertisch gepfeffert hat, ist aktuell in Österreich via Sky zu sehen. Die App ist bei uns nicht verfügbar, man kann sich also Soderberghs Vision vom interaktiven Fernsehen in ganz altmodisch passiver TV-Konsumentenmanier ansehen. Paradox? Ja, so könnte man es auch nennen.

Und so latscht man, weil man ja keine anklickbare Alternative hat wie die „Mosaic“-App-User, vier Episoden lang einer Figur namens Petra (Jennifer Ferrin) hinterher und landet dabei gegen Ende vor oben erwähntem Gemälde, das in einem Raum hängt, den der kunstsinnige Hausbesitzer „Red Room“ nennt, phonetisch rückwärts heißt das „murder“ (vielleicht ist er aber auch ein „50 Shades of Grey“-Fan) und genau deswegen sind wir ja hier.

Dass die Kinderbuchautorin Olivia Lake (Sharon Stone in larger than life-Cougar-Modus) ermordet wurde, das wird in der ersten Szene der Serie verraten. Olivia Lake hat nach ihrem Kinderbuchüberraschungshit „Where the woods were“ eine Stiftung gegründet, die Kindern Kunst näherbringen soll, die Stiftung heißt „Mosaic“ und der niederschwellige Zugang zu Kunst für alle ist quasi die Gegenposition zum red room, einem versperrten Raum in einem von Securities geschützten Haus, Kunst als etwas, zu dem nur die reiche Elite Zugang hat. Dieser red room befindet sich in einem eindrucksvollen Haus in Utah.

Szenenbilder aus der Serie "Mosaic"

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Kühl, nicht cool

Dort, also in Utah, am Sundance Festival, begann Steven Soderberghs Karriere 1988 mit „Sex, Lies & Videotape“. In einem fiktiven Windersportidyll namens Summit, Utah ist „Mosaic“ angesiedelt.

Schneebedeckt und kalt ist es hier und nicht nur wegen der Außentemperaturen ist „Mosaic“ eine äußerst kühle, aber nie eine coole Angelegenheit. Viele Außenszenen taucht Soderbergh in blaues Licht, drinnen schummert es zwar gewohnt soderberghisch orange, doch die Emotionen befinden sich - warmes oranges Licht hin oder her - grad im Winterschlaf.

Hitzig und leidenschaftlich ist hier nur eine: Olivia Lake, gefeierte Kinderbuchautorin und strahlender Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens im kleinen Städtchen Summit. Ein Funken Glamour inmitten der Schneegatsch-High-Society. Klassische Genderrollen dreht „Mosaic“ um. Die erfolgreiche Frau Ende 50 reißt sich kurzerhand und mit greislich zweideutigen Formulierungen Joel, den feschen Barkeeper mit Bart und künstlerischen Ambitionen (Garrett Hedlund) auf und verspricht, ihn zu fördern. wink wink nudge nudge. Er darf in einer Hütte auf ihrem Anwesen wohnen und eventuell kann er sich ja handwerklich erkenntlich zeigen. wink wink wink nudge nudge nudge.

Szenenbilder aus der Serie "Mosaic"

HBO/Sky

Sharon Stones Spiel ist groß und ungebremst, manchmal fast zu groß für Soderberghs Stil der größtmöglichen Distanz und kühlen Beobachtung. Als Olivia ermordet wird - und das passiert schon in der zweiten Episode - geht „Mosaic“ das Herzblut, oder zumindest ein tempogebender Puls, verloren. Olivias Verlobter wird verhaftet, doch vier Jahre nach dem Mord versucht dessen Schwester Petra (die Bildstarrerin, siehe weiter oben) den wahren Täter zu finden.

Sie hat Olivia nur einmal getroffen und dabei sind die beiden Frauen mit ihren Ansichten über Kunst ein wenig aneinandergeraten. Olivia hat die Emotion über die Technik gestellt, Petra nimmt die Gegenposition ein und hat wohl Steven Soderbergh auf ihrer Seite. Es ist offensichtlich, dass ihn an „Mosaic“ hauptsächlich der technische Aspekt interessiert hat, das Experiment, das Sich-Ausprobieren in neuen Kanälen. Er hat den Traum vom interaktiven Fernsehen ein Stückchen weitergeträumt und er glaubt an dieses Format und bezeichnet „Mosaic“ als die Höhlenmalerei dieses eben erst enstehenden Genres.

