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Bandportrait The Crispies

© Lukas Gansterer

Artist of the Week

Die falsche Haut des Elektro-Punk

Mit ihrem zweiten Album „Fake Leather“ haben die Wiener The Crispies ein wildes und lautes Werk zwischen elektronischen Beats und rauchenden Gitarrenverstärkern abgeliefert und sind damit unser FM4 Artist Of The Week.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Noch immer rauchen die Gitarrenverstärker bei The Crispies. Es knüppelt das Schlagzeug dahin, der Bass grooved im Untergrund, zwischendurch schummelt sich sogar ein Honky Tonk-ähnliches Klavier hinein und Sänger Tino Romana shoutet, was das Zeug hält. Und trotzdem merkt man gleich, das Eröffnungsstück „No Refunds“ ist elektronisch unterfüttert, digital aufgemotzt und es brettert dahin, wie ein rotzig-frecher Elktro-Disco-Punk-Song.

Und schon sind wir mitten in der Welt von „Fake Leather“, einem kunterbunt fusionierten, wild arrangierten, clever gemischten Sound für hartgesottene Partygänger und gelangweilte Szenetypen, die sich nach mehr sehnen, als der hohlen Selbstdarstellungsblase der Social Media Plattformen.

Zwei Seiten einer Medaille

Vor zwei Jahren, als die Crispies noch mit Bassisten Bruno Marcus ihr krachiges Debüt „Death Row Kids“ vorgelegt haben, hätte man das Quartett ohne Zweifel eindeutig in die klassische Rockecke gestellt. Klar, dass man sich den jugendlichen Frust zuerst mal unterstützt mit lauten Gitarren aus dem Hals schreien wollte.

Doch mit dem neuen Werk - gemeinsam mit dem neuen Bassisten Parsa Sarraf - hat sich die musikalische Welt erweitert. Schon bei der ersten Single „Easy“ hämmern trockene Beats auf die geschmeidigen Gitarrenlinien ein, es wird viel gefiltert und in stampfender Manier auf den Tanzboden geschielt. Und wenn dann die Gitarre mal zu einem Mini-Solo ansetzt, dann wird das gleich zerhackt und zerstückelt, dass es nur so eine Freude ist.

Plattencover "Fake Leather" von The Crispies

The Crispies/Seayou Records

Das neue Album „Fake Leather“ von The Crispies erscheint am Freitag 23.3. auf Seayou Records.

Diese Verschränkung von Elektronik und Punk-Rock entstand aus dem zweiteiligen Produktionsprozess. Zuerst hat die Band gemeinsam an den Songs geschrieben, im zweiten Anlauf haben Sänger Tino und Gitarrist Rob Wolf Songskizzen am Computer erstellt, mit denen die Band dann zu Mario Fartacek von Mynth ins Studio gegangen ist. Für den Rock-Sound der Platte ist dann auch noch Alexander Lauschvon der Band Lausch verantwortlich.

Diese verschiedenen Pole sind quasi zwei Seiten einer Medaille. Wird einmal Lo-Fi-mäßig dahingerockt wie bei dem Titel „White Trash“, dann versteckt sich das Elektronikdetail in Fingerschnippen oder verhallten, gefilterten Vocals. Und wenn bei der düsteren Ballade „Lost My Phone“ die digitalen Beats in Synthie-Flächen eingebettet werden, dann dürfen psychedelische Tremolo-Gitarren nicht fehlen, um den Rock-Impetus zu steigern. Diese Fusion wird mit dem Track „New Blood“ noch weiter auf die Spitze getrieben. Ein Song, bei dem man zwischen digitalem und analogm verzerrtem Sound nicht mehr unterscheiden kann. Dass auch Rap-Passagen vorkommen, wundert vor allem diejenigen weniger, die von Tinos Liebe zu Hip Hop wissen. Schließlich ist ja auch der Bandnamen The Crispies einem Song der Niederländischen Hip Hop Crew Dope D.O.D. entlehnt.

/ Das Video zu "New Blood" wurde in einem einzelnen Take gedreht, ohne Schnitt, lediglich mit ein paar Zigaretten, um den Parkhauswächter wegen der fehlenden Drehgenemigung zu bestechen.

Die ausgeblibene Rebellion

Mit „Fake Leather“ sind die Crispies nicht etwa gekommen, um in ihrer unechten Lederkluft den Rock’n’Roll wieder mal zu retten. Vielmehr machen sie sich Gedanken um, wie Tino es ausdrückt:

The Crispies live in Österreich:

  • 22.03. PPC, Graz
  • 24.03. Stadtwerkstatt, Linz
  • 13.04. Flex, Wien
  • 17.08. Frequency Festival. St. Pölten

"... das Bild, das man auf den Social Media Kanälen nach außen trägt, das nicht wirklich man selbst ist. Jeder Mensch trägt da ein bisschen so etwas wie eine unechte Schutzhülle um sich. In den Albumtitel kann man auch so ewtas wie Schönheitsoperationen und ähnliches hineininterpretieren. Denn ‚leather‘ meint in diesem Sinne die Haut."

Ein Beispiel für den Ärger über die zwanghaften Selbstdarsteller ist der Hip Hop-lastige Track „H-Bomb“. An der Oberfäche eine witzige und partytaugliche Hymne der Ekstase, inhaltlich jedoch nimmt er genau die Menschen aufs Korn, die alles dazu tun, im Spotlight zu stehen und „the hottest in the room“ zu sein. Dazu donnern Gitarrenriffs und Beats durch den Partyraum. Und der Titeltrack „Fake Leather“ selbst ist eine ausgewogene Mixtur aus Auto-Tune-geschwängertem und zurückgelehntem Indie-Pop und hoch-gepitchtem Could-Hop.

Bandportrait The Crispies

© Lukas Gansterer

Die Crispies haben vor Kurzem ein Management in Los Angeles an Land gezogen, was ihnen einen internationalen Push geben könnte.

Die der Band manchmal zugeschriebene Rebellions-Attitüde läuft hier absolut ins Leere. Schon bei dem Eröffnungstitel „No Refunds“ singt Tino davon, niemals ein Rebell gewesen zu sein. Textlich seine Lieblingszeile der Platte. Denn eine Rebellion ist laut dem Crispies-Sänger heutzutage kaum mehr möglich. Alles wurde schon einmal gesagt und getan. Vielmehr konzentrieren sich die Crispies darauf, mit Stilen und Klischees zu spielen, sie neuartig zusammenzufügen, um sich so gegen die immer wieder aufkommende Langeweile des Alltags aufzulehnen.

Da darf dann schon auf mal ein nicht mal zweiminütiger Song wie „Candy“ ganz aus dem Moment heraus entstehen und nur aus Gesang und Gitarre bestehen, gewürzt mit reduzierten Hi-Hat-Schlägen und gefilterten Vocals. Selbst wenn das alles nicht die große Revolution ist, so ist „Fake Leather“ doch ein sehr abwechslungsreiches, lustiges, lautes, schrilles, nachdenkliches, partytaugliches und schön produziertes Album geworden, mit dem man viel Spaß haben kann.

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