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szenenbilder aus "Call me by your name"

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Lange Blicke, kurze Hosen

Timothée Chalamet und Armie Hammer sind das schönste Leinwand-Liebespaar seit langem. In einem Setting - Villa in Italien, redselige Akademiker - in dem sonst nur schnarchige Bildungsbürgerklamotten angesiedelt sind, wird „Call Me by Your Name“ zu einer durchbeutelnden Liebesgeschichte, die zwar 1983 spielt, doch von Zeitlosigkeit durchweht wird.

Von Pia Reiser

Über einen Schreibtisch hinweg reichen sich Teenager Elio (Timothée Chalamet) und der der Mittzwanziger Oliver (Armie Hammer) zum ersten Mal die Hand und stellen sich vor, Elio - Oliver. Oliver - Elio.

Wochen später in diesem Sommer im Jahr 1983 werden sie schmusend in einer Wiese und umschlungen im Bett liegen, den Namen des Anderen flüsternd, ihre Namen tauschend. Call me by your name and I’ll call you by mine“. OliverOliverOliver. ElioElioElio. Wer den Film gesehen hat, dem wird dieses Namenhauchen wie ein Ohrwurm lange durchs Gedächtnis huschen.

Zwischen dem Händeschütteln, dem nächtlichen Flüstern und dem, was danach kommt, liegt ein fantastischer Film über Sehnsucht, Begehren, Liebe, ein Defilee an weiten Hemden und knappen Shorts und die hypnotisierendste Tanzszene seit langem. Regisseur Luca Guadagnino („I An Love“, „A Bigger Splash“) hat für „Call Me by Your Name“ der Überstilisiertheit mal frei gegeben, das hier sei sein ruhigster Film, erklärt er in Interviews. Was nicht bedeutet, dass er einen nicht umhaut, mitreißt, zu Tränen rührt, vielleicht auch in anderer Reihenfolge.

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Das Haus, in dem der Film spielt, steht übrigens zum Verkauf.

Vorsichtiger Balztanz

Der erste Blick, den Elio Perlman, der 17jährige mit den verwuschelten dunklen Haaren, auf Oliver, den großen, blonden Amerikaner, wirft, ist voll Skepsis. Oliver wird den Sommer als wissenschaftlicher Assisstent von Elios Vater mit Familie Perlman verbringen. In einer Villa im Norden Italiens, ein Haus durchflutet von Sonne, Kunstsinnigkeit, gegenseitiger Wertschätzung und dem Geruch von Essen. My god, you’re tall sagt Professor Perlman, Elios Vater (Michael Stuhlbarg), als Oliver aus dem Auto steigt - und tatsächlich wirkt der Amerikaner zunächst zu groß für die pittoreske europäische Szenerie. Zerklatscht die Frühstückseier mit einem Löffelschlag zu einem Dottergatsch, trinkt den mühsam gepressten Marillensaft mit einem Schluck aus, passt grademal ohne den Kopf einzuziehen durch die Türen des alten Hauses. Oliver ist auch larger than life, wenn die Kamera ihn später umtänzelt und Armie Hammers scharf geschnittene Gesichtszüge, die so viel besser in ein Hollywood der 1930er Jahre passen würden, so wie von den antiken Statuen anbetet, mit denen sich Professor Perlman beschäftigt.

Aus Elios anfänglicher Skepsis wird Interesse, Faszination und schließlich Begehren. Doch „Call Me by Your Name“ lässt sich Zeit. Immer eingetaucht in Sonnenlicht, inszenieren Elio und Oliver, der Teenager und der Mittzwanziger, einen gleichermaßen vorsichtigen wie unwiderstehlichen Balztanz in kurzen Hosen. Mit zufälligen Berührungen und halb verschlüsselten Sätzen versuchen sie herauszufinden, wie der Andere fühlt. Verwirrung, Sturm, Drang, Überschwang. „Call Me by Your Name“ erzählt von Elios sexuellem Erwachen und der potentiell transformierenden Kraft dieser ersten Liebe.

It’s Hammertime

Armie Hammer, der Schauspieler, mit dem Hollywood nach „The Social Network“ nie so richtig was anzufangen wusste, macht mit „Call Me by Your Name“ auf europäischen Arthaus-Abwegen einen überraschende und grandiosen Karrierehaken. Das Knistern, Knastern, das Zittern und Beben von „Call my by your name“ ist das Ergebnis einer unglaublichen Chemie zwischen Hammer und dem fantastischen Timothée Chalamet.

