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Tom Hanks und Meryl Streep in "the post"

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Bloß nicht die Presse stoppen

1971 drucken die „New York Times“ und die „Washington Post“ geheime Dokumente der US-Regierung über den Vietnam-Krieg. Mit „The Post"/"Die Verlegerin“ hat Steven Spielberg ein unstaubiges Stück Erzählkino auf die Leinwand gebracht, das weniger von Richard Nixon erzählt, als eine Erinnerung an die Bedeutung der Pressefreiheit für die Ära Trump ist.

Von Pia Reiser

Das Auge aufs Große und den Großen aufs Auge, so formuliert Tom Schilling in „Verschwende deine Jugend“ das Credo einer Band und Gleiches könnten sich, wenn der Abspann von „The Post“ zu rollen beginnt, wohl auch Meryl Streep und Tom Hanks in ihre herrlichen Hemden und Kaftane der 1970er Jahre sticken.

Hanks spielt in Steven Spielbergs neuestem Drama Ben Bradlee, den Chefredakteur der „Washington Post“ und das Große, das Bradlee auffällt, ist zunächst eine große Lücke: Bradlee macht vervös, dass Neil Sheehan, Star-Reporter bei der „New York Times“ seit drei Monaten keinen Artikel geschrieben hat. Der ist an einer großen Story dran, mutmaßt Bradlee - und liegt richtig.

Die Pentagon Papers sind inzwischen einsehbar und im PDF Format online.

Die Lügen der US-Regierung

Sheehan wurden geheime Dokumente zugespielt, die belegen, dass die US Regierung die Bevölkerung jahrelang über den Vietnam-Krieg belogen hat. In den 7000 Seiten, die Daniel Ellsberg, ziviler Mitarbeiter des US-Außenministeriums in Vietnam, der „New York Times" zugespielt hat, finden sich unter anderem Memos aus Lyndon B Johnsons Amtszeit, die zynische Kalkulationen wie diese auflisten: Gründe warum die US-Soldaten in Vietnam weiterkämpfen müssen: (...) 10 per cent was for the chance of allowing the people of South Vietnam to live better lives, 20 per cent was to keep South Vietnam out of Chinese hands and 70 per cent was to avoid humiliation for the US.“

szenenbilder "the post"

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Die „New York Times“ druckt Teile der sogenannten Pentagon Papers. Richard Nixon, bis vor kurzem noch der ungeschlagen comichafteste Bösewicht unter den US-Präsidenten, tobt. Die Bundesstaatsanwaltschaft ordnet sofortigen Stopp der Veröffentlichung an. Die „New York Times“ weigert sich - und die Regierung klagt die Zeitung. Eine einstweilige Verfügung eines Bundesrichters untersagt der „New York Times“ weitere Veröffentlichungen der geheimen Dokumente.

Wie die Dokumente schließlich bei der „Washington Post“ landen - und von der journalistischen Arbeit im Umgang mit diesen Dokumenten, davon erzählt Steven Spielberg, gewohnt meisterlich gediegen ohne Anflug von Staub in „The Post“. Im Zentrum seiner Erzählung steht eine Frau: Meryl Streep als „Washington Post“-CEO Kay Graham. Das Urteil des Obersten Gerichtshof steht noch aus, Graham muss sich also entscheiden, ob ihre Zeitung die Dokumente druckt und sie - und andere JournalistInnen - eine Gefängnisstrafe riskieren.

Matthew Rhys und Bob Odenkirk in "The Post"

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Die Schreibmaschinen klackern, die Festnetztelefone klingeln ununterbrochen, der blaue Dunst von Nikotin zieht sich durch das Großraumbüro. Die Herren tragen weiße kurzärmelige Hemden, die Frauen haben die Haare hochtoupiert, die Brillen sind larger than life. Getaucht in Nostalgie-freies Produktionsdesign, das das Jahr 1971 authentisch doch unstaubig auf die Leinwand bringt, ist „The Post“ natürlich mehr als die Chronologie einer historischen Begebenheit.

