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Bilder vom Elevate-Festival

Elevate Festival

Und Voina bauen einen Schneemann

Voina gelten in Russland als Staatsfeinde. Aber auch in Europa machen sie sich wenig Freunde. Am Elevate Festival in Graz ist die verfolgte aktivistische Familie zu Gast gewesen, die sich gerade so durchschlägt.

Von Maria Motter

Am Wochenende legt das Elevate Festival an Tempo zu. Im Diskursprogramm des Festivals haben Samstagnachmittag die als russisches Anarcho-Kunstkollektiv bekannten Voina einen Auftritt hingelegt, der das Publikum verwundert bis verstört hat. Voina, das sind die, die eine Zugbrücke in St. Petersburg mit einem riesigen Graffito verzierten: Sie sprayten einen Penis auf die Brücke, die vor dem Gebäude des russischen Inland-Geheimdienstes steht. Voina, da waren auch mal Pussy Riot dabei, bevor sie Pussy Riot wurden, weil sich die Männer in der Gruppe nicht an einer Guerilla-Aktion beteiligen wollten. Bei einer Festnahme von Mitbegründer Oleg Worotnikow beteiligte sich der Street Artist Banksy mit 80.000 Pfund an der Kaution.

Wer Voina einlädt, muss wissen, dass Voina ein vorgesehenes Setting korrumpieren. Voina fügen sich nicht in ein System. Wie gerne wird die Verschmelzung von Kunst und Aktivismus verklärt und Widerstand aus der Ferne für cool befunden. Noch lieber, wenn die Persönlichkeiten aus Ländern kommen, deren politische Systeme im Westen nicht als Demokratien betrachtet werden. Aber die unbequemen Positionen werden mitunter von unbequemen Persönlichkeiten überbracht.

„You can talk in English to me“, sagt Oleg Worotnikow von Voina. Kurz zuvor hat er schnellen Schritts den Hauptraum des Forum Stadtpark verlassen. Auf dem Podium zu „Risk: Art und Activism“, auf dem für ihn vorgesehenen Platz, saß er ohnenhin nicht lang. Aber die Kinder von Voina blieben auf der Bühne sitzen. Sie sind im Kindergarten- und Volksschulalter. Zuvor hatte er ein Video gezeigt: Aus der Vogelperspektive ist ein Wohnzimmer zu sehen, in dem ein nacktes Baby krabbelt, das gebadet werden soll. Im krassen Gegensatz dazu spielt sich im Off eine zunehmend unangenehme Auseinandersetzung ab: „Who are you?! Are you police?“

Die Tonspur des Videos deutet an, dass es sich um den Versuch einer Zwangsräumung handeln könnte. Auf der Videoplattform YouTube gibt es eine Altersbegrenzung für das Ansehen des Videos. Am Elevate Festival wird es gezeigt - ohne Kontext und ohne Information darüber, wer Voina überhaupt sind. Etliche im Publikum gehen hinaus. Die Geräuschkulisse ist fast körperlich unangenehm, wohin das führen soll, ist nicht ersichtlich. Oleg Worotnikow fotografiert, als würde er Erinnerungsfotos vom Festival machen.

Eine Freundin von mir verlässt gleich zu Beginn den Raum. Sie hat KünstlerInnenfreunde in Moskau, die sind seit vielen Jahren genervt von Voinas Attitüde. Machoid und respektlos gegenüber anderen sei die. Am Elevate setzt sich diese Haltung fort. Erklärte eben noch die Britin Simone Rowat von Forensic Architecture, wie sie Orte von Kriegsverbrechen und anderen Gewaltverbrechen aufspüren, übernehmen dann Voina als Ein-Mann-Show mit den eigenen Kindern als StatistInnen.

Voina vor Gerichtsprozess

KIRILL KUDRYAVTSEV / AFP

Oleg Vorotnikov und Leonid Nikolaev von Voina vor einem Gerichtsprozess in St. Petersburg 2011.

