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Willkommen in unserer Matrix

Bilderbuch ziehen für ihre „Tour 5000“ neue Register in Sound und Optik - und haben diese im Rahmen des FM4 Überraschungskonzerts im Wiener Porgy & Bess präsentiert. Wieso die Band aktuell so erfolgreich ist, beweist sie damit einmal mehr.

Von Lisa Schneider

Bilderbuch haben im letzten März drei Tage hintereinander ein Open Air Konzert in der Wiener Arena ausverkauft, und dann spielen sie plötzlich ein Gratiskonzert? Der Run auf die Tickets für den Auftritt in der doch eher beschaulichen Location Porgy & Bess im ersten Wiener Gemeindebezirk war dementsprechend groß. Die Anzahl an BewerberInnen hat sich immerhin im fünfstelligen Bereich bewegt.

„Das Spannende bei so einem Konzert ist, dass du ja nie weißt, wer wirklich kommt. Sind das jetzt wirklich Fans, oder einfach Lotterieteilnehmer?“, fragt sich Sänger Maurice Ernst im Interview kurz vor dem Auftritt. Da fällt einem erst wieder auf, wie wenige Menschen man kennt, die Bilderbuch eigentlich nicht gut finden.

Erspieltes Selbstbewusstsein

Gegen zehn Uhr abends: unrundes Warten, Zischen, Kratzen, als dann endlich alles aus den Nähten platzt und die Band die Bühne betritt. „Mr. Refrigerator“ eröffnet das Set, ein neuer Song, inklusive gewohnt laszivem „Pussy pussy, shaky shaky“, Rumgewirbel und Gezwirbel, Starallüre, Kopfnicken, ich weiß, dass du mich willst.

Ein Song, der sich noch elegant am Grat zur Nervigkeit vorbeizwängt, sich wieder in alle Playlists hineinteufeln wird. Das Unsinnige ist groß bei Bilderbuch, es holt die Menschen genau dort ab, das wird erwartet. Coca Cola, Fanta, Sprite?

Auf die Einladung in den Dschungel, die Frage nach den Drinks, reagiert das Publikum noch eher mit nervöser Erwartungshaltung. Maurice kommt auf seine Lotteriefrage zurück: „Wo sind die Fans? Wo die Glücksspieler? Da hinten?“ Ja, da hinten. Sie wollen „Spliff“, sie kriegen „Spliff“. Eine seltene Gelegenheit für Bilderbuch, auf einem ihrer Konzerte noch über Nicht-JüngerInnen zu stolpern. Es ist ein für die Band schöner und dankbarer Kreis, dass sie sich ihr Selbstbewusstsein in den letzten Monaten vor eingefleischter Meute erspielt haben. In solchen Momenten wie gestern knallen sie es dann auf den Tisch.

Die Bilderbuch-Matrix

Es ist die „Tour 5000“, eine digitale Rockshow, die auf akustische Instrumente verzichtet. Die E-Drums vor allem klingen leichter, kompakter. Es passt in die Clubs. Die weißen Sneaker-Installationen, der Gospelchor, sogar die Outfits aus dem vorigen Jahrhundert sind zur Seite geschoben. Jetzt ist da ein Laserkonzept, ein Strahlen-Wirrwarr, das oft so sehr blendet, dass die Band unkenntlich bleibt, und das Publikum umgekehrt wohl auch. In solchen Momenten ist aber ohnehin nur wenig Zeit, die vier Gestalten auf der Bühne auszumachen, die Augen folgen den besagten Strahlen, die den Nebel zerschneiden, puff, zisch.

Ein schnelllebiges, zuckendes Spiel, das zur leichten elektronischen Besetzung passt. Eine neue, eigene Welt, doch gespickt mit den alten Hits, damit das Publikum doch den Moment findet, rechtzeitig hineinzuschlüpfen. Natürlich sind das „Om“, „Bungalow“, „Softdrink“ und die immer alles umwälzende „Maschin“.

Im eigenen Himmel

„Wer ist fürs Jesuskindi? Dem könnt’ man schon mal danken, wenn man Gratiskarten fürs Konzert kriegt – wer sollt’ denn sonst verantwortlich sein für dieses Glück, wenn nicht der Herrgott?“ Maurice Ernst hat sich die Kunst als Showmaster erarbeitet. 13 Jahre locker, 9 Jahre fix gibt es Bilderbuch, und das, was ihnen jetzt an Erfolg, Lob, Auszeichnungen scheinbar in den Schoß fällt, ist mitnichten Glück, Zufall, Wille von ganz oben.