Der Präsident im Jahr 1971, den man hier kaum sieht, nur hört, heißt Richard Nixon. Spielberg - ohnehin kein Freund allzu verschlüsselter Botschaften - lässt keine Sekunde einen Zweifel daran, dass es in seinem Film weniger um Tricky Dick geht, als um Donald Trump. „The level of urgency to make the movie was because of the current climate of this administration, bombarding the press and labelling the truth as fake if it suited them.“, so Spielberg im Interview mit The Guardian.

szenenbilder "the post"

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Blick aufs Jetzt durch die Vergangenheit

Wie auch schon mit „Munich“ oder „Bridge of Spies“ lenkt Spielberg mit einer Geschichte aus der Vergangenheit den Blick auf die Gegenwart, um mit seinen millionenschweren und starbesetzten vor Erzählkunst-Perfektion strotzenden Film-Ungetümen Kritik am War on Terror oder an Guantanamo Bay zu üben, oder die Sorge über den Verlust der menschlichen Grundwerte zu formulieren. „If we lose our core values, of course, we’ve lost the fight.“, so Spielberg in Interviews anlässlich des Filmstarts des Kalten Krieg Thrillers „Bridge of Spies“, in dem sich ein amerikanischer Anwalt mit Idealismus für einen russischen Spion einsetzt. Klingt wie eine Geschichte, erfunden von Spielberg selbst, der so lange für viele bloß der naive Märchenonkel des Popcornkinos war. Beruht aber auf einer wahren Geschichte.

„Die Farbe Lila“ sei sein erster Film gewesen, der nicht nach Popcorn gerochen hat, so Spielberg selbst, die größte Zäsur kommt dann in schwarzweiß und das im gleichen Jahr, in dem Spielberg auch die CGI-Dinosaurier in „Jurassic Park“ loslässt. 1993 inszeniert er Liam Neeson als Kapitalist, Kriegsprofiteur und Mann, der mehr als tausend Juden während des zweiten Weltkriegs das Leben rettet in „Schindlers Liste“. Es regnet Oscars und Diskussionen über die Unmöglichkeit, den Holocaust auf der Leinwand darzustellen.

Optimismus statt Zynismus

Doch wenn einer daran glaubt, dass man aus Geschichte lernen kann, am besten, wenn man sie in eine gute Geschichte verpackt, dann ist das Spielberg, der Mann, der - gemeinsam mit George Lucas - als Erfinder des Blockbusters gilt und der die Popkultur der letzten vierzig Jahre prägend mitgestaltet hat. Der Blick des Kindes auf die Welt, ein Staunen, ein Leuchten, ein Verlorengehen im Narrativ und den Möglichkeiten der Leinwand, dafür steht Spielbergs Kino - vor allem in den 1970er und 1980er Jahren. Berührungsängste mit dem Pathos hat er keine, Zynismus ist ihm fremd.

Ein unerschütterlicher Glaube an Humanismus ist fest verwurzelt in seinen Filmen, er erzählt von Figuren, die sich dafür entscheiden, das zu tun, was richtig ist, nicht das, was einfach ist. Und so spielen Meryl Streep und Tom Hanks als „Washington Post“-CEO Kay Graham und Chefredakteur Ben Bradlee zwar historische Figuren, die aber vor allem mit ihren Überzeugungen Prototypen des Spielberg-Kinos sind. Vor allem für Graham steht einiges auf dem Spiel. Sie bereitet den Börsengang vor, will man sich da wirklich mit der Regierung anlegen?