Keine Performance, sondern Leben an der Kante

Nach dem Abspielen des Videos platziert sich Oleg mit Familie auf der Bühne und schildert ihre prekäre Situation. Am Vortag sei er aus einem Schweizer „Concentration Camp“ für Flüchtlinge geflohen, indem er sich in einem Müllwagen versteckt habe. Dann wäre es mit der Familie nach Wien und weiter nach Graz gegangen. Emotional aufgebracht spricht er Russisch, erklärt, dass der Slogan von „Refugees Welcome“ Bullshit sei. Die Russen würden Kinder niemals derart mies behandeln wie es die EuropäerInnen tun. Über das Gerede von Menschenrechten und Werten hier könne er nur lachen, mit Russen würden wir nie klarkommen und dann noch die Aussage, die wie eine Drohung klingt: Es erwarte uns ein schlimmes Ende. Es ist ein zorniger Rant, wie ihn mir schon auch andere Geflüchtete in Österreich ins Mikrofon gesagt haben.

Im Publikum sind vielleicht die meisten in dem Moment überfordert, als die Moderatorin zur Fragerunde übergehen will. Es ist leise, keine Frage. Wie man das jetzt alles einordnen soll oder auch ob man sich damit überhaupt weiter beschäftigen will, ist noch ungeklärt. Noch mehr, wenn man nicht weiß, wer Voina eigentlich sind. Da kommt einer und kotzt seine Meinung aus. In Russland galten und gelten Voina vielen als Staatsfeinde. Seit fünf, sechs Jahren leben Voina an der Kante und schlagen sich durch. Ich muss an den Schriftsteller Manès Sperber denken, der im September 1945 in die Schweiz geflohen war und in seinen Werken von seiner elendigen Lage dort berichtete.

Wenn die Provokation verhallt

Im Freien, vor dem Forum Stadtpark, gibt Oleg FM4 bereitwillig ein Interview. Ob das Video inszeniert war, will ich wissen. „Nein. Gewöhnlich läuft eine Videokamera drei, vier Stunden am Tag mit und dokumentiert das Familienleben. Es ist eine Art Videotagebuch.“ In der Schweiz habe man all ihre Laptops beschlagnahmt, das Videoarchiv sei ihnen damit auch genommen.

„Unsere Dokumente wurden uns 2010 in Russland abgenommen, darum reisen wir illegal“, sagt Oleg Worotnikow. Eine Institution lud sie in die Schweiz, gelandet seien sie in einem Flüchtlingslager und die sind in der Schweiz „unterirdisch“. Tatsächlich dürfen Geflüchtete in der Schweiz nur in den Schutzbunkern und nicht in Wohnungen untergebracht werden. „Menschen leben dort mitunter zwei Jahre, es geht ihnen schlechter als Tieren. Die Schweizer behandeln Tiere besser als Flüchtlinge. Als wir uns weigerten, gaben sie uns einen Platz in der Wasserstraße in Basel.“ Dort hätte man bald versucht, Voina loszuwerden. „Sie attackierten die Kinder und meine Frau. Das Video von der versuchten Entführung unserer Kinder wurde beschlagnahmt. Die Menschenrechte werden in Europa mit Füßen getreten. Die Polizei in Basel versprach mir Aufklärung, aber das ist nicht passiert.“ Drei Mal wäre versucht worden, ihre Kinder zu entführen, seit sie in Europa sind: in Italien, in Tschechien, in der Schweiz.

Aufregung und Austausch

Eine „faschistoide Aktion gegen jeden Diskurs“ nennt Klaus Kastberger, Leiter des Grazer Literaturhauses, den Auftritt von Voina beim Elevate in einem Twitter-Posting, man hätte sie so nicht zulassen dürfen. „Faschistoid heißt Gleichmachen. Das ganze Publikum. Und nicht reden wollen.“ Doch Voina reden mit einem, wenn auch nicht auf der Bühne. Und sie lösen mit ihrem Auftreten weit mehr Diskussion aus, als das freudige Beklatschen von zutiefst beeindruckenden Persönlichkeiten und deren Aktivismus für Tier, Mensch und Umwelt in den letzten Tagen.

