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Wahrheit oder Pflicht?

Wie stellt man Polizeigewalt dar? Wer war Kurt Waldheim und warum ist das heute noch von Relevanz? Und wie schwer wiegt Betrug? Der Donnerstag auf der Diagonale in Graz.

Von Maria Motter

Auf Polstermöbeln im Foyer des Kunsthaus Graz liegt Stefan A. Lukacs aka ISTVAN auf dem Rücken. Wir sind zum Interview verabredet. Ist die Diagonale so schön anstrengend? „Ja, die Diagonale ist immer mega anstrengend, aber es war auch so, dass ich gerade merke, ich bin schon ziemlich nervös wegen der Österreich-Premiere von COPS“. Beim 39. Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken hatte COPS Premiere und hat abgeräumt: den „Publikumspreis Spielfilm“ sowie den „Preis für den gesellschaftlich relevanten Film“. Anna Suk, die Diagonale-BesucherInnen aus Jannis Lenz‘ Kurzfilm „Wannabe“ wiedererkennen könnten, ist als „Bester Schauspielnachwuchs (Nebenrolle)“ ausgezeichnet worden. Stefan A. Lukacs thematisiert in „COPS“ Polizeigewalt – ein Thema, das man nicht unbedingt aus dem österreichischen Spielfilm kennt. Eher denkt man an die USA, zuletzt an „Detroit“.

Cops Filmstill

Golden Girls

Doch Stefan A. Lukacs hat bereits im Kurzfilm „Void“ 2012 die Abschiebung des Asylwerbers Bakary J. erzählt: „Er wurde vor einigen Jahren von drei Beamten der österreichischen Polizei schwer misshandelt“. Die Beschäftigung mit diesem realen Fall macht ihm deutlich, wieviel die Problematik an Stoff hergibt. „Ich habe das Gefühl, dass man ganz viele Filme machen kann, die in diesem Milieu spielen, die über das Krimigenre weit hinausgehen“, so der Regisseur und Drehbuchautor.

VOID from NonPlus Film on Vimeo.

Wie in „Void“ ist bei „COPS“ der Theater- und Filmschauspieler Laurence Rupp dabei - als Polizist der Sondereinheit WEGA. Laurence Rupp, der in „Die Geträumten“ (die Jury der Diagonale 2016 erkor die Regiearbeit Ruth Beckermanns als besten Spielfilm aus) gegenüber Anja F. Plaschg den Briefwechsel von Paul Celan und Ingeborg Bachmann vortrug, war Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater und ist jetzt Teil des Berliner Ensembles. Auch Anton Noori ist wieder Teil des Casts.

ACAB?

In der Populärkultur gibt es T-Shirts mit dem Kürzel A.C.A.B. Wie ist Stefan A. Lukacs die Darstellung von Polizisten angegangen, um eine Schwarz-weiß-Malerei zu verhindern? „Es gibt auch eine österreichische Version von ACAB: Österreichische Polizisten tragen manchmal ein T-Shirt, auf dem steht dann: Austrian Cops Are Best. Aber prinzipiell habe ich intensiv recherchiert“, antwortet Lukacs. Einige Jahre hat er sich mit Polizeigewalt, aber auch mit Polizei allgemein auseinandergesetzt. „Das ging so weit, dass ich mal eine Woche als Polizeischüler auf der Sicherheitsakademie – das ist die österreichische Polizeischule – war und dort alles mitmachen durfte. Abseits davon habe ich viele Interviews geführt und versucht, viele Leute zu treffen, um zu sehen, wie die ticken und welche Ideale sie haben.“ Lukacs war es ein Anliegen, die Charaktere so menschlich und verständnisvoll zu zeichnen wie ihm möglich. „Obwohl ich einen sehr polizeikritischen Film gemacht habe. Aber ich finde, das schließt sich nicht aus. Ich möchte, dass man meine Protagonisten durch ihr Handeln versteht. Auch wenn sie falsch handeln.“

Cops Filmstill

Golden Girls

Eine Reaktion österreichischer Behörden gibt es noch nicht. Heute Abend hat „COPS“ Österreich-Premiere. Bevor man sich „COPS“ anschaut, könnte man sich den Dokumentarfilm „Weapon of Choice“ von Fritz Ofner und Eva Hausberger über die Geschichte der halbautomatischen Feuerwaffe Glock anschauen. Die Waffe gehört zur Standardausrüstung der österreichischen PolizistInnen.

„Dokumentieren oder demonstrieren?“

Einen Film komplett aus Archivmaterial geschaffen hat Ruth Beckermann. Das ist nicht öd, das ist in jeder Sequenz von einer Brisanz und Spannung, wie sie im Kino selten so lange gehalten wird. Man muss nicht wissen, wer Kurt Waldheim gewesen ist, um in diesem Film über die „Waldheim-Affäre“ ein Spektrum an Haltungen über Österreich, seine jüngere Geschichte und die Gegenwart zu erfahren.

