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Marc Carnal

Hässliche Küche dank Illuminati

Alien-Verschwörung, Pyramiden-Lüge, Reptiloiden-Weltherrschaft, Chemtrails - Müssen wir die Aluhut-Träger fürchten? Mit Voting!

Von Marc Carnal

Die Küchenzeile in meiner Wohnung ist - man verzeihe mir die Wortwahl - wirklich brunzhässlich. Sämtliche Schubladen und Türen sind mit Holzprint-Laminat überzogen. Die optisch fahrlässige Symbiose aus Sinnlos-Glasflächen an der Rückwand und Clipart-Blumenmuster-Fliesen dazwischen hat ein sadistischer Kika-Designer im Fieber entworfen. Das grauenhafteste Element ist das gläserne Dach der Dunstabzugshaube, die obendrein absurd niedrig installiert wurde, sodass ich mir regelmäßig die scharfen Kanten in die Stirn ramme, wenn ich mich ruckartig dem Herd zuwenden möchte.

Außerdem ist sie viel zu groß für eine Single-Wohnung. Was tun mit dem ganzen Stauraum? Ich habe eine eigene Lade für Frischhalte-Clips. Das Fach daneben ist exklusiv der Aufbewahrung meines Nudelholzes gewidmet. Weil ich so viel Platz für Kochkrempel habe, neige ich in letzter Zeit dazu, mir ständig neuen anzuschaffen. Bald werde ich meinen Text Zweifellos lächerliche Küchengeräte autobiographisch ergänzen müssen.

Was war mein Vormieter wohl für ein Typ? Wie muss einer drauf sein, der sich so eine idiotische Küche in seine Garçonnière pflanzt?

Die einzigen Indizien liefert mir seine Post, die noch vereinzelt in meinem Briefkasten landet. Der Küchen-Blindkäufer ist Mitglied im Vorteilsclub einer Konfiserie, Anhänger der niederösterreichischen Volkspartei und treuer Kunde des Kopp Verlags, der vorrangig verschwörungstheoretische und esoterische Bücher in seinem Programm hat. Pralinen, Mikl-Leitner, Reptiloiden. Seit ich die Interessensgebiete meines Vormieters kenne, wundert mich sein Interieur-Geschmack etwas weniger.

Den dicken Katalog der halbjährlichen Kopp-Neuerscheinungen nehme ich mir immer gerne zum Schmökern in meine hässliche Küche mit. Einzeln betrachtet sind die Titel teils abstrus, teils auch beängstigend. Merkel-Verschwörung, Klima-Lüge, Bilderberg-Konferenz - der kleine Reichsbürger von der Straße findet hier alles, was sein wütend schlagendes Herz begehrt. Auch mit esoterischem Schriftgut geizt man natürlich nicht bei Kopp. Man scheint bereitwillig ausnahmslos jedes Manuskript zu verlegen, das die Schulmedizin anficht.

Drollig sind die offensichtlichen Widersprüchlichkeiten innerhalb des Verlagsprogramms, die man gar nicht erst zu kaschieren versucht. Sie sind Ausdruck einer fast schon rührenden gegenseitigen Toleranz unter Anhängern von Verschwörungstheorien.

Was genau man besser als die „Mainstream-Medien“ oder die „Weltregierung“ zu wissen glaubt, scheint nicht so wichtig zu sein. Hauptsache, man glaubt an irgendeine völlig unlogische These, „alternative“ Geschichtsschreibung oder Alien-Verschwörung.

Die Kopp-Autoren tragen gerne Namen wie Dr. Zacharia Collins oder Hartwig Heinrich Hauk, also Pseudonyme aus dem Zufallsgenerator. Der eine schreibt jährlich ein Buch über die allerneuesten Beweise dafür, dass die Pyramiden von Gizeh von unterirdisch lebenden Riesenmenschen erbaut wurden. Ein anderer, nennen wir ihn Jack van Helsing, behauptet in seinem Enthüllungs-Bestseller „Die Pyramiden-Lüge“, gefährliche Außerirdische hätten sich in vorchristlicher Architektur versucht. Ein dritter wiederum will Inschriften entschlüsselt haben, die den regen Kontakt der Ägypter zu Gott belegen, bevor sie von getarnten Echsen ausgerottet wurden.

