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Hier kommst du nicht raus

Datenskandal, Empörung, Ausstiegsdrohungen. Warum die aktuelle Facebook-Krise der Normalzustand ist.

Von Ali Cem Deniz

Aus Facebook aussteigen, ist bekanntlich kein einfaches Unterfangen. Man muss einiges an Willensstärke aufbringen und darf sich auch nicht von der drohenden Isolation abschrecken lassen.

Die Deaktivierung des Kontos geht schnell und unkompliziert. Man kann es auch löschen, aber diese Option ist gut versteckt.

Zum Glück gibt es im Netz massenweise Anleitungen. Auf der Webseite des Seniorentreffs in Haltern am See erklärt beispielsweise der „Forenpapa“ Schritt für Schritt, wie es geht. Hat man alles überstanden, kommt die letzte Frage. Will man wirklich, dass in 14 Tagen alles gelöscht wird ohne eine Option auf Wiederauferstehung? Wer nicht genau hinschaut, wird auf „Abbrechen“ klicken, denn der Button dafür ist im auffälligen Facebook-Blau gehalten. Daneben im blassen Grau ist der „Ja“-Button.

Über 87 Millionen Facebookprofile wurden ohne Wissen der User ausgewertet. Der Datenskandal ist nur die Spitze des Eisbergs. Dating-Apps, Fitness-Apps und sogar die deutsche Post sammeln Daten und machen damit das große Geschäft. Und der Staat will ebenfalls mitlauschen. In Österreich sollen in Zukunft Whatsapp, Skype und Co stärker überwacht werden.

Wer es so weit geschafft hat, ärgert sich noch ein letztes Mal über das Social Network und ist gleich auch erstaunt: mit so einem billigen Taschenspielertrick versucht das vielleicht mächtigste Tech-Unternehmen der Welt noch im letzten Moment die Kunden am Ausstieg zu hindern.

Löschen ist Luxus

Seit sich herausgestellt hat, dass das britische Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica mithilfe von Facebook-Apps nach derzeitigem Stand 87 Millionen Profile unerlaubt ausgewertet und die Informationen an die Trump-Kampagne verkauft hat, macht der Hashtag #deletefacebook die Runde. Während Konzerne wie Tesla und Playboy medienwirksam aus dem Netzwerk aussteigen, ist bei den User-Zahlen kein Verlust zu spüren. Ganz im Gegenteil. Mit zwei Milliarden Profilen ist Facebook größer als je zuvor. Das ist kein Zufall.

„Ein Ausstieg aus Facebook ist ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann“ findet der deutsche Kulturwissenschaftler Michael Seemann. In seinem Blog CTRL-Verlust beschäftigt er sich mit dem Kontrollverlust im Internet. In vielen Ländern ist Facebook nicht nur eine zeitraubende Angelegenheit, sondern schlicht das gesamte Internet, einziges Kommunikationsmittel und viel mehr. Und selbst, wenn man aus Facebook aussteigt, oder die Plattform mithilfe von Gesetzen zwingt die Privatsphäre zu respektieren, lässt sich der Kontrollverlust für Seemann nicht rückgängig machen.

Der Kontrollverlust

Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens lässt sich nicht mehr sagen, welche Daten sensibel sind und welche nicht. In den Medien geistern Horrorgeschichten über die Weitergabe von HIV-Daten, sexueller Präferenzen und anderen intimen Informationen. Die Wahrheit ist aber, dass angefangen von Emojis, über Bilder bis hin zu Statusmeldungen, alle Daten ausgewertet werden können und Details über die User verraten, die auf den ersten Blick gar nicht erkennbar sind. „Wir sollten immer davon ausgehen, dass alles alles sagen kann und dass keine Information unschuldig ist“ sagt Michael Seemann.

Zweitens findet die aktuelle Diskussion laut Seemann auf einer falschen Annahme statt. Facebook und ähnliche Seiten interessieren sich nicht für die individuellen Daten. Es geht mehr darum Gruppen von relativ ähnlichen Leuten zu identifizieren, die dann personalisierte Werbung erhalten. Und auch hier steht nicht der individuelle User im Mittelpunkt.

Deshalb sehen wir oft Werbung von Produkten, die wir schon haben oder nicht kaufen würden. Facebook ist schon zufrieden, wenn innerhalb einer gewissen Gruppe die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Werbung anklicken, leicht steigt. Bei den riesigen Userzahlen, bedeuten auch die kleinsten Steigerungen ordentliche Einnahmen.

Ein Gefühl von Privatsphäre

Michael Seemann glaubt, dass es beim aktuellen Datenskandal ohnehin nur am Rande um Daten geht. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass Facebook Gegenstand einer Kontroverse um Datenschutz wird. „Die Menschen, die sich jetzt aufregen, regen sich eigentlich über Donald Trump auf, weil sie glauben, dass er mithilfe von Cambridge Analytica den Einzug ins Weiße Haus geschafft hat.“ Dabei gibt es gute Gründe, um an dieser Theorie zu zweifeln. Denn es ist umstritten, ob die Methoden von Cambridge Analytica wirklich effektiv sind. Trotzdem bleibt der Wahlsieg Trumps für viele ein derart rätselhaftes Phänomen, das nur mit Big Data-Magie erklärt werden kann.

Ob und wie die angekündigten EU-Regelungen Facebook zwingen werden die Privatsphäre der User zu respektieren, wird sich zeigen. Selbst Mark Zuckerberg will die Daten seiner User schützen. Das alles ändert aber nichts an der Tatsache, dass Facebook und andere Social Media-Plattformen öffentliche Räume sind.

Dass Facebook unsere sozialen Netzwerke möglichst vollständig abbilden kann, hat die Plattform groß gemacht. Und letztendlich glaubt Michael Seemann, dass wir Privatsphäre gefühlsbasiert definieren. Wenn Facebook die Einstellungen überarbeitet, haben wir das Gefühl ein Stück Privatsphäre wiedergewinnen. Wenn Daten massenweise ausgewertet werden, fühlen wir uns plötzlich entblößt.

Es reicht offensichtlich nicht, dass Facebook seine privacy settings aktualisiert. Es ist noch offen, ob wie unsere Vorstellungen von Privatsphäre verteidigen können, oder sie grundlegend überdenken müssen. Das wird nicht einfach, aber vielleicht immer noch einfacher als der Ausstieg.

FM4 Auf Laut - Alle wollen deine Daten

Heute, Dienstag, ab 21 Uhr diskutieren wir in FM4 Auf Laut über SOcial Media und Datenschutz.

Ist der Verzicht auf Social Media eine Option? Wie verändern die Angriffe auf die Privatsphäre dein Verhalten im Netz? Claus Pirschner diskutiert darüber mit AnruferInnen und mit dem Datenschutzaktivisten Thomas Lohninger von Epicenterworks.

Ab 21 Uhr kannst du anrufen und mitdiskutieren. 0800/226996 ist die Nummer ins Studio.

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