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Editors

Rahi Rezvani

Sad songs for sad people

Aber nicht nur. Editors nennen ihr sechstes Studioalbum „Violence“.

Von Lisa Schneider

„It’s a lonely life, a long and lonely life“ singt Tom Smith gleich zu Beginn des neuen Editors-Albums „Violence“. „Cold“ öffnet als für die Band typisch negativer Lebensentwurf, den der Vater mittlerweile zweier Kinder und schon seit bald 16 Jahren Frontmann der Birminghamer Band da zu Papier bringt. Genau diese apokalyptische Anmaßung im Songwriting ist schon immer das Kapital seiner Band, es ist alles nur eine Frage der Zeit, bis sich alles in Rauch auflöst, ein Hineinsingen in den Abgrund. Aber so wie die Depression zum Werk der Band gehört, gehört auch immer eine letzte kleine Hoffnung dazu. Die Zeile in „Cold“ geht mit den Worten „stay with me“ weiter. Die Kur, sie liegt im Zwischenmenschlichen. Die Dunkelheit ertragen wir gemeinsam.

Gewaltfreie Introspektive

Der Titel des Albums führt anfänglich auf die falsche Fährte. Mit „Violence“ ist nicht körperliche Gewalt, auch nicht das oft heraufbeschworene Trommelfellplatzen gemeint. Es geht um die Gewalt als Konfrontation, als Wehr gegen die Außenwelt, die die Konzentration aufs Innere mit sich bringt. Auf sich selbst, auf die Familie, auf die Menschen, die wichtig sind.

Deshalb ist „Violence“ nicht politisch zu interpretieren, auch wenn auf manchen Songs (etwa „Magazine“) eine kurz erhobene Drohfaust gegen die, die die Welt regieren, erhoben wird („Now Talk The Loudest With A Clenched Fist“). Editors haben sich entschieden, ihre Musik macht keine (politische) Meinung, sie soll ganz offen ein privater Fluchtort sein.

In seinen Texten folgt Tom Smith immer schon einer Idee, keiner Überzeugung. Bei der zweiten Albumsingle mag das „Hallelujah“ befremdlich klingen, auch deshalb wurde noch schnell ein „So Low“ an den Titel gefügt. Tom Smith ist kein Prediger, und auch kein oft hochstilisiert gequälter Sänger (die ekstatischen Verrenkungen auf der Bühne mögen dieser Annahme Grund gegeben haben). Diese Offenbarung, so schätzt er es im Interview ein, hat sie nach Veröffentlichung ihres zweiten Albums „An End Has A Start“ (2007) vor allem die Gunst der britischen Musikpresse gekostet.

EDITORS LIVE

Am 18. April spielen Editors eine FM4 Indiekiste im Gasometer Wien.

Alle weiteren Tourtermine findet ihr hier.

Die ersten großen Songs, Fluch & Segen

Dort, in UK, hängt diese ebenso wie das Publikum vornehmlich an den ersten beiden Alben der Band, an Songs wie „Bullets“ oder „Munich“. In vieler Hinsicht zurecht, auch ein Song wie „Papillon“ will erstmal geschrieben sein, ein Stück, das Editors seit gut zehn Jahren live spielen (müssen), das mit bodenständig-alternativem Hit-Charme und theatralischer Wucht Berechtigung für das kleine Indie-Festival am See erlangt hat, ebenso wie für härtere, große Bühnen.

Der Pappilon’sche Schmäh funktioniert für die erwähnte neue Single „Hallelujah So Low“ ganz genau gleich, es ist wieder ein rastlos lospolternder, im aufgefetteten Instrumentalteil im- und explodierender Titel, der Menschen unterschiedlicher Genrevorlieben einen kann.

Editors beschwören damit nicht nur die goldenen Zeiten ihrer musikalischen Machenschaften, sie machen auch Neues daraus. Sie stibitzen ein paar Töne aus dem Song „Yes“, von Coldplays letztem guten Album „Viva La Vida“, schwenken aber schnell genug um und retten sich in Gefilde jenseits von bunten Konfettikanonen, David Guettaeskem Dauergrinsen und Dancemoves. Und über all dem bassgeschwängerten Trubel wird die Melodie nicht vergessen, das wird in anderen Songs des neuen Albums noch klarer. Der Titeltrack „Violence“ beginnt wie eine Nummer für die noch nicht ganz warme Tanzfläche, auch „Nothingness“ will den Spagat zwischen Rock, Pop, Dance schaffen. Immer klappt das nicht, vor allem inhaltlich kommt der letztgenannte Song in seiner übermoralisierten Konsumkritik platt daher. Wenn sich aber „Violence“, noch einmal im Vergleich der beiden, in einer Kraftwerk-Hommage an die Sechsminutengrenze hochschraubt, ist viel Voriges wieder vergessen.

Editors Cover Album "Violence"

Play It Again Sam

„Violence“ heißt das sechste Studioalbum von Editors und erscheint via Play It Again Sam.

