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Franz Ferdinand

David Edvards | Domino Records

robert rotifer

Artist Of The Week: Franz Ferdinand

Wo andere „bissel bremsen“ oder „allmählich abbauen“, behaupten sie sich stur als „Always Ascending“. Franz Ferdinand sind jetzt eine der dienstältesten unter den Bands, denen man noch zuhört.

Von Robert Rotifer

Eine lange Zeit ist eine lange Zeit, nur im Pop ist sie noch ein gutes Stück länger. Wer Alex Kapranos dieser Tage interviewt, wird so wie ich zu hören kriegen, dass „Always Ascending“ der Beginn der zweiten Dekade in der Karriere von Franz Ferdinand sei.

Der zweiten anderthalb Dekaden wohl eher, wir können schließlich nachzählen, und einige von uns, die bereits bei vollen kognitiven Kräften waren, als 2003 das heute noch zwingend klingende „Darts of Pleasure“ die ganze Geschichte lostrat, sind uns der Menge seither verflossener Monde nur allzu schmerzhaft bewusst.

Ehrlich gesagt, auch wir waren besorgt, als wir zum ersten Mal die gebleichte Coiffure in der beiden Fränze Kapranos und Paul Thomson frischer Promo-Fotos sahen, nicht zuletzt, weil sie uns allzu konkret an die eigenen Versuche der Verfallsverleugnung gemahnten.

Um jetzt einmal seriöserweise in den Singular zu wechseln: Ich geb meinen neuen Franz-Ferdinand-Files immer absichtlich exotische Namen, damit ich in meinen Festplattensedimenten nur ja nicht auf Spuren alter Thesen der Franz-Ferdinand-Hofberichterstattung meines früheren Ich stoße. Die Symptome der Midlife Crisis sind mir also keineswegs fremd.

Allerdings, auch wenn sich viele heute aus ganz falschen Gründen darauf berufen, es war damals tatsächlich eine andere Welt. Ein Indie-Label wie Domino Records konnte noch mit einer Gitarrenband aus Glasgow – wenn auch unter leichtsinniger Investition kurzfristig existenzbedrohender Auslagen – die Charts erobern. Der Irak-Krieg war gerade in vollem Gang, dafür galten Nazis in Österreich als im Aussterben begriffen, und niemand hatte je das Wort Brexit gehört. Und wenn eine Buben-Band als Motto ausgab, sie wollte „music for girls to dance to“ machen, dann klang das noch eindeutig wie eine humorvolle Ablehnung alles Mackerhaften und nicht wie eine grenzsexistische Anmaßung (vielleicht war es beides).

Es hat also keinen Sinn, die Länge dieser Reise kleinzureden. Franz Ferdinand sind jetzt eine der dienstältesten unter den Bands, denen man noch zuhört, ob in Blond oder Grau. Das brauchen sie nicht zu verbergen.

Andererseits verspürte ich gleich beim Anblick des im Jungbrunnen gewaschenen Haars der Herren Kapranos und Paul Thomson (Schlagzeug) bzw. noch viel mehr beim Anhören ihres neuen Materials einen gewissen Respekt für die mutige Entscheidung, den allen Rock-Bands Mitte Vierzig logisch offen stehenden, würdigen Weg ins Ewig-Richtige zu schmähen. Wo andere „bissel bremsen“ oder „allmählich abbauen“, behaupten FF sich stur als „Always Ascending“. Nicht Vibrato-Gitarren oder Hammond-Orgeln bevölkern dies fünfte Album, sondern sehr zeitgemäß übersatt komprimierte, allerdings gänzlich live eingespielte Beats kombiniert mit Vintage-Synths, wie nur französische Sammler (in diesem Fall Produzent und Cassius-Hälfte Philippe Zdar) sie in gut diebstahlsversicherten Chateaus horten.

Dahinter steckt auch eine Erneuerung im Personal. Für den nach der Kollaboration mit Sparks (FFS) vor zwei Jahren in Freundschaft aus dem Kreise zu Rockstars gereifter Glasgower Kunststudenten geschiedenen Nick McCarthy haben Franz Ferdinand – ein großes Kompliment an den Abgegangenen – gleich zweifachen Ersatz gefunden: Julian Corrie alias Miaoux Miaoux, der die Band einst als tanzender Teenager lieben lernte und seine davon inspirierte eigene Schaffenslust in elektronische Sounds kanalisierte, welche er jetzt wiederum als Keyboarder unter Verwendung von Zdars Arsenal an Frequenz-Generatoren und -Modulatoren zurück in den Sound der Band injiziert.

