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Kleines Haus in Weiß in London

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ROBERT ROTIFER

Der unerklärte Reichtum

Seit der Nervengas-Attacke von Salisbury ist Großbritannien empört über den langen Arm Moskaus, der tief ins eigene Land reicht. Das wäre glaubwürdiger, wenn man ihn nicht dazu eingeladen hätte.

Von Robert Rotifer

So oft, wie ich nach meinem Schlüsselbund suche, würd ich ja nie behaupten, dass man im Alter schlauer wird. Aber gelegentlich eröffnen die vielen Jahre auf dem Buckel schon gewisse historische Perspektiven. Ich kann mich zum Beispiel erinnern, es war irgendwann vor circa 20 Jahren, da hörte ich gerade Greater London Radio (gibt’s nicht mehr), und ein Reporter erzählte ganz aufgeregt vom ersten Einfamilienhaus in London, das für einen Verkaufspreis von einer Million Pfund auf den Markt kam.

Eine Million, dafür kriegt man heute in Islington oder Camden eine mittelgroße Wohnung, damals reichte es noch für einen mittleren Palast in South Kensington. Der Reporter fragte die Immobilienmakler, wer sich denn um Himmels willen sowas leisten könnte. „Es gibt heutzutage eine Menge Kunden aus Russland, die bereit sind, solche Summen zu zahlen“, war die nicht näher hinterfragte Antwort.

Ein paar Jahre später, 2003, um genau zu sein, kaufte sich einer dieser neureichen Russen, er hieß Roman Abramovich, einen Londoner Fußballverein namens Chelsea FC, und ich schrieb damals hier folgendes darüber: „Das Geld, das mit Billigung der russischen Regierung aus den Ressourcen des Landes geschöpft wird (Abramovich ist ein guter Kumpel Präsident Putins), fließt direkt in den Westen, in diesem Fall wie gesagt in eine der reichsten Gegenden der teuersten Stadt Europas. Die ganze Geschichte hat also nichts mit der Mafia zu tun, sondern ist - noch schlimmer - völlig legal.“

Futter aus Moskaus langer Hand

Niemand schien sich damals an der schiefen Moral zu stoßen. Abramovich wurde von der britischen Presse und den Fußball-Fans gefeiert wie ein magischer Sugardaddy. Wir kennen den Rest der Geschichte. Was auf dem internationalen Fußball-Transfermarkt passierte, geschah auch am Londoner Immobilienmarkt. Abramovich und seinesgleichen (bei weitem nicht nur aus Russland) trugen einen guten Teil zur Verwandlung der Stadt in ein gigantisches Investitionsobjekt bei. Die Stadt – das wäre eine eigene Geschichte wert – wurde dadurch ihres organischen Zentrums beraubt, aber sehr viele haben sich auch daran bereichert, von den Immobilienmakler_innen und auf Provisionsbasis arbeitenden Anwält_innen und Buchhalter_innen bis hin zu den Fitness Coaches und Autohändler_innen von Kensington, Chelsea, Knightsbridge, Mayfair und Umgebung.

Ich erwähne diese Offensichtlichkeiten bloß, weil ich es nicht mehr ganz ertragen kann, wie in Großbritannien seit der mutmaßlichen Nervengasattacke von Salisbury das große Wort von den überlegenen „westlichen Werten“ geführt wird.

Zwecks Recherche für eine kommende Zeitungsgeschichte hab ich in der vergangenen Woche mit einer Menge russischer Nichtoligarch_innen gesprochen, die in London leben. Darunter eine Journalistin, ein Unternehmer, sogar ein Ex-KGB-Agent. Keine und keiner von ihnen hat Vladimir Putin gewählt, aber bezeichnenderweise war die in die Medienwelt eingeklinkte Journalistin die einzige, die der derzeitigen britischen Regierungslinie vertraut. Was immer man selbst davon hält, man kann den anderen ihre Skepsis nicht verdenken. Sie hegen diese nicht etwa aus verletztem Nationalstolz (da ist der nationale Sarkasmus stärker), sondern im, von ihrer exilrussischen Perspektive bedingten, Bewusstsein der gar so unverschämten Heuchelei der Empörung darüber, dass Moskaus lange Hand bis nach Britannien reicht.
Wenn Britannien doch gerade erst aus dieser Hand gegessen hat.