Wenn sich zuvor Unbekannte abends im Orpheum bei DJ Koze über das Vorgefallene unterhalten wollen und debattieren, nimmt man mehr mit als beim bloßen Abnicken von Positionen, die man ohnehin teilt. Und allein der Moment, in dem ich nach zwei Klicks am Iphone über mich selbst erschrecke, weil ich gerade das Podium fotografiere, auf dem Kinder sitzen, deren Ausstellen ich im Grunde komplett ablehne, bringt Erkenntnis. All der Wunsch nach gutem Leben für alle, die Hürden dahin zeigen sich oft schon im Kleinen. Wie soll man auf solche Aussagen adäquat reagieren? All die schöne Vorstellung, das tägliche Bemühen verworfen. Eine Besucherin wollte Voina im persönlichen Gespräch vermitteln, dass die SchweizerInnen gewiss nicht alle RassistInnen seien. Dass man nicht generalisieren dürfe.

Wie weit ist es überhaupt möglich, eine Einschätzung von Vorgängen zu bekommen, die sich andernorts abspielen? Macht es da nicht mehr Sinn, die Inszenierungen aller anzuschauen oder wäre das purer Zynismus? Wie kommt man damit klar, wenn jemand ein Leben lebt, das aus mitteleuropäischer Sicht Unverständnis hervorruft und Wüsten bei anderen hinterlässt? Wieviel Aktivismus ist uns eigentlich lieb und wieviel Widerstand nachvollziehbar?

Voina wurden im Netz und in der Kunstwelt vor wenigen Jahren für ihre Aktionen gefeiert. Im Jänner sei er in Berlin verhaftet worden, weil Russland ihn aufgrund der Aktivitäten von Voina auf eine Interpol-Liste gesetzt hätte. Wenn Worotnikow sich vor der Polizei ausweisen müsse, könne er festgenommen werden. Vier Mal ist ihm das in Europa mittlerweile passiert. Als das zuletzt geschehen ist, verlor seine Frau mit den Kindern ihr Obdach und zog auf ein Boot. „Niemand hat geholfen. Sie sind direkt vom Boot hierhergekommen.“ Was Voina erzählen, ist abenteuerlich im negativen Sinn. „Hier sind Kinder euer Problem. Wenn du keine Kinder hast, bist du besser gestellt“, sagen Voina, die inzwischen auf die Familie geschrumpft sind.

Auf die Frage, wie das für seine Kinder wäre, wenn sie bei solchen Auftritten wie beim Elevate mitmüssten, weichen Voina aus, indem sie vom Versuch, ein Kind in die Schule in Tschechien gehen zu lassen, erzählen. Tschechische Schulkinder wären an den Ausländern vorbei ins Klassenzimmer gegangen, die Ausländer standen draußen. Vor dem Forum Stadtpark formen die Voina-Kinder Schneebälle, die sie nicht schießen. Voina haben in Graz einen Schneemann gebaut.

Anarchisten? Falsch verstanden

Zurück nach Russland zu gehen, sei keine Option. Dort erwarte ihn eine siebenjährige Haftstrafe aufgrund der Aktionen von Voina. Die Stadt Graz trägt den Titel „Stadt der Menschenrechte“, informiere ich Oleg Worotnikow. Ja, das hätte ihm schon jemand gesagt. Aber hier bleiben?, sagt er und macht eine Handbewegung über die Silhouette der Stadt, das wolle er auch nicht! Voina könnten vermutlich um politisches Asyl in einem europäischen Land ansuchen. Aber auch das will Oleg Worotnikow nicht. „Die Kommunisten haben in Graz 20 Prozent oder so? Ich will mit Kommunisten sprechen. Ich habe in Europa noch nie mit welchen gesprochen - sind die verrückt!“, scherzt er und sagt dann ernsthaft: Nachdem Österreich eine rechte Regierung hätte, würde ihn die Meinung der Kommunisten interessieren.

Voina gelten als anarchistisches Kunstkollektiv. Mit dieser Zuschreibung räumt Worotnikow auf. Anarchisten seien sie nicht. Klar, verglichen mit Anarchisten seien sie die größten Anarchisten der Welt. „Wir sind mehr Piraten. Wir haben keinen Respekt vor Institutionen, dem Staat, usw.“ Was ist das letzte Kunstwerk, das er gemacht hat? Künstler im klassischen Sinne seien sie gar nicht, erklären Voina. Sie machen Aktionen, vergleichbar mit Spezialeinsätzen der Polizei und nicht mit Performances, wie sie in Europa gemacht werden würden.

