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Angelika Reitzer

Peter Rigaud

„Obwohl es kalt ist draußen“: Angelika Reitzers Liebesroman

Wie fatal ist die Liebe auf den ersten Blick? Angelika Reitzers neuen Roman „Obwohl es kalt ist draußen“ würde man sehr gern auch verfilmt sehen.

Von Maria Motter

DJ trifft ehemaliges Model und sie werden ein Paar. Für eine Romcom wäre das bereits eine fertige Synopsis. Angelika Reitzer allerdings ist bekannt dafür, dass ihre Geschichten keine Abziehbilder vorhersehbarer Beziehungsmodelle sind. Leicht hatten es die weiblichen Charaktere in ihren Romanen auch noch nie. Verständlich, dass die österreichische Autorin Lust auf eine Liebesgeschichte hatte. „So nach dem Motto: Da geht es um die Liebe und ums Glück und es ist schön und aufregend“, sagt Angelika Reitzer.

Schön, so schön aufregend sind bereits die ersten Szenen in „Obwohl es kalt ist draußen“. Denn wie Angelika Reitzer eine Ausgehnacht beschreibt, das ist so vertraut, aus dem eigenen Leben wie aus der Popkultur. Die Atmosphäre, die Reitzer aufbaut, ist so greifbar, man weiß, wie sich die Luft anfühlt, wenn Ante am Ende der Nacht das Schloss seines Fahrrads aufsperrt. Zuvor war da Barbara tanzend gesprungen vor Ante, der nur selten auflegt, eigentlich für einen Hersteller von Plattenspielern arbeitet. Dem guter Sound sehr viel, wenn nicht alles bedeutet, der beim Auflegen von „Le vent nous portera“ immer daran denken muss, dass der Sänger seine Freundin totgeschlagen hat. „Ante spielt nie das Original.“ Die Umsicht, die dieser Ante schon bei der Plattenauswahl an den Tag legt, ist anziehend. Dass er sich als Kind eines der ersten jugoslawischen Gastarbeiter in Vorarlberg herausstellen wird, Kinder- und Jugendjahre lang ums Nichtauffallen rang, wird die Persönlichkeit noch schärfen.

Sie gab sich der Musik hin, war ganz Musik, und dann wieder Lachen, wie sie lachte, wie sie lauter lachte als alle um sie herum, wie sie es ernst meinte mit dem Lachen, dem Frohsein, der Freude.

Buchcover: Frau hält Kamera in der Hand, Mann küsst ihre Schulter

Jung und Jung Verlag

„Obwohl es kalt ist draußen“ von Angelika Reitzer ist 2018 bei Jung und Jung erschienen.

Wann immer es in diesem Roman um Barbara gehen wird, es ist Antes Blick auf sie, der sich beim Lesen wie ein Filter auf sie legen wird. Die Liebe, das ist auch eine Grundhaltung, die da einer in Hinblick auf eine einnimmt, derer er sich „überhaupt nicht sicher sein konnte“ und kann.

Denn ein Element der klassischen Hollywood-Liebesgeschichte, die Angelika Reitzer natürlich nicht schreiben wollte, in der sich zwei finden und dann ist alles gut und Abspann, hat sie doch übernommen: die Liebe auf den ersten Blick. Und die ist fatal, da stimmt Angelika Reitzer zu: „Schon fatal und schön. Ich glaube, dass es schon einschlagen kann. Bei meinen beiden ist es z.B. so, die sehen sich, dann sehen sie sich, dann sehen sie sich. Ein bisschen wie Erkennen. Ich habe schon öfter mitbekommen, dass Leute sich irgendwo schon einmal gesehen haben und dann dauert es vielleicht noch ganz lange, bis sie zusammenkommen, aber doch, ja: Man hat es schon gewusst, dass es der oder die ist. Nämlich: genau der oder die.“

Nur kurz hält Antes emotionales Schutzschild. „Große Frauen, die wissen, was sie wollen. Große Frauen, die so tun, als wären sie Spielzeug, teures, edles Spielzeug. Eine große Frau, die man sieht. Nicht unbedingt sein Fall.“

Wie fatal ist Liebe auf den ersten Blick?

Der britische Autor Alain de Botton tritt vehement gegen die Liebe auf den ersten Blick auf, die der Inbegriff der Romantik ist. Im Buch „Der Lauf der Liebe“ plädiert er allen Ernstes für das klassische Modell der Verkuppelung und der Heiratsvermittlung, gern auch in der postmodernen Form per Online-Plattform. Weil sich diese Beziehungen im Alltag viel geschmeidiger gestalten würden.