It’s been a bad day

Fehler gibt’s außerdem auf jedem Album, in jeder Bandbiographie. Tom Smith hat sich mittlerweile seine eigene Theorie parat gelegt, wie er der rückläufigen Breitenwirkung seiner Band seit der Veröffentlichung der letzten Alben gegenübersteht. Es ist das Oeuvre, das zählt, sagt er. Keine der Bands, die er verehrt - das wären etwa R.E.M. oder Elbow - wären mit ihrem Debüt schon die Band gewesen, die sie jetzt sind. Die scheinbare Naivität der Aussage lässt sich beim Durchblättern eben des Editors-Bandkatalogs widerlegen. Erneut zur Erinnerung an Songs wie „Bullets“, „Munich“, „Papillon“, „You Don’t Know Love“, „Smokers Outside The Hospital Doors“ oder „A Tone Of Love“.

Soundkomprimierung

Es ist das sechste Studioalbum der Band, das dritte, seit sich die Band teilweise neu formiert hat, nachdem der ehemalige Gitarrist Chris Urbanowicz die Band 2012 verlassen hat. In der Zwischenzeit wurde im Alleingang produziert („In Dream“, 2015), jetzt wieder in einem eher einsamen Anwesen außerhalb Oxfords alles aufgenommen, um es dann von Leo Abrahams (Wild Beasts, Florence & The Machine) und Benjamin John Power (Blanck Mass, Fuck Buttons) ausproduzieren zu lassen. Geplant war eine starke Mischung der gesamten bisher veröffentlichten Alben, eine angemessene Balance von Elektronik und Gitarrenrockmusik. Das ist gelungen, Editors verstecken nichts. Ist es ein Indiepopdance-Song, dann ist es eben einer und die Synthesizer klatschen nur so durch die Boxen; schöner und stärker fällt die Entscheidung für eine der beiden Varianten aber immer dann aus, wenn es ins Minimalistische, klassisch Instrumentierte geht.

„No Sound But The Wind“ ist so ein Song, inspiriert von seiner Vaterschaft und passenderweise Cormac MacCarthys Roman „The Road“, wo ein Vater seinen Sohn in einer dystopischen Zukunft vor dem Tod zu retten versucht. Genauso minimalistisch wie McCarthys Schreibstil ist das Songwriting von „No Sound But The Wind“. „Help me to carry the fire“ singt Smith, flehend, müde, traurig. Die Wärme, die von diesen Zeilen ausgeht, liegt nicht am Inhalt, sondern an der Intonation. Er will keine Geschichten erzählen, sagt Tom Smith. Es geht rein und immer nur um die Emotion.

Editors am Rock Werchter 2007. In Belgien ist die Band erfolgreicher als in ihrem Heimatland Großbritannien; Top-Chartplatzierungen, Alben-Goldstatus und auch heuer wieder große Festivalauftritte.

Breitgefächerter Bandkatalog

In solchen Momenten beweisen Editors, sie haben die Songs für das Oeuvre, das andauern kann. Schon seit vielen Jahren ist „No Sound But The Wind“ eine beliebte Livenummer, bis er jetzt endlich auch seinen Platz auf einem Album gefunden hat (Anm.: auf einer Editors-Platte; 2009 war der Song schon am Soundtrack zu „The Twilight Saga. New Moon“ zu hören). Dieser alte Geist, jetzt endlich auf Vinyl gepresst, die pessimistische Frage dazu: Schreiben Editors aktuell noch genauso gute Songs? Optimistisch: Welche Asse tragen sie noch mit sich herum?

Belong“, schon das abschließende, neunte Stück des Albums lässt auf Zweiteres hoffen. Wie im Opener „Cold“ stehen zwei Liebende im Mittelpunkt, in einer schlechten Welt, aber ihre eigene ist gut: „Our souls align / I wear your skin / Never belong to anyone else / Never belong to em.“

Editors

Rahi Rezvani

Die Aktualität zurückerspielen

Editors haben zuletzt 2015 in Österreich gespielt, im Wiener Gasometer. Die Halle war eher unangenehm locker gefüllt. Auch jetzt hängt die Ahnung in der Luft, die Aktualität der Band muss erst zurückerlangt werden. Woran das liegt, mag subjektiv, aber auch im kollektiven Musikgeschmack begründet liegen. Wie viele Bands aus UK und Umland waren es, gern mit einem „The“ im Bandnamen, hochgehyped Anfang des Jahrtausends, und nicht selten nach dem ersten Release medial eher stiefmütterlich behandelt. Auch nach dem 5., 6., 10. Release will das Publikum die anfänglichen Hits, nicht nur, aber vor allem. Franz Ferdinand, die auch gerade im Wiener Gasometer aufgetreten sind, können wohl ein Lied davon singen.

Editors ist für ihren Auftritt am 18. April, erneut im Gasometer in Wien ein unbefangenes Publikum zu wünschen, das sich auf „Violence“ einlässt. Auf das neue Album, das eine weitere Seite im Katalog der Band füllt, und zwar eine gute.

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