„Go away and shut up“

Wenn derselbe Verteidigungsminister Gavin Williamson, der letzte Woche meinte, Russland solle „go away and shut up“ (wohin eigentlich?) noch vor anderthalb Monaten mit Lubov Chernukhin, der Frau des ehemaligen russischen Vizefinanzministers, für eine Parteispende von umgerechnet 34.000 Euro diniert hat. Derselben Frau, die 180.000 Euro dafür bezahlt hat, mit Boris Johnson Tennis zu spielen. Auch das zugunsten der konservativen Regierungspartei.
Wenn als Verteidigung dafür angeführt wird, dass das alles legal, Chernukhin nämlich britische Staatsbürgerin sei.
Wenn dabei aber niemand erwähnt, dass sich so eine Staatsbürgerschaft über die Tier 1 (investor) Visa-Sonderregel auf der Überholspur besorgen lässt. Wer 10 Millionen Pfund in das Land steckt, kann schon nach zwei Jahren mit dem Siegel der Königin durch die Welt reisen. Bei 5 Millionen sind’s drei Jahre. Die Briten sind natürlich kaum das einzige Land in Europa, das solche Deals anbietet, aber London bietet einige der besten Möglichkeiten, sein Geld loszuwerden (und dabei dessen Wert zu vermehren).

Voriges Jahr fuhr ich mit einer Ansammlung anderer Journalist_innen durch Londons beste Viertel. Wir waren Teilnehmer_innen einer jener sogenannten „Kleptocracy-Tours“, die das Committee for Legislation Against Moneylaundering in Properties by Kleptocrats, kurz „ClampK“, in ziemlicher Regelmäßigkeit veranstaltet.

Man sitzt da also in einem Reisebus und wird von diversen Reiseführer_innen ausführlich darüber unterrichtet, was für krumme Dinger die Besitzer_innen der jeweiligen Hochpreisimmobilien gedreht haben. Mutigerweise brachten die Veranstalter dann auch noch Poster an manchen der Haustore an, die deren Eigentümer_innen eine sogenannte „Unexplained Wealth Order“ („Verfügung über unerklärten Reichtum“) aussprachen. Eine Maßnahme, die das britische Parlament heuer – nicht zuletzt dank dem Druck von ClampK und seiner Kontakte im Unterhaus – auch tatsächlich beschlossen hat: Wer ein Vermögen im Wert von mehr als 50.000 Pfund besitzt und dessen Herkunft nicht erklären kann, darf ab nun enteignet werden. Mit Betonung auf „darf“. Es ist nicht anzunehmen, dass die gut vernetzten Abramovichs dieser Welt sich darüber allzu viel Sorgen machen.

Drei Dinge, die mir von der Kleptokratie-Tour in guter Erinnerung blieben:

