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Cocoa Sugar

Die Young Fathers aus Schottland veröffentlichen ihr neues Album „Cocoa Sugar“. Das Trio aus Schottland verstört nicht nur mit einer ungewöhnlichen Popmischung.

Von Christian Lehner

Da sitzen sie nun im Berliner Office ihrer Promo-Firma und sorgen für ein ähnliches Gewirr an Stimmen und Sounds wie in ihrer Musik. Alloysious Massaquoi, den alle Ali nennen, stammt ursprünglich aus Liberia, Kayus Bankole hat Wurzeln in Nigeria, Graham “G” Hastings ist im Stammsitz der Band geboren, der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Alle drei sprechen einen breiten Scots-Akzent, der aus der Aneinanderreihung von schwer verständlichen Silben und kleinen Lachanfällen zu bestehen scheint. “Wir sind drei total unterschiedliche Typen”, sagt Ali, während zwischen den Worten auch noch einige Gummibärchen Platz finden müssen. “Wenn es kreative Differenzen gibt, wird demokratisch abgestimmt. Und es gibt häufig kreative Differenzen in unserer kleinen Demokratie”.

Sich immer wieder aus der Comfort Zone zu pushen, ist eine erklärte Strategie der Young Fathers. Der Name rührt übrigens daher, dass alle drei nach ihren Vätern benannt wurden. Vor vier Jahren hat das Trio scheinbar aus dem Nichts den Sprung an die Spitze der UK-Popszene geschafft und mit dem Debütalbum “Dead” 2014 den Mercury Price für das “Album des Jahres” gewonnen. Die drei nahmen die Auszeichnung mit stoischen Mienen entgegen. “Es ist nur ein Preis und was ist schon ein Preis?”, meint Graham Hastings rückblickend.

Aus dem Nichts an die Spitze

Die 20.000 Pfund Preisgeld steckten die Young Fathers in die Produktion ihres nächsten Albums. Sie kauften drei Flugtickets nach Berlin. Dort adaptierten sie eine Methode, die Berry Gondry für das berühmte Soul-Label Motown entwickelte: “Wir mieteten uns in einen ziemlich fiesen Keller ein und ermunterten noch während der Entstehung der Songs Journalisten und Freunde, uns Feedback zu geben. Das war für alle Beteiligten sehr unangenehm, aber wir machten Fortschritte”, so Kayus Bankole.

Das Album nannten die Young Fathers “White Men Are Black Men Too” – ein provokanter Titel, schließlich unterläuft er die gängigen Beschreibungen von Rassismus. Erst ein offener Brief von Alloysious Massaquoi konnte ihre Plattenfirma Ninja Tune davon überzeugen, den Albumnamen zu behalten.

Young Fathers in Berlin

Christian Lehner

Die Young Fathers beim FM4-Interview in Berlin, v.l.n.r. Graham „G“ Hastings, Kayus Bankole, Alloysious „Ali“ Massaquoi

Die Wahl des Titels, der aus dem Song Old Rock’n’Roll extrahiert wurde, offenbart einen weiteren Einblick in das Selbstverständnis der Band. Den Young Fathers ist wenig an traditionellen Erzählweisen gelegen, wie wir sie aus dem Hip Hop oder Soul kennen. Die Texte sind kryptisch, gespickt mit Symbolen und Bedeutungsfetzen. Nur selten erzählen uns die drei, die sich das Mikrophon und die Produzentenfunktion teilen, konkrete Geschichten. Lieber zerschlagen sie ihre Themen mit einem wuchtigen Mix aus experimentellen Hip Hop, Post Punk und tribalen Beats, und ordnen die Teile neu an, wodurch die Gedanken und Gefühle in Bewegung geraten.

Die Unruhe unserer Zeit

“Unsere Agenda ist klar antirassistisch und antisexistisch”, sagt Ali, der, so wie die klischeehaft überzeichnete Figur am Cover des neuen Albums “Cocoa Sugar” einen großen Cowboyhut trägt, “aber wir stellen uns nicht auf ein Podest und schwingen politische Reden.” “Allein, dass wir eine Band sind, die aus zwei Schwarzen und einem Weißen besteht, ist ein politisches Statement”, ergänzt Hastings. “Und wir sind eine Popband!”, beharrt Alloysious, “Wir wollen auch richtig gute Popsongs schreiben.” Und doch spiegelt sich die Unruhe unserer Zeit derzeit kaum irgendwo besser als in der Musik der Young Fathers.

“Cocoa Sugar” ist das dritte Album des Trios. Dieses Mal ginge es darum, verschiedene Perspektiven einzunehmen, so Ali. Gender und Religion sind thematische Angelpunkte wie im Neo-Gospel-Song “Lord”. Die Young Fathers fragen sich, was Männlichkeit in unserer Zeit überhaupt noch bedeuten kann. “Ich habe den Vorteil, in einer Familie mit starken Frauen aufgewachsen zu sein”, so Alloysious Massaquoi, “Für mich bedeutet Männlichkeit, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Das klingt fast zu einfach, aber viele Männer wollen keine Verantwortung übernehmen und verstecken sich hinter tradierten Handlungsmustern.”