Schöne Vorstellung: Alle Pyramiden-Spezialisten aus dem Hause Kopp treffen sich zufällig in Ägypten.
„Welch glückliche Fügung, Herr Professor Hauk! Was machen Sie denn hier?"
"Ich sammle Alien-Hinweise bei den Pyramiden. Und Sie?"
"Ich suche Beweise für mumifizierte Echsen-Menschen. Dann können wir uns ja ein Taxi teilen. Was ist mit Ihnen, Herr Doktor van Helsing?"
"Bin dabei! Dann kann ich gleich die Hieroglyphen von Satan auswerten.“

Verschwörungsanhänger aus den Disziplinen UFO-Beweis, Illuminati-Weltmacht oder Chemtrails agieren wie Kinder: Die zwanghafte Anfechtung aller sicht- und beweisbaren Gegebenheiten und das notorische Zurechtzimmern eigener Wahrheiten eint sie so stark, dass jegliche Widersprüche innerhalb ihres Trotz-Kosmos einfach hingenommen werden.

Weiterführende Informationen:

Die Jahreskarten-Verschwörung

Seit Jahren findet man auf zahlreichen Wiener Fassaden und Straßenbahn-Wartehäuschen die Edding-Aufschrift „youtube: thrive“. Ich habe diesen Hinweis unzählige Male gesehen und instinktiv ignoriert, bis ich nach Jahren in einer schwachen Stunde plötzlich doch neugierig wurde und bei youtube „thrive“ eingab.

Man stößt mit diesem Suchwort auf eine recht aufwendig produzierte Doku, die Interviews mit Entführungsopfern von Aliens und „eindeutige Beweise“ für deren Existenz kompiliert. Unterhaltsam ist der Film, weil so wunderbar eisern auf die Kohärenz gepfiffen wird. Die ganzen „schockierenden“ Erfahrungsberichte und Aussagen von „Wissenschaftlern“, die immer von der CIA oder NASA rausgeworfen wurden, weil sie „zu viel wussten“, sind derartig inkompatibel, dass auch der leiseste Windhauch der kritischen Betrachtung das wacklige Bierdeckelhaus der Stringenz sofort vom Tisch weht.
Aber wurscht. Hauptsache, „die da oben“ verschweigen uns irgendwas.

Gefährlich sind die Aluhut-Träger dieser Welt nicht. Sie sind und bleiben eine kleine und recht harmlose Minderheit. Einen einstelligen Prozentsatz an freiwilligen Außenseitern, die ihr Seelenheil in der dickköpfigen Renitenz gefunden haben, verträgt die Gesellschaft ganz gut, solange die Verschwörungs-Liebhaber aus tausenden friedlich koexistierenden Splittergruppen bestehen.

Querulantische „Andersdenker“, die an Spukschlösser, extraterrestrische Area 51-Gefangene oder eine flache Erde glauben, gab es immer schon. Früher versuchten sie, ihre eigenverlegten Aufklärungsbüchlein im Bekanntenkreis zu verchecken, heute greifen sie auf youtube oder eben den Kopp Verlag zurück. Die auf den ersten Blick beachtlichen Auflagen bieten ebenso wenig Grund zur Besorgnis wie die horrenden View-Zahlen von Amateur-Aufklärungsfilmchen. Solange ihre Forschungsgebiete so irrelevant und ihre Argumentationen so haarsträubend bleiben, werden all die handelsüblichen Verschwörungstheoretiker mit all ihren Geigerzählern, Milch-Ängsten, dritten Augen und Kornkreisen nicht wesentlich mehr Leute überzeugen als einst.

Gefährlich wird es nur, wenn sich plötzlich Boulevard und Politik einträchtig jener praktischen „alternativen Meinungen“ bedienen, an die auch eine Mehrheit aus Gründen des Komforts zu glauben bereit ist. Gefährlich wird es, wenn Wissenschafts-Bashing professionell betrieben wird und Manipulations-Profis mit Fakten bauernschnapsen.

Gefährlich wird es, wenn Präsidenten bekömmliche Light-Verschwörungstheorien wie „Die Klimalüge“ zu ihren niederen Gunsten aufgreifen. Gefährlich wird es, wenn Akademiker plötzlich zu Impfgegnern werden und wenn Chemtrails in Nationalratssitzungen erörtert werden. Wenn Verschwörungsgebrabbel nicht mehr von soziophoben Freaks kolportiert wird, die ihre gesammelten 9/11-„Beweise“ ins Skype-Mikro stammeln, sondern plötzlich von „denen da oben“ selbst, dann wird es gefährlich.

Gefährlich wird es aber auch, wenn Verschwörungstheoretiker Küchen aussuchen.

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