„Was wir Liebe nennen, ist normalerweise nur der Anfang der Liebe“, schreibt Alain de Botton und bei Lesungen trägt er seinen Text komplett auswendig als Brandrede und voller scharfsinnigem Witz vor. „Wir wissen definitiv zu viel darüber, wie die Liebe beginnt, und bedenklich wenig darüber, wie es mit ihr weitergeht“, stellt er fest. „Für den Romantiker ist es vom flüchtigen Eindruck eines Fremden nur ein winziger Schritt zu der überzeugenden Schlussfolgerung, dass er oder sie eine umfassende Antwort auf die unausgesprochenen Fragen des Daseins bereithält.“ Aufgeräumt wird mit romantischen Vorstellungen. „Und mit Felsvorsprüngen. Felsvorsprünge sind perfekt für Romantiker.“

An dieser Stelle springt die Leserin zurück zu Angelika Reitzers Liebesroman, der auch nah an Abgründe führt. „Obwohl es kalt ist draußen“ verlässt die Tonspur und wird kein Poproman. „Es ist immer ein schöner Gedanke, dass man den Soundtrack durchzieht. Aber Ante legt ja nur einmal auf. Wenn er später noch Musik hört, macht er das mit Kopfhörern und die anderen bleiben draußen und wissen nicht, was er gerade hört“.

Die Geschichte beginnt, wo andere Liebesgeschichten enden

Angelika Reitzer gelingt es, in allzu Vertrautes und Klischeehaftes Twists zu bauen und tiefer zu gehen. In ihren Gesten und Angewohnheiten sind die Hauptfiguren so klar gezeichnet, als liefe eine unbeachtete Kamera mit. Während das Paar zur Kleinfamilie wird und Barbara das Idyll im Familienhaus am Ortseingang von Maria Ellend auf Instagram postet („Das hier war privat, sehr persönlich, dabei erkannte man die Kinder eigentlich nie.“), verschiebt sich eine Wahrnehmung. In Barbaras Gedanken tun sich irre Abgründe auf. „Todesspringer glaubten an eine Transformation, daran, dass etwas passiert, nachdem sie den Absprung geschafft hatten. Die Zeit steht still. Als würden sie sauber an der Wasseroberfläche aufschlagen können oder diese durchstoßen wie Turmspringer.“

Wie sehr man mittragen könne, wenn der andere nicht so ganz das große Glück in der Partnerschaft findet - die Frage stellt man sich beim Lesen. Reitzer hat sie sich auch gestellt. „Wenn man einen sehr heftigen Fall nimmt, dass sich ein Partner umbringt: In den wenigsten Fällen hat der überlebende Partner gedacht, man führt das glücklichste Leben miteinander. Aber die Dimensionen sind manchmal ein bisschen schwer einzuschätzen. Man kann fragen, ob Krankheit hinzukommt. Es sind Selbst- und Fremdwahrnehmung und die Einschätzung davon, was ein geglücktes Leben ist und wie das ausschauen soll. Wann ist es perfekt und wie kann ich überhaupt damit umgehen, dass ich scheinbar ein perfektes Leben habe? Die haben schon eine gute Beziehung im Grunde, aber trotzdem kann man vielleicht nicht alles im anderen wissen.“

Wann ist es perfekt und wie kann ich überhaupt damit umgehen, dass ich scheinbar ein perfektes Leben habe?

„Obwohl es kalt ist draußen“ hat trotz dieser Irritationen und Spannung sehr viele sehr amüsante Passagen. Und vor allem eine männliche Hauptfigur, wie sie einem in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur äußerst selten begegnet. Ante ist ein super Typ. „Ich glaube, das hat mit der Fähigkeit zu tun, nicht über alles abschließend nachdenken zu müssen“, sagt Angelika Reitzer auf die Feststellung. Zu 188 Seiten hat die Autorin ein umfangreicheres Manuskript verdichtet. Sexszenen hat Reitzer ausgespart. Aber es werde auch in einem Roman von ihr einmal eine richtige Sexszene geben, verspricht sie. Es hat ja schon welche in früheren Werken gegeben.

Am Ende ihres schönen, neuen Romans wünscht man sich eine Fortsetzung. Aber Angelika Reitzer hat erstmal einen anderen Plan: eine Geistergeschichte. Von der Liebe zu den Geistern „ist es oft nicht so weit“.

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