Und Gitarrist Dino Bardot, ein gewissermaßen noch originaleres Bandmitglied als McCarthy dank seiner Rolle in der Prähistorie der Band, die mir Alex Kapranos neulich so erklärte: „Dino übernahm 1998 meine Rolle als Bassist in The Yummy Fur (memorable, kratzige Glasgower Indie-Band, in der u.a. auch Paul Thomson Schlagzeug spielte, und die sich nachher zur Power Pop Band The 1990s entwickelte, Anm.), aber Dinos Rolle geht noch weiter zurück. Die erste Person, mit der ich je zusammen Musik geschrieben habe, war mein Freund Andrew Conway. Wir saßen in Glasgow in der Schule nebeneinander und gingen jeden Tag gemeinsam heim. Und als Andrew in die Volksschule ging, saß er neben Dino Bardot.“ Was ein Bewerbungsschreiben wohl hinfällig gemacht hat. Vor allem aber erlauben Bardot und Corrie es Kapranos, hin und wieder die Gitarre abzustreifen und sich ganz auf das Beben seines Baritons zu konzentrieren, der diesmal ziemlich Herausforderndes rüberzubringen hat.

Franz Ferdinand

David Edvards | Domino Records

Selbst für einen höchst eingeklinkten Autor mit feinen Antennen wie Kapranos ist es schon erstaunlich, dass er es im vermutlich ergiebigsten Song des Albums „The Academy Award“ fertiggebracht hat, nicht nur eine der melodisch wie textlich dramatischsten Kurven seines bisherigen Songwriter-Schaffens zu konstruieren, sondern dabei nebenbei auch noch die Weinstein-Affäre zu antizipieren.

Der Text funktioniert auf drei Ebenen: Die erste spielt mit Columbo-Zitaten („My wife is such a fan“) und makabrem Detektiv-Jargon („Show me the body“). Die zweite kontrastiert die Wahrnehmungswelt eines japanischen Hikikomori – also eines bei seinen Eltern wohnenden, sozial nur im Internet agierenden jungen Mannes, der anderer Menschen Körper ausschließlich in Flüssigkristallen aufgelöst begegnet – mit jener der bis 2017 ältesten Frau der Welt, Emma Morano, die einmal feststellte, das Geheimnis ihres langen Lebens sei gewesen, „sich von Männern fernzuhalten“.

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Am 13. März spielen Franz Ferdinand im Gasometer Wien

Die dritte Ebene wiederum beschreibt die narzisstische digitale Selbstdarstellung in sozialen Medien als das „movie of our lives“. Der Refrain führt die Metapher mit einer Referenz auf die Oscars weiter, die mir beim ersten Hören letzten November noch ein bisschen plump vorkam, aus heutiger Sicht aber auf geradezu prophetische Weise obigen Bezug zu realen Ereignissen herstellt. Die Frauen in „The Academy Award“ tragen nun alle schwarze Kleider, und die Aufforderung „show me the body“ klingt jetzt sinistrer, als sie bei der Aufnahme je gedacht gewesen sein kann. Detto das den Werken der Celebrity-Journaille wörtlich entliehene, in boulevardesken Phrasen gehaltene „Glimpse of Love“. Oder das den im Oktober als One-off veröffentlichten Anti-Trump-Protestsong „Demagogue“ fortführende, aus ungeniert besserwisserischer Außenperspektive gesungene amerikanische Sittenbild „Huck & Jim“. Schwer zu sagen, wie viele Hörer_innen in mid-stream innehalten werden, um zu ergooglen, was es mit diesem „NHS“ auf sich hat, von dem Alex Kapranos den Amerikaner_innen erzählen will.

Ihr – in den besten Fällen leidenschaftliches, in den schlechtesten ein wenig zu bemühtes – Sendungsbewusstsein ist nach der Sound-Reform von „Always Ascending“ nun jedenfalls eindeutig das Altmodischste an Franz Ferdinand. Das ehrt sie eigentlich.

Im Übrigen hab ich nachgesehen, die Frisuren sind mittlerweile wieder besser geworden.

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