Als der ehemalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim 1986 antritt, um österreichischer Bundespräsident zu werden, macht ein Zeitungsartikel dessen Vergangenheit zum Thema: Der Publizist Hubertus Czernin veröffentlicht die Wehrstammkarte des ÖVP-Politikers. Aus der geht hervor, dass Waldheim ab 1938 Mitglied der SA und des nationalsozialistischen Studentenbundes war.

Die Filmemacherin Ruth Beckermann sagt an einer Stelle ihres Dokumentarfilms „Waldheims Walzer“: „Dokumentieren oder demonstrieren, das sei immer wieder die Frage gewesen“. 1986 ist sie Teil einer Gruppe von AktivistInnen, die öffentlich Waldheims Vergangenheit anprangern. Die mit ihren Fragen, auf Karton geschrieben, auch bei einer Pressekonferenz vor laufenden Kameras antreten.

Filmstill aus "Waldheims Walzer"

Filmladen

Keine Sequenz der historischen Aufnahmen ist auch nur eine Sekunde zu lange. Die Montage ist ein Hammer. Kurt Waldheim steigt in New York als Generalsekretär der Vereinten Nationen in eine Limousine, seine Ehefrau zeigt die sich über drei Geschosse erstreckende Dienstwohnung. Wie internationale die Waldheim-Affäre war, wird ins Bewusstsein gerückt. Doch auch wenn hier der Fall eines Menschen aufgerollt wird, der stets schlicht sagte, seine Pflicht getan zu habem und das so lange wiederholte, bis Fred Sinowatz den Ausspruch tätigte, "Ich nehme zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war – nur sein Pferd“, so geht es um eine ganze Generation ÖsterreicherInnen, die am Nationalsozialismus beteiligt waren.

Der Regisseur Christian Frosch sagt anlässlich eines Interviews zu seinem Diagonale-Eröffnungsfilm „Murer - Anatomie eines Prozesses“, dass es an der Zeit ist, zu differenzieren zwischen Opfer, Zuschauenden und TäterInnen und die TäterInnen zu nennen. Damit taten und tun sich viele hierzulande schwer, ist doch der Mythos von Österreich als erstem Opfer zu lange im Umlauf gewesen.

Ein schmerzendes Herzstück dieser schlicht und ergreifend großartigen Doku ist für mich die Passage, in der Kurt Waldheims Sohn beim World Jewish Congress sitzt und versucht, für seinen Vater mehr als ein gutes Wort einzulegen. Die Hilflosigkeit ist an seinen Gesichtszügen abzulesen, das Ringen um ein Ansehen, mit dem er seinen Vater verstanden haben möchte. Das ausgedrückte Verständnis des jüdischen Sprechers für den Versuch des Sohnes. Und dann Sätze, die all dieses Selbstmitleid entlarven.

Filmstill aus "Waldheims Heimat"

Ruth Beckermann Filmproduktion

Es liegt sehr viel Universelles in diesem Film, sagt mir eine russische Zuschauerin gestern Abend. Sie will der Regisseurin für den Mut danken, diesen Stoff aus der Tiefe der Archive geholt zu haben. Was die jungen Sitznachbarn im Kino unter sich gesprochen haben, hat sie mitgehört - „Toll“. „Es ist für die heutige Generation sehr wichtig, die Wahrheit über das eigene Land und über die Generation der Großeltern und Eltern zu hören“.

Eine jüngere Zuschauerin sagt mir unmittelbar nach der Vorführung, sie habe sich vor dem Film nicht mit der Thematik beschäftigt. Das wäre vor ihrer Zeit gewesen und sie habe jetzt keine Emotion dazu. In „Waldheims Walzer“ gibt es die Sequenz, in der die Kamera in Thessaloniki von einer Residenz in Richtung eines Platzes blickt. Auf dem Platz sind 1943 jüdische Menschen zusammengetrieben worden, um sie in Zügen in das Vernichtungslager Auschwitz zu deportieren. Die Angaben über die Zahlen der Menschenleben schwanken in den Quellen, von 40.000, 60.000, 75.000 Personen liest man. Den Platz selbst erblickt man nicht, doch man kann ihn geradezu hören.