„Niemand kann uns aufhalten. Wir bereiten uns vor, wir trainieren, bis wir es machen können und niemand kann uns abhalten. Wir kooperieren mit keiner Kunstinstitution, wir nehmen kein Geld, wir leben auf uns selbst gestellt.“ Wie geht sich das aus? Es sei permanent schwierig. Das Elevate Festival hätte keine Ahnung gehabt, was Voina aufführen. „Sie müssen noch immer unsere Rückreise organisieren!“, lacht Oleg Worotnikow. Aber wohin genau? Gern zurück nach Berlin, obwohl dort kein Obdach wartet.

Sind Voina noch stolz auf das, was sie gemacht haben? „Ja, es gibt zwei russische Kunstwerke: Das eine ist Das Schwarze Quadrat von Malewitsch und das andere ist Dick von Voina.“

Kunst könne er am Elevate Festival und auf anderen Festivals und Ausstellungen in Europa nicht erkennen, das wäre Design. Eine weitere Position, die eine Diskussion aufmacht.

Was man vom Elevate 2018 mitnehmen kann!

Widerstand in Weißrussland: Das Belarus Free Theatre ist von TheatermacherInnen gegründet worden, deren Aufführungen verboten wurden. Weißrussland ist das einzige Land in Europa, in dem es die Todesstrafe gibt. Staatschef Alexander Lukaschenko herrscht seit mehr als 20 Jahren. Ins Land kann man für 5 Tage ohne Visum einreisen und die Theaterabende besuchen.

  • Die nächste Reise könnte nach Belarus gehen, zu einem Pop-up-Theater-Abend: Natalia Kaliada ist die Gründerin des Belarus Free Theatre und das spielt im Untergrund etwa „König Lear“. Für 5 Tage kann man ohne Visum nach Weißrussland reisen.
  • Über Geflüchtete zu sprechen, doch nicht mit ihnen, ist gönnerhaft. Bei einem Podium zu „Changing the narrative“ sollten Plätze für Erzählungen aus erster Hand zukünftig fix frei sein.
  • „Feminismus is for everybody“, aber wie soll das gehen, wenn Diskussionen zu Feminismus für alle in Fachsprache über Feminismus kreisen? Das hat ein junger Mann zurecht gefragt.
  • AktivistInnen lassen ihre Smartphones bei Besprechungen von Aktionen zuhause. Während der Proteste jedoch wird das Smartphone oft zum einzigen Schutzschild, erklären Aktivistinnen von „Ende Gelände“ und die Menschenrechtsanwältin Tara Houska. Der Standing Rock Protest, einer der größten Proteste in der Geschichte der USA und getragen vor allem von der indigenen Bevölkerung, ist Geschichte. Die Pipeline ist in Betrieb und hatte schon fünf Lecks. Die nächste Öl-Pipeline durch Land von Native Americans steht vor der Fertigstellung. Mit naiven bis diffamierenden Vorstellungen von Native Americans hat Tara Houska aufgeräumt: Eine Erleuchtung ist nicht inbegriffen, wenn man sich dem Protest anschließt.
Bilder vom Elevate-Festival

Elevate Festival

  • Julian Assange hat uns in wenigen Sätzen die Aufmerksamkeitsökonomie erklärt: „WikiLeaks ist berühmt dafür, verfolgt zu werden.“ Darum würde er den einen oder anderen Tweet raushauen.
  • Cian Westmoreland, einem der US-amerikanischen Whistleblower, der Drohnenoperationen publik machte und sichtlich mit sich ringt und kämpft, wie er beim Elevate die Zahl der hunderten Toten ausspricht, für deren Ermordung er mit verantwortlich ist, will man zurufen: An welchen Gott auch immer du glaubst, hier und jetzt machst du das Beste, was du im Nachhinein mit deiner Beteiligung an diesen Militäroperationen tun kannst.

Das Podium als Teil des höchst persönlichen Reflexionsprozesses. Das Elevate Festival fällt und steht mit seinen Diskursgästen, die in diesem Jahr vielfach mit ihren Erzählungen noch mehr in your face waren als bisher, noch näher brachten, wie sie sich etwas verschrieben haben, das sie als wichtig für die Menschheit betrachten.

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