Womit wir wieder bei der Kunst wären. Olivia ist die zumindest früher mal kreative, impulsive Kraft, Petra die kühle Analytikerin, die Bilder restauriert. Joel zeichnet Comics und verehrt Will Eisner und Olivias Verlobter ist immerhin ein con artist.

Abgesehen davon ist in Summit, Utah, alles wie eh und je in diesen Städtchen, die in US-Serien von einem Mord durchgebeutelt werden: Korrupte reiche Männer, hart arbeitende Polizisten, kleine Geheimnisse und große Lügen. Man kennt die Grundzutaten, doch das hier ist weder die surreale Welt von „Twin Peaks“, noch der schwarzhumorige Manierismus von „Fargo“. Man wird fast ein bisschen wehmütig, Alison Tolman aus der ersten „Fargo“-Staffel in „Mosaic“ in einer kleinen Rolle zu sehen und an die erzählerische Brillianz von „Fargo“ erinnert zu werden, während sich „Mosaic“ mit Dahindümpeln zufrieden gibt.

Szenenbilder aus der Serie "Mosaic"

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Wir sind ja hier nicht in „The Wire“

Richtig wach scheint die Serie nur in Momenten zu sein, in denen sie sich zur Selbstreferenz, zum Kitzeln an der Meta-Ebene aufrafft. So hat Olivia Lake eine Art Erlebnispfad für Kinder angelegt. In die eine Richtung erlebt man die Geschichte aus Sicht des Jägers und in der anderen Richtung aus Sicht der Bären. Eine andere Figur redet von linearem Storytelling und Petra wechselt häufig ihre Sonnenbrillen, um, wie sie selbst erklärt, zumindest ein bisschen unter Kontrolle zu haben, wie die Welt aussieht. Schön auch, wenn der Sheriff einem Zeugen erklärt, dass natürlich die Figuren in „the Wire“ ein wire tragen würden, so würde schließlich die Serie heißen. Sie beide aber, sind ja nicht in „The Wire“.

Sheriff Nate (Devin Ratray - Buzz aus „Kevin allein zuhaus“!), mit wachsender Verzweiflung aber auch Ambition, den Mordfall restlos aufzuklären, ist die wohl nahbarste Figur in „Mosaic“, doch trotz wackerem Ermittler ist die Serie als whodunnit-Krimifutter enttäuschend.

Szenenbilder aus der Serie "Mosaic"

HBO/Sky

Technik vs Emotion

Die Suche nach dem Mörder ist weitaus weniger interessant als die Suche nach Soderberghs Eigenheiten, die ungewöhnlichen Winkel, das Wegdriften der Kamera während eines Dialogs, die Verlorenheit der Figuren in Innenräumen. Die befriedigende Katharsis eines gelösten Kriminalfalls setzt hier nie ein und für einen atmosphärischen Thriller bleibt die Erzählweise zu fragmentiert. Soderbergh spielt mit Erwartungshaltungen und Erzählkonventionen, doch „Mosaic“ bleibt nur als zu analysierendes Werk interessant, nicht als Geschichte oder Schau-Erlebnis.

Gegen Ende wiederholt sich die Szene des „auf ein Bild starren“, Petra besucht Olivia Lakes Stiftung für Kinder und betrachtet fast hypnotisiert eine Kinderzeichnung, die Olivia darstellt und in dem kleinen Moment triumphiert die Emotion über die Technik - in der Geschichte als auch als Wirkung beim Publikum - doch da beginnen auch schon die End-Credits zu laufen.

Das größte Rätsel lüftet „Mosaic“ übrigens ganz nebenbei. Jenniffer Ferrin, die Petra spielt, ist die einzige Person auf Erden, die in Culottes nicht behämmert aussieht.

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