Den Halleluja-Reigen tanzt und singt das Publikum also für die Band, „Babylon“ gibt’s als eine Zugabe, und endlich auch überall entfesselte Gesichter, Arme, Beine, Nasenspitzen. Die Lotterieteilnehmer kommen da nicht wirklich aus, und das ist das Hervorragende an einer Location wie dem Porgy & Bess, alles unisono, in gedrängter, aufgeladener Atmosphäre, schwitzig kommt’s von der Decke und geht direkt ins Blut, oder eben ins Bier.

Von der großen auf die kleine Bühne

Bilderbuch haben nach dem Headliner-Slot am Frequency Festival 2017 beschlossen, einen Schritt zurückzugehen. Sie spielen aktuell eine „kleine“ Clubtour, die sie durch Österreich und Deutschland führt. Sie war, so gut wie alles, was Bilderbuch seit Monaten ankündigen, so gut wie sofort, und fast überall, ausverkauft.

Dass das ein sehr kluger Schritt der Band ist, sich noch rarer, kostbarer und exklusiver für die Fans zu machen, die auch drei Tage hintereinander Tickets für ihre Konzerte hinblättern würden, muss fast nicht dazugesagt werden. Trotzdem ist es nicht ganz so einfach: von der Monsterbühne steigen Bilderbuch wieder herunter, reduzieren instrumental wie optisch, bleiben aber nicht nur dabei. Sie wechseln auch selbst das Äußere, und das nicht nur aus ihnen sicher ebenfalls eigenen eitlen Gründen. Gitarrist Michael Krammer etwa hat zur Stoppelglatze inklusive Rasur-Verzierungen gewechselt. Maurice Ernst hat sich die Haare schwarz färben lassen, diesmal nicht von Oma, sondern „professionell“, mit eigentlich behämmertem Mittelscheitel. Aber das ist so ein Ding bei Bilderbuch, einfach machen, es wird dann doch noch gut. In den 90ern hätte man so etwas wahrscheinlich Trendsetter genannt.

„Ich wollte nicht mehr der Blonde sein. Das geht mit einer Attitude einher, die muss man dann auch leben. Es ist bei mir nicht wie bei Falco oder Conchita Wurst, die sich einen Style erwählen und den dann durchziehen. Ich, wir, sind in einer Band, da ist alles im stetigen Wandel, es geht immer weiter.“

Weg mit der alten Haut

Ein österreichischer Brian Molko ohne die Harlekinsträhne, weil Bilderbuch kommen ohne Melancholie aus. Das Erreichte ist erreicht, zu lange etwaige Erfolge feiern oder das, was so schön war, in seiner Vergangenheit zu betrauern, ist uninteressant. Das ist es auch, was Bilderbuch nicht nur zur Hitmaschine, zum Massenphänomen, zum Chartwunder macht. Immer noch bekommt man jedes Mal, sieht man sie live, das Gefühl, diese Band juckt es in den Fingern. Vergangene Erfolge sind natürlich gut und wichtig, aber nicht das Wesentliche im Moment. Dieser Moment, der ist bei jedem Auftritt ein anderer, das Publikum will immer erobert werden, man selbst will es sich immer noch einmal mehr beweisen. „Keine alte Schlangenhaut“, wie Maurice Ernst es nennen würde. Die ist knusprig, aber aufgebraucht.

Es ist ein schöner Twist, dass Bilderbuch diesen Gedanken indirekt im gestrigen Set einbauen. Die Hits sind gespielt, aber die erste Nummer soll die letzte sein, „wir wollen’s ja noch ein bisserl üben“. Noch einmal „Mr. Refrigerator“, Gemurmel in den Ecken, ein schönes Vorhit-Stadium, bald können’s dann ohnehin alle auswendig.

Und auch schön, dass Fans die Pläne noch durchkreuzen dürfen. Bilderbuchs geplanter letzter Song ist der erste, der geplante letzte Wunsch des Publikums ist noch einer mehr. Zieh’ dir deine Moonboots an, und bleib bei mir.

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