Charmante Außenseiterin
Von Christian Fuchs
„Atonement“: Gespenstisch überzeugend
Wer ist denn dieses Kind, fragen sich Kritiker und Filmfans anno 2007, als das Melodrama „Atonement – Abbitte“ des britischen Regisseurs Joe Wright anläuft. Zwischen Stars wie Keira Knightley und James McAvoy sticht eine Zwölfjährige in dem höchst tragischen Film hervor. Saoirse Ronan lautet ihr ungewöhnlicher Name und sie spielt ein kleines Mädchen, dessen infantile Eifersucht letztlich tödliche Folgen hat. So gespenstisch überzeugend wirkt die Figur, dass die in New York geborene Schauspielerin mit irischen Wurzeln als große Entdeckung gefeiert wird, Oscar-Nominierung inklusive. Alles zurecht, wird sich in den folgenden Jahren zeigen.

UPI
„Hanna“: Unschuldig und gefährlich
Die Filme, in denen Saoirse Ronan in weiterer Folge auftritt, sind oft alles andere als Meisterwerke. Aber die hochtalentierte Darstellerin holt aus allen Rollen etwas heraus. Ob als untotes Mädchen, das in einem Zwischenreich ihre Rache plant in Peter Jacksons „The Lovely Bones“ oder im nicht ganz geglückten Kriegsepos „The Way Back“ des eigentlichen Meisterregisseurs Peter Weir. Mit dem surrealen, brachialen und zugleich poetischen Actionthriller „Hanna“ („Wer ist Hanna?“), wieder von ihrem Entdecker Joe Wright inszeniert, bekommt Ronan endlich die passende Hauptrolle. Die blutjunge Killerin, die quasi im Labor gezüchtet wurde, verkörpert Unschuld und Gefahr und gehört zu den umwerfendsten Superheldinnen der Nullerjahre.

Sony Pictures
„Byzantium“: Zum Sterben schön
Bald wird klar: Saoirse Ronan liebt Charaktere, die am Rande der Akzeptanz stehen, exzentrische, rebellische, außenseiterische junge Frauen. Statt in Peter Jacksons lukrativer Hobbit-Saga mitzuspielen, unterschreibt sie beispielsweise für den Vampirthriller „Byzantium“ der irischen Regie-Ikone Neil Jordan. Eine gute Entscheidung. Zusammen mit der ebenfalls superen Britin Gemma Arterton huldigt Ronan darin der dunklen Melancholie. Zwei mysteriöse Frauen, die in einem Küstenstädtchen Unterschlupf suchen, entpuppen sich als Jahrhunderte alte Vampire. Neil Jordan setzt weniger auf Story als auf Atmosphäre und unterwandert dabei auch gängige Blutsauger-Klischees. Ronan und Arterton brillieren in diesem kleinen, langsamen Film, in dem einige Szenen zum Sterben schön sind.

Studio Canal
„Lost River“: Die ganze Sehnsucht der Welt
Auch wenn der zwiespältige Auftragskillerinnen-Streifen „Violet & Daisy“ auf schwarzen Humor setzt und Wes Andersons grandioser „Grand Budapest Hotel“ mit schrulliger Komik punktet: Dunkel, wehmütig und abseitig, so könnte man viele von Ronans Filmen beschrieben. Besonders düster geht es im zeitlupenhaften und schwer unterschätzten Regiedebüt des Schauspielers Ryan Gosling zu. „Lost River“ ist eine surreale Verbeugung vor David Lynch und Dario Argento, mittendrin Saoirse Ronan als geheimnisvolles Kleinstadtgirl mit einem Blick, der die ganze Sehnsucht der Welt enthält. Eine Gänsehautszene zeigt sie in ihrem Jugendzimmer, dass nur vom Licht einer pinken Flamingolampe ausgeleuchtet wird, eine zarte Ballade von Johnny Jewel singend.

Constantin
„Ladybird“: Ronan bringt die Leinwand zum Leuchten
Schon klar, das romantische Einwandererdrama „Brooklyn“ ist 2015 der verdiente Mainstream-Erfolg, der Ronan noch gefehlt hat. Und mit dem Ed-Sheeran-Musikvideo „Galway Girl“ erobert sie blutjunge Zielgruppen, denen Kinokunst fern ist. Aber sorry, so richtig zum Leuchten bringt die Irin die Leinwand erst wieder in einer ihrer charmanten Außenseiterrollen, in einem der tollsten Filme derzeit. Saoirse Ronan ist Greta Gerwig ist „Lady Bird“: Ein tragikomisches, feinsinniges Coming-Of-Age-Movie, das mit der Leichtigkeit von großem Indiepop von einer 17-jährigen Provinz-Träumerin und ihrer Familie erzählt. Saoirse Ronan ist eben erst 24 geworden, man darf sich schon auf die nächsten zehn Jahre im Kino mit ihr freuen.
Publiziert am 18.04.2018