  • Wie gewöhnlich diese Häuser aussahen, manchmal waren es sogar bloß Wohnungen in Apartment-Blocks. Was einem wiederum bewusst macht, dass sich ergaunerter Oligarchenreichtum auch bloß in heimischen, auch nicht immer lupenreinen Superreichtum einreiht.
  • Die Vorbeifahrt am erst vor wenigen Jahren erbauten Luxuswohnblock Hyde Park One unter dem Hinweis unseres Reiseführers, dass kein einziger der – in diesem Fall vor allem arabischen – Wohnungsbesitzer dort auf koschere Art zu seinem Geld gekommen sei. Dieser glitzernde Winkel von Knightsbridge lässt sich also auch einfach als Kriminellenkolonie betrachten.
  • Schließlich der Moment, als uns in einer engen Gasse ein fabriksneuer Sportwagen entgegenkam, darin sitzend ein vergoldeter Jüngling, der tatsächlich der Annahme war, dass ganz sicher nicht er, sondern unser vollbesetzter, schwer manövrierbarer Bus zurückschieben sollte.
    Stimmt wohl, hier spricht mein Vorurteil, in Wahrheit hatte der junge Mann sich sein Automobil in Jahren ehrlicher Ferienjobberei vom Mund abgespart, aber so rein symbolisch gab das schon ein gutes Bild her, wie unsere ganze Kleptokraten-Tour warten musste, bis sein Ego genügend abgeschwollen war, um den Rückwärtsgang zu finden.
    Einige Minuten standen wir da Stirn an Stirn, der vergoldete Jüngling fixierte den Busfahrer und unseren Reiseführer mit seinem Mikrophon, die wiederum fixierten ihn. Lange genug, dass alle sich ihren Teil denken konnten über die spezielle Spezies von asozial, die da herangezüchtet wird in Kensington & Chelsea (nicht dass die Beobachtung neu wäre, es gibt schon eine Reality-TV-Show drüber). Mit Russen hatte das jedenfalls nichts zu tun, sehr wohl aber mit dem Zustand der britischen Gesellschaft.

Daran wiederum muss ich eben denken, wann immer ich Leute wie den Ex-Tory-Politiker Michael Portillo in einer Radiosendung wie The Moral Maze (das moralische Labyrinth,eine wöchentliche, tendenziell sehr konservative BBC-Radiosendung über die moralischen Zerwürfnisse unserer Zeit) von der Überlegenheit „unserer“ Werte reden höre. „Wir sind generell zu willig, uns selbst zu kritisieren“, sagte Portillo in der letzten Folge der Sendung unter dem Titel „Cold War 2.0“: „Der Kommunismus kollabierte, das war ein völlig bankrottes System, das nicht nur sein eigenes Volk sondern auch die Völker Osteuropas versklavt hat. Wir sollten zelebrieren, dass unsere Werte triumphiert haben. Und es ist einfach nur jammerschade, dass diese Werte sich nicht auf Russland selbst ausgeweitet haben.“

Das bringt mich zurück zum Anfang der Geschichte: Ich erinnere mich da nämlich irgendwie anders. Ich erinnere mich an die von westlichen Ökonomen wie Jeffrey Sachs verordnete Schocktherapie der Jelzin-Ära, an die stolzen Theorien vom Kapitalismus als Mittel der Demokratisierung. Man behauptete, die sofortige Zerschlagung der Staatswirtschaft mittels Privatisierung auf allen Linien, inklusive der Rohstoffförderung, würde automatisch eine freie Gesellschaft bringen.
Das war genau der Punkt der Geschichte, an dem jene Leute, die in den Neunziger- und Nullerjahren große Teile des Londoner West End, englischer Fußball-Clubs und Zeitungen aufkaufen sollten, zu Oligarchen wurden.
Boris Jelzin allein, das erzählten mir damals die britischen Medien, sei der Garant der Demokratie in Russland. Und als ihm Vladimir Putin 2000 nachfolgte, war die große Sorge in unzähligen besorgten Kommentaren, ob der denn auch stark genug sein werde, diese Rolle zu übernehmen.
So lief er damals ab, der Triumph „unserer Werte“. Das System Jelzin/Putin war sein Produkt, mitsamt den aus ihm geborenen Oligarchen. So erklärt sich all der unerklärte Reichtum in London.
Das heute zu verleugnen ist zumindest vergesslich. Sich, so wie es Londons Establishment getan hat, am bei diesem Raubzug abgefallenen Geld zu bereichern und ihn dann zu verleugnen, das ist hingegen die pure Chuzpe.

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