Cover Young Fathers "Cocoa Sugar"

Ninja Tune

„Cocoa Sugar“ von den Young Fathers erscheint am Freitag auf Ninja Tune.

Auch auf “Cocoa Sugar” implodieren wieder sämtliche Genre-Zuschreibungen. Da ist alles drin und alles hat Platz. “Der Unterschied ist, dass wir dieses Mal den Mix aufgemacht und sämtliche Elemente fein säuberlich offengelegt haben”, so Hastings, “eine Bassline ist eine Bassline, ein Gefühl ein Gefühl.” Auch wenn an vielen Stellen Beats wie Geschosse durch die Luft fliegen, ist der Ton auf “Cocoa Sugar” deutlich gesetzter. Die Young Fathers zeigen ihre smoothe Seite. Zumindest musikalisch.

Dass sie noch immer anecken können, demonstrierte das Trio vergangenen August in Berlin. Als Hauptact zum Pop-Kultur-Festival eingeladen, folgten die Young Fathers dem Boykottaufruf der umstrittenen BDS-Kampagne und sagten – gemeinsam mit weiteren Acts – ihren Auftritt ab. Als Grund dafür wurde die Co-Finanzierung des Festivals durch die israelische Regierung genannt (die israelische Botschaft hatte sich mit einigen hundert Euro an einem Flugticket einer Künstlerin beteiligt).

Umstrittener Boykott

BDS steht für “Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen” und richtet sich gegen die israelische Besatzungspolitik im Nahen Osten. Der Staat Israel soll mit einem wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Totalboykott zu Zugeständnissen an die Palästinenser gezwungen werden. Die weltweit agierende Kampagne hat ein starkes Backing in der Popszene. So haben etwa Stars wie Lorde oder Lauryn Hill Konzerte in Israel abgesagt.

“Wir wollten uns mit der Absage natürlich nicht gegen die Menschen in Israel richten”, so Hastings, “sondern gegen die israelische Regierung. Uns wurde zunächst ein Festivalplakat vorgelegt, das nicht die offiziellen Insignien der israelischen Regierung trug, da waren wir noch auf Kurs, aber irgendwann haben wir dann von dem Plakat mit dem israelischen Logo erfahren. Wir fühlten uns von den Veranstaltern getäuscht und haben uns zurückgezogen. Antisemiten sind wir natürlich keine. Wir sind gegen jegliche Form der Diskriminierung! Wir haben für unsere Entscheidung auch viel Unterstützung aus Israel erhalten.”

Antisemitismus und Antizionismus wird der BDS-Kampagne aber immer wieder vorgeworfen. Das Existenzrecht Israels werde durch bestimmte Forderungen in Frage gestellt, so Politexperten. Bei BDS-Aktionen in Berlin wurden schon mal Holocaust-Überlebende angepöbelt und vor israelischen Geschäften Kaufboykotte verlangt, was Erinnerungen an die dunkelsten Phasen der Geschichte weckte. Der BDS stellt Israel mit dem ehemaligen Apartheitsregime in Südafrika gleich, was ein starkes Bild ergeben mag, aber rechtsstaatlich nicht haltbar ist.

Ein weiterer Vorwurf lautet, dass die Kampagne nicht gerade zimperlich in ihren Methoden sei und Mobbing statt Aufklärung betreibe. Für arabische Künstler scheint es derzeit unmöglich, in Israel aufzutreten, zu groß ist der Druck von BDS. In den vergangenen Monaten wurden Popstars wie Nick Cave und Radiohead im Vorfeld massiv für ihre Auftritte in Israel kritisiert, was letztere als sehr zermürbend wahrgenommen haben. Doch von all dem wollen die Young Fathers nichts wissen. Sie reiben sich vielmehr an der Doppelmoral, die sie vielen Festivals unterstellen: “Es wird von Diversität und Dialog geredet, aber das ist doch oft nur Marketing”, meint Ali, “Bloß auf Festivals aufzutreten ist noch kein Dialog. Nur selten gibt es Panels oder echten Austausch.”

In Israel wollen die Young Fathers auch in naher Zukunft nicht spielen. Die drei folgen somit weiterhin dem Boykottaufruf von BDS. Dass sie in Israel initiativ einen Dialog eröffnen könnten, etwa mit KünstlerInnen wie Noga Erez, die sich selbst kritisch mit der Politik der israelischen Regierung auseinandersetzen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Es ist der Schatten auf einer Band, die sonst viel Licht ausstrahlt.

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