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King Krule Arena Wien

Franz Reiterer

Der Zauberer von Ooz

Er bezeichnet sich selbst als den Poeten seiner Generation. Da ist wohl was dran: King Krule in der Arena Wien.

Von Lisa Schneider

Heiß war es vor allem, weil die Arena Wien gestern Abend ausverkauft war, schon seit längerer Zeit. Und das obwohl, oder gerade weil Archy Marshall aka King Krule das erste Mal überhaupt in Wien gespielt hat. „I’ve never played in Vienna before, I just sometimes stopped at the airport here. And what I always thought was, well, pretty beautiful people here.“ Keine Sorge, das war einer der sehr wenigen lieber überhörten Sätze am gestrigen Abend.

I wear your granddad’s clothes

Es gab gestern keinen Support-Act, nur ein DJ-Set. Der pünktliche Konzertbeginn kurz nach halb neun hat sogar dazu geführt, dass die schier unendliche Menschenschlange noch nicht einmal ganz hineingetröpfelt ist in die große Halle, als die ersten Töne erklingen.

Mit wilden Gesten springt King Krule auf die Bühne, in einem Hemd, das aussieht, als gehöre es seinem Großvater. Und obwohl das wahrscheinlich nicht seine Intention war, passt der Vintagelook perfekt zu all den Fake-Fur-Coats, den weißen Sneakers, den dezent umrandeten, goldenen Brillengestellen, wohin man im Publikum auch blickt. Sehr hip, das Publikum bei King Krule, oft nicht ganz so jung wie er selbst (23), und in Einzelfällen sogar schon im Pensionistenalter.

Jazz, Straße, wilde Tiere

Der erste Song heißt „Has this it“ und stammt vom 2013 veröffentlichten Debütalbum „6 Feet Beneath The Moon“. „Another dissapointed soul“ singt Archy Marshall sein Credo gleich am Anfang des Sets, das passt hervorragend. Sein Gesicht zeigt er kaum, die Spots sollen auch im Laufe des Abends immer nur indirekt in den Farben Petrol, Violett oder Rot seine Züge schemenhaft umzeichnen.

Sein aktuelles Album „The Ooz“ ist verliebt in Saxophon-Soli, und das wird auch live so umgesetzt, auf der gestrigen Bühne sogar zweimal. King Krule, mit seinen schlenkernden Armen beim gebelltem „Ceiling“, einem der schönsten Songs im ganzen Set, wirkt wie ein urenglischer, junger Hooligan, der in ein Jazzpub gestolpert ist. Die Drums dribbeln, das Saxophon spielt, ein Glas Chardonnay bitte, oder, äh, doch nicht. Das muss Archy Marshall gefallen, der Bruch von Optik, Genre und Stil. Und um diesen verrückten „Zoo“ („Ooz“ verkehrt herum - vor King Krule hat Archy Marshall unter dem Namen Zoo Kid veröffentlicht) zu komplettieren, sieht der Hintergrund der Bühne aus wie die zerfurchte Haut eines Zebras. Welcome to the jungle.

Von einer langen, facettenreichen Karriere

Es folgt „Dum Surfer“, der Song, dem die Krule-Jünger zuletzt verfallen sind. Archy Marshall hat sein erwähntes Debütalbum mit 19 Jahren veröffentlicht, aber schon davor, mit 17, ein selbstbetiteltes Mini-Album herausgebracht. Erste Songs hat er geschrieben, bevor er zehn Jahre alt war, erste Gigs mit 11, 12 Jahren in den heimischen, Nordlondoner Pubs um die Ecke gespielt. Man darf ihn routiniert nennen.

Auch wenn das im Genre Krule auf fast jeden Song zutrifft, hebt sich „Dum Surfer“ in seiner Andersartigkeit noch einmal ein Stück weiter aus dem Oeuvre heraus. Hier versteht man die neben Mike Skinner auch die oft zitierten Jamie-T-Referenzen, es ähnelt ruppigeren Nummern wie „Tinfoil Boy“ oder „Drone Strike“ von dessen 2016 veröffentlichten Album „Trick“. Die Stimmung ist dieselbe, grummelnd, verstört, drängend, sie bohrt in den tiefen, dunklen Ecken. Und vergisst aber deshalb ihren Rhythmus nicht: Es ist auch hier, wie im ganzen Set, der donnernde Bass, der die Songs satt und dick von der Bühne ins Publikum wälzt.