Tricky Dick hat nichts zu lachen

Und dann ist da auch noch ihr guter Freund Robert McNamara (Bruce Greenwood), ehemaliger US-Verteidigungsminister, dessen Lügen über den Vietnamkrieg Ellsberg im Film schließlich davon überzeugen, die Pentagon Papers der Presse zuzuspielen. McNamara warnt Graham vor Nixon, er würde sie und die Zeitung zerstören, wenn sie die Geheimdokumente veröffentlicht - doch Graham erkennt in dieser Szene auch, dass er ihr droht. Und in Graham, die nach dem Selbstmord ihres Mannes, die Rolle der Verlegerin mit 45 Jahren übernommen hat, wächst langsam das Gefühl der Frustration, wie sie als Frau ununterbrochen eingeschüchtert, nicht für voll genommen, zur Seite gedrängt wird.

Die furchtbare „wir wollen ja nur dein Bestes, armes Hascherl“-Misogynie versammelt Drehbuchautorin Liz Singer in einer frei erfundenen Figur, die passenderweise Fliege trägt und Graham ständig klein hält. Wenn Graham schließlich irgendwann diesem Arthur im Tweed-Jacket wiederspricht und ihn bittet, den Mund zu halten, dann weiß man, dass jetzt auch bald Nixon der Schweiß ausbrechen wird. Auch Graham wird zu einer Frauenfigur, die in „Don’t let the bastards grind you down“-Chor einstimmt.

szenenbilder "the post"

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Wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte sich nach „Die Verlegerin“ gleich „All the president’s men" anschauen“, wer dann noch nicht genug von Watergate hat, dem leg ich den Podcast „Slow Burn" ans Herz“

Geschichte über Emanzipation

„The Post“ ist auch ein Film, über eine Frau, die sich in der männerdominierten Welt des Print-Journalismus der 1970er Jahre beweisen, ihre Stimme finden muss. Zu diesem Zweck macht das Drehbuch Kay Graham wohl zunächst unsicherer und unbeholfener, als das wohl tatsächlich der Fall war. Doch Meryl Streeps Figur erklärt wahrscheinlich auch, warum Spielberg einen Film über die Veröffentlichung der Pentagon Papers in den Redaktionsräumen der Washington Post und nicht denen der „New York Times“ angesiedelt hat, die ja die ersten waren, die die Geheimdokumente öffentlich gemacht haben. Und mit einem Pulitzer Preis ausgezeichnet worden sind.

Fact-checking „The Post“: In einer true story in Filmform ist natürlich nie alles wirklich wahr.

Der deutsche Verleihtitel von „The Post“ ist „Die Verlegerin.“ Dies ist einer der seltenen Fälle, in denen der deutsche Titel tatsächlich Sinn ergibt. Der Film ist eine Geschichte der Emanzipation einer Frau und in der Euphorie über das eigene Nachholen in Sachen Frauenfiguren gehen dann gegen Ende doch die Pathospferde mit Spielberg durch und reiten auf den triumphalen Orchesterklängen von John Williams in den sentimentalen Sonnenuntergang. Als Kay Graham die Treppen des Obersten Gerichtshofs hinuntersteigt, eingetaucht in Sonnenlicht, da werfen ihr junge Frauen anhimmelnde Blicke zu und man würde sich nicht wundern, wenn die jungen Frauen „Hosanna“ oder „Mamma Mia“ anstimmen würden, doch dieser stilistische Ausrutscher belegt auch, wie wichtig Spielberg die Figur der Kay Graham war.

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„The Post"/"Die Verlegerin“ startet am 22. Februar in den österreichischen Kinos

Und er reißt das Erzählruder auch nochmal rum und packt die schmalzigen Sentimentalitäten ein, um sich später mit einer Sequenz vor „All the president’s men“ zu verbeugen, dem Film über die Aufdeckung des „Watergate“-Skandals durch die „Washington Post“-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein.

Dass die Presse die Mächtigen beobachtet und in die Verantwortung zieht, mag als Binsenweisheit anmuten, doch es hilft natürlich beim Schlucken von Spielbergs Botschaft, dass er kein moralinsaures Lehrstück verfasst hat, sondern ein packendes Journalismus-Drama, ein Plädoyer für die Pressefreiheit. Den Großen aufs Auge.

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