Ich bleibe dabei: Ich finde, „Waldheims Walzer“ sollte jetzt SchülerInnen gezeigt werden, bevorzugt vor „Murer - Anatomie eines Prozesses“. „Den sollte jeder Österreicher gucken, damit ihr eure Aufarbeitung einmal startet“, sagt ein deutscher Gast der Diagonale nach der Österreich-Premiere im Grazer Schubertkino. Ich habe mir „Waldheims Walzer“ auf der Berlinale angesehen. Viele ÖsterreicherInnen waren im Saal, doch das Publikum war international. Stille und dann Lachen, denn die Doku zeigt derart Absurdes, dass man nicht anders kann. Lachen aus Abwehr, aus Hilflosigkeit. „Waldheims Walzer“ ist aber ein ermächtigender Film und auch in Graz war wie für die weiteren Screenings auf der Berlinale keine Karte mehr zu bekommen. Der Kinostart steht bevor.

Würstelstand oder Party auf der Murinsel?

Innovatives Programm, Würstelstand, Street Cinema Graz Party auf der Murinsel oder nachhause an den Computer?
Pommes sind es geworden (dabei: da wäre endlich einmal eine Party auf der Murinsel! Das schafft nur die Diagonale).

In Ludwig Wüsts Spielfilm Aufbruch hat zuvor der Regisseur und Hauptdarsteller Kartoffeln aus einem Feld gegraben und auf einem aus einem Holzkreuz geschlagenen Grillholz zubereitet. Und in Greg Zglinskis „Tiere“ hat Philipp Hochmair als Koch ein totgefahrenes Schaf im Geiste schon in 55 Koteletts zerteilt.

Überhaupt: „Tiere“. Der Spielfilm läuft im Jahresrückblick, der Saal ist nachmittags sehr gut gefüllt. Zu viele haben „Tiere“ versäumt, als er lief. Birgit Minichmayr als Anna und Philipp Hochmair als Nick sind ein Paar, er Haubenkoch, sie Kinderbuchautorin. Die Wohnung aufgeräumt, ihr Leben ist es weniger. Seltsame Dinge passieren, Anna ahnt Vorfälle und vermutet, dass Nick sie betrügt.
Vielen Begebenheiten schwingt etwas Unheimliches mit, die Wahrnehmung ist trügerisch.

Filmstill Tiere

oop99 Filmproduktion

„Tiere“ ist ein Mindfuck. Tun sich da doppelte Böden auf oder interpretiert man einfach zuviel hinein? Als das Paar auf Auszeit in einem Haus in den Schweizer Bergen ankommen, ist ein Unfall geschehen, der Anna mit Kopfverband und Nick mit einem toten Schaf als unbeabsichtigte Beute ausstattet. Was zum Psychothriller anschwillt, wird sich gegen Ende nochmals drehen. Draußen sei es Tag, sagt Nick, doch wie Anna sieht man die Welt als ZuschauerIn nur in dumpfem Licht. Eine Traurigkeit steigt da auf, „Tiere“ haut rein und rührt einen und geht einen sehr an.

Birgit Minichmayr hat in einem Interview vor Jahren sehr persönlich über Erlebnisse in einer Beziehung, über Betrug, gesprochen. „Das Schlimmste daran war aber nicht das Fremdgehen an sich, sondern der Betrug an meiner Intuition. Das heißt: Ich habe es geahnt, aber mir wurde abgesprochen, dass ich recht habe.“ Monate hindurch habe sie gedacht, sie würde unter Verfolgungswahn leiden. „Bis deutlich wurde: Was ich gespürt hatte, war genau richtig.“

Filmstill Tiere

oop99 Filmproduktion

Im Abspann steht dann „Jörg Kalt“ neben Greg Zglinski unter „Drehbuch“ und ich will nachhause und den schmalen Band „mögliche filme“ aus dem Bücherregal nehmen. Und ja: Darin schrieb der Filmemacher Jörg Kalt, der mit Freunden in Kalsdorf bei Graz in einem Frisiersalon für ein Studierendenprojekt drehte, der „Richtung Zukunft durch die Nacht“ (auf meiner Wohnungstür hängt innen die blaue Postkarte mit der weißen Schrift, manche Geschichten der Diagonale hängen lange nach) und „Crash Test Dummies“ gemacht hat und sich Jahre später das Leben genommen hat, auf Seite 134: „Tiere - mit Ursula Strauss (Anna), Georg Friedrich (Nick) und Maria Popistu (Misa)“. Auch hier keine Auflösung der Geschichte, falls sie jemand gewünscht hätte.

In Graz ist der Kameramann Piotr Jaxa anwesend. Das dumpfe Licht am Ende, das war ein RAW-File. „Tiere“ könne man sich ruhig mehrmals ansehen, dann erkenne man die Ebenen, sagt der große, freundliche Mann, der Schweizerisch, Englisch, Deutsch als Sprachen für das Publikumsgespräch anbietet.

Gestern Nachmittag ging der Franz-Grabner-Preis 2018 an „Die Weltherrschaft“ als beste TV-Doku und an „Gwendolyn“ als beste Kinodoku.

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