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Crowd-Working als „eine Art Parallelwelt“

Die Digitalisierung der Wirtschaft schreitet voran und verändert die Arbeitswelt in ihren Grundfesten. Neue Arbeitsverhältnisse lassen ArbeitnehmerInnen oft rechtlos zurück.

Von Simon Welebil

Die Digitalisierung umfasst unsere ganze Gesellschaft. Besonders gravierend sind die Auswirkungen in der Wirtschaft. Roboter und Algorithmen übernehmen hier immer mehr Tätigkeiten, für die bisher Menschen bezahlt wurden. Schätzungen gehen so weit, dass die Hälfte aller bisherigen Arbeitsplätze durch Digitalisierung verloren gehen könnte.

Schwerpunkt: Zukunft der Arbeit

FM4 setzt am 30. April einen Schwerpunkt zur Zukunft der Arbeit.

In FM4 Connected wird uns Crowd-Work-Expertin Sylvia Kuba eine Stunde lang, von 16 bis 17 Uhr, die drängendsten Fragen zu Digitalisierung und Crowd-Working beantworten.

In der FM4 Homebase befassen wir uns dann intensiv mit Big Data, Robotern und künstlicher Intelligenz, aber auch mit dem Grundeinkommen.

Jeder technologische Fortschritt vernichtet nicht nur Arbeitsplätze, sondern lässt auch welche entstehen. Mit unseren gewohnten Arbeitsverhältnissen haben diese allerdings oft nicht mehr viel gemein.

Crowd-Worker als digitales Arbeitsheer

Eine der prägnantesten Ausformungen neuer digitaler Arbeit ist Crowd-Working, das als Schlagwort in den letzten Jahren immer präsenter geworden ist. Crowd-Working ist ein Sonderfall der Plattformökonomie, in der sich Unternehmen als Vermittler zwischen Anbietern und Nachfragenden setzen - Uber vermittelt zwischen ChaffeurInnen und Beförderungswilligen, Airbnb zwischen VermieterInnen und Unterkunftsuchenden etc.

Während bei Uber und Airbnb aber noch Leistungen in der analogen Welt vermittelt werden, findet Crowd-Working nur mehr online statt, von der Beschlagwortung von Produkten in einem Online-Shop über Design-Aufgaben bis zu aufwendigeren Programmieraufträgen. Oft werden große Aufträge in Microtasks zerlegt, die dann Tausende AuftragnehmerInnen, die Crowd, auf der ganzen Welt abarbeiten.

Wer sind die Crowd-Worker?

Crowd-Working ist auch in Österreich angekommen. Die Universität Hertfordshire hat u.a. im Auftrag der Arbeiterkammer Wien 2016 eine Untersuchung zu Österreichs Crowd-Work-Szene durchgeführt. Von über 2.000 TeilnehmerInnen einer Online-Umfrage haben 36% der Befragten angegeben, im Jahr zuvor versucht zu haben, Arbeit über eine der Share-Economy-Plattformen zu bekommen. Etwa die Hälfte davon war auch erfolgreich.

Crowd-Work-Expertin Sylvia Kuba von der Arbeiterkammer Wien hebt allerdings eine andere Zahl hervor, die für sie interessanter ist: 5% sei der Anteil unter den Befragten, die regelmäßig über eine der Plattformen Geld verdienen. Obwohl man diesen Anteil nicht so einfach auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen kann, war sie schon sehr überascht, wie viele Menschen regelmäßig Crowd-Working betreiben, und das schon 2016. Man kann davon ausgehen, dass sich seither einiges getan hat.

Da gibt’s eine Art Parallelwelt, die man so noch nicht wahrgenommen hat.

Die Bezahlung ist für die meisten Crowd-WorkerInnen allerdings recht dürftig, ausgenommen davon ist eine recht kleine Gruppe von SpezialistInnen, etwa aus dem IT-Bereich. Die große Masse der Crowd-WorkerInnen kann von ihrer Online-Arbeit nicht leben und betrachtet sie meist nur als Zuverdienst.

Sylvia Kuba

Sylvia Kuba

Sylvia Kuba

Arbeit ohne rechtliche Absicherung

Aus der Befragung von Crowd-WorkerInnen geht hervor, dass sie an ihrer Arbeit vor allem die Flexibilität schätzen, dass sie frei einteilen können, wann und von wo aus sie arbeiten. Das heißt meist aber auch, nur geringe Stundenlöhne zu bekommen und keine soziale und rechtliche Absicherung.