King Krule Arena Wien

Franz Reiterer

Es geht weiter in einer ausgewogenen Mischung aus Debüt- und aktuellem Album. Dazwischen Fan-Schreie, „Hey Archy!“, er, dezent kopfnickend, ein rau gekratztes „Hi“.

King Krule News

Am Tag des Konzerts in der Arena hat King Krule gemeinsam mit Mount Kimbie einen neuen Track veröffentlicht, „Turtle Neck Man“.

Live gab es ihn leider nicht zu hören, die Studioversion gibt’s aber hier.

Gemurmel, Gemurmel und gute Musik

Auf der Bühne verändert sich bei King Krule vor allem die Stimmpräsenz, ein wenig zurückgedrängt von halligen Gitarren, fast als ob King Krule seine delikaten Zeilen live ein kleines bisschen mehr zu schützen versucht. Das ist am Album anders, da stehen sie meist nackt im Mittelpunkt, doppelt hervorgehoben durch den fast durchlaufenden Melodieverzicht.

Dunkles Gemurmel, das muss wohl „the next song is Lonely Blue“ geheißen haben, und so war es auch. Wieder ist es ein faszinierender Stilmix, und der geht über Musikgenres wie Bossa Nova, Jazz, Spoken Word und schrammelndem New Wave hinaus. Es ist ein Persönlichkeits- und Kulturmix, rein geklopfte Straßenpoesie, schluddrige Barromantik. Man würde King Krule gern, rotbeleuchtet und mit geschlossenen Augen flüsternd, ein Glas Irgendetwas anbieten. Aber vielleicht war die Nacht, wie so oft, dafür ohnehin schon zu lang.

Die Gitarre schlägt an für „Little Wild“, einen speziellen Song, der nur auf der japanischen Version des Debütalbums enthalten ist. Die Fans kennen auch das, Kopfgenicke. Überhaupt wünscht man sich diesen König ab und zu an diesem Abend in eine Location wie den Wiener Jazzclub Porgy & Bess, nicht wegen der altehrwürdigen Atmosphäre, sondern wegen der Sitzplätze direkt vor der Bühne. Auf dass man ihn und seine angestrengte Mimik besser beobachten, dem Fluss aus Spoken Words besser folgen könnte.

King Krule Arena Wien

Franz Reiterer

Alles ist eins im Ooz

Es verwundert, wie King Krule seine Setlist Abend für Abend auf der aktuellen Europatour fast ohne Abweichung spielt. Nicht, weil man ihm die Professionalität dahinter nicht zutraut, sondern weil es scheinbar dem widerspricht, wie seine Alben und Songs funktionieren. Als zusammengemengter, mäandernder Brei aus Neu und Alt, aus Schweiß und Wasser, aus Nägeln und Haaren, aus dem Innerstem, seinem „Ooz“.

Manche Songs schleppen sich live mühsam dahin, es ist nicht immer lustig für die Zuseher, aber auch nicht immer lustig für Archy Marshall. Es muss hingespielt werden, zu diesem einen Punkt, an dem die Katharsis wartet, wo alles endlich herausdarf, das Gute, Schöne, das Hässliche und Verzerrte.

Dass „Baby Blue“ und „Easy Easy“ das Set abschließen, ist wunderbar gewählt. Sie kommen dem am Nächsten, was man aus der Feder von King Krule je einen Crowdpleaser wird nennen können, vor allem „Baby Blue“ diese fast weiche, runde Ballade.

„My English is really shit anyway, I wish I could speak more“ kommt es von der Bühne. Diese Selbstironie bemüht King Krule höchstens dort oben, bezeichnet sich sonst gern als den aufsteigenden Poeten seiner Generation. Das wird noch zu beweisen sein, mit Auftritten wie dem gestrigen ist der Weg dorthin jedenfalls geebnet.

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