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Wenn die beiden - in hellen Oberteilen - in der Wiese liegen, dann erinnert das an „Maurice“, James Ivorys Drama aus dem Jahr 1987 mit Rupert Graves und James Wilby als Liebespaar Anfang des 20. Jahrhunderts (und ein sehr junger Hugh Grant schwärmt und liebt hier auch noch mit). Auch hier liegen, hell behemdt und die Haarsträhnen ins Gesicht fallend, Grant und Wilby in einer grünen Wiese.

„Maurice“ formulierte, beruhend auf einem Roman von E.M. Forster und eingetaucht in die Upper Class/Stiff Upper Lipp-Spitzendeckchen-Welt, für deren Inszenierung Ivory - gemeinsam mit Isamil Merchant - berühmt wurde, die Möglichkeit des Glücks für ein homosexuelles Paar. Auf der Leinwand im Jahr 1987 eine Seltenheit.

Doch viele Kritiken werfen es „Maurice“ vor, zu Zeiten der Aids-Epidemie, Homosexualität ausgerechnet im romantischen Gewand eines Historiendramas mit Figuren aus der britischen Oberschicht auf die Leinwand zu bringen. Wie Guadagnino vertritt auch Ivory die Meinung, dass Film mit dem Schaffen von Utopien ein Webgebreiter für das Realwerden einer Utopie sein kann. I think we have the power of imagining things that can be radically different and what may feel for us is impossible, but eventually is really possible.”, so der Regisseur - Achtung, leichte „Spoiler“ im verlinkten Text - hier.

„Call Me by Your Name“ startet am 2. März in den österreichischen Kinos

Der inzwischen 89jährige James Ivory hat am Drehbuch zu „Call Me by Your Name“ mitgeschrieben - und auch dieser Film erzählt von zwei verliebten Männern - ohne Angst, Unterdrückung, ohne Aids und Tod. Das ist keine Besonderheit für die Nische des queer cinema, doch wenn Hollywood von homosexuellen Figuren erzählt, dann gern im Leidensnarrativ, siehe „Philadelphia“, „Brokeback Mountain“ - und auch „Moonlight“ war für das queere Kino jetzt keine hoffnungsspendende Erzählung.

„Call Me by Your Name“ mit seiner Starbesetzung, einem umjubelten Zug durch die Filmfestivals und vier Oscarnominierungen ist zwar keine Hollywood-Produktion, doch ein Film, der sich nicht damit zufrieden gibt, nur als queer film wahrgenommen zu werden. Die Geschichte sucht und findet ein größeres Publikum - und schiebt - wie Todd Haynes „Carol“ - auch die seltsame Ansicht zur Seite, dass Liebesgeschichten zwischen zwei Männern (oder auch zwei Frauen) nur für ein homosexuelles Publikum interssant sind.

Heidegger und die Psychedelic Furs

In dem bildungsbürgerlichen Setting von „Call Me by Your Name“, der Villa voll mit Büchern, Lexika und den polyglotten Eltern von Elio, inszeniert der Film auch den Sex-Appeal von Geisteswissenschaften. Das Interesse für Musik, Kunst, Geschichte und Sprache der Figuren macht auch ihre Anziehungskraft aufeinander aus.

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Trotz des Zitierens von Heidegger, des Streitens über Bunuel oder sprachwissenschaftlicher Monologe über das Wort „Aprikose“ ist dieses Wunderwerk von einem Film kein Ausflug ins besserwisserische Bildungsbürgerkino. Auch keine radikale Weiterentwicklung des „queer cinema“, sondern vielmehr eine mitreißende Liebesgeschichte, ein Inszenieren der beutelnden Kraft der (ersten) Liebe.

Der Angewohnheit, mit dauernden popkulturellen Hinweisschildern die Zeit, in der der Film spielt, sichtbar zu machen, weiß Luca Guadagnino zu widerstehen. Abgesehen von einem Talking Heads-T-Shirt, einer Robert Mapplethorpe-Photografie in Elios Zimmer und „Love My Way“, einem Song der Psychedelic Furs, durchweht „Call Me by Your Name“ eine verführerische Zeitlosigkeit.

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Und wenn Michael Stuhlbarg als Elio Vater seinem herzgebrochenen Sohn Trost spendet, dann schenkt einem dieser ohnehin schon fantastische Film auch noch eine der besten Vaterfiguren, die man im Kino je gesehen hat.

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