Die Plattformen, die die Arbeit anbieten, sehen sich nämlich nur als Vermittler, nicht als Arbeitgeber. Statt Arbeitsverträgen bekommt man von ihnen nur AGBs vorgelegt, denen man zustimmen muss. Krankengeld oder Urlaubsanspruch gibt es nicht. Crowd-Working trägt somit zu einer Prekarisierung der Arbeit bei.

Und obwohl die Crowd-WorkerInnen nicht in eine Unternehmensstruktur eingegliedert sind, unterliegen sie einer Kontrolle, die laut Sylvia Kuba den Arbeitsvertrag gewissermaßen ersetzt: „Ein elementarer Teil des Crowd-Working ist das Rating, d.h. am Ende werde ich vom Auftraggeber gerated. Wie gut war ich? Es ist ein immenses Maß an Kontrolle, obwohl die Leute an unterschiedlichen Orten in der Welt arbeiten. Für den Auftraggeber gibt es keine Notwendigkeit für einen Arbeitsvertrag, das Maß der Kontrolle ist ironischerweise aber viel höher.“ Vielfach findet Arbeit für Plattformen in einer rechtlichen Grauzone statt, so Sylvia Kuba.

Dazu kommt, dass alle Risiken der Arbeitswelt auf die Crowd-WorkerInnen abgewälzt werden. Die vermittelnden Unternehmen tragen keine Verantwortung bei schlechter Auftragslage, die Folgen trägt der Arbeitende selbst, indem er dann einfach keine Arbeit findet. Die „Stehzeiten“ werden auf die Crowd-WorkerInnen abgewälzt.

„Das ist ein ganz elementarer Shift, den wir hier sehen. Hier wird Verantwortung vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer verlagert. Am Ende des Tages heißt das auch geringere Löhne.“

Dieser Shift hat Folgen für die Einzelnen wie für den Sozialstaat. Ohne ordentliche Arbeitsverhältnisse fehlen dem Sozialsystem Einnahmen, die es aber dringend braucht, um die brüchiger werdenden Erwerbskarrieren auszugleichen, oder wie es Syvia Kuba ausdrückt: „Das System gerät von zwei Seiten unter Druck!“

Arbeitsrecht sollte auch für Crowd-Working gelten

Die Arbeiterkammer und die Gewerkschaften verfolgen Crowd-Working schon seit längerem und kritisieren die Rahmenbedingungen, unter denen es stattfindet. Gewissermaßen als ersten Schritt haben der Österreichische Gewerkschaftsbund, die Arbeiterkammer, die deutsche Gewerkschaft IG Metall und die schwedische Unionen die Plattform faircrowd.work ins Leben gerufen, eine Info-Website über Crowd-Work-Anbieter, wo der Bewertungsspieß umgedreht wird. Hier bewerten Crowd-WorkerInnen ihre Portale und ExpertInnen deren AGBs.

Screenshot von der Plattformbewertung auf faircrowd.work

Screenshot faircrowd.work

Auf faircrowd.work bewerten Auftragnehmer ihre Plattformen nach Kriterien wie Bezahlung, Kommunikation, Aufgaben etc.

Zusätzlich werden Hintergrundinformationen zu den Plattformen angeboten und die oft für juristische Laien unverständlichen AGBs durchleuchtet.

Faircrowd.work bietet rechtliche Infos und eine Servicehotline für Crowd-WorkerInnen.

Faircrowd.work ist aus dem Gedanken heraus entstanden, dass einer internationalen Art zu arbeiten nur international begegnet werden kann. So wird die Site auch von international kooperierenden Arbeitnehmerorganisationen betrieben.

Gemeinsam haben die Betreiber die sogenannte Frankfurter Erklärung für plattformbasiertes Arbeiten entworfen, die sozial nachhaltige Arbeitsbedingungen auf digitalen Plattformen sichern soll.

Dabei sehen sie die Arbeitnehmerorganisationen durchaus das Problem, dass internationale Konzerne Arbeitsbedingungen schaffen, die nationales Arbeitsrecht ignorieren. Die einzige Lösung besteht laut Sylvia Kuba deshalb auch darin, internationale Abkommen zu erzielen, um unsere Arbeits- und Sozialstandards zu erhalten. Crowd-WorkerInnen sollten mittelfristig in reguläre Arbeitsverhältnisse überführt werden. Auch für sie sollen Arbeitsrecht und Mindestlöhne gelten.

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