FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Anna und Günter Brus

Elisabeth Scharang

fm4 doppelzimmer

Sie waren die größte Provokation in Wien 1968: Anna und Günter Brus

Der 80-jährige Künstler und radikalste Vertreter des Wiener Aktionismus, Günter Brus, lebt mit seiner Frau Anna am Rande von Graz. Seit vielen Jahren schon warte ich auf das Gespräch mit den beiden und wir mussten immer wieder verschieben – Krankheiten, Operationen – und diesmal hat es geklappt. Ein FM4 Doppelzimmer am 1. Mai.

Von Elisabeth Scharang

Während im Mai 1968 in Frankreich zehn Millionen Arbeiter*innen streikten und sich mit der Student*innenbewegung solidarisierten, in den USA die Anti-Vietnamkriegsbewegung und die Bürgerrechtsbewegung das politische Establishment schwer unter Druck setzten, wurde in Wien auf die österreichische Fahne geschissen.

FM4 Interviewpodcast

.

Das FM4 Doppelzimmer mit Anna und Günther Brus im FM4 Interviewpodcast

6 Monate Gefängnis wegen der „Herabwürdigung österreichischer Staatssymbole“

Die 1968er Bewegung hat in Österreich nicht die Massen bewegt. Es war ein überschaubarer Protest gegen Autorität, Versteinerung und Konservativismus. Aber das, was sich am 7. Juni 1968 im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes an der Uni Wien abgespielt hat, war dafür umso radikaler. „Wir wussten vorher, dass das Konsequenzen haben würde“, erinnert sich der Künstler und Mitbegründer des Wiener Aktionismus, Günter Brus. Als er sich mit Peter Weibel, Otto Mühl, Oswald Wiener und Malte Olschewski für die Aktion „Kunst und Revolution“ nackt auf den Unikatheder stellte, masturbierte, auf die österreichische Fahne pinkelte und dabei die Bundeshymne sang, war die Gruppe der Wiener Aktionisten schon am Höhepunkt ihrer Schaffensphase, die Anfang der 60er Jahre begann. Die Kunst aus der Form befreien, sich selbst, den eigenen Körper involvieren, es war der Beginn von dem, was wir heute Performancekunst nennen. Aber zurück in den Juni 1968 nach Wien.

Anna und Günter Brus

Elisabeth Scharang

Brus war plötzlich Staatsfeind Nr. 1

„In den ersten zwei Tagen nach der Aktion war es noch ruhig und dann hat die Kronenzeitung Wind davon bekommen, was sich im Hörsaal abgespielt hat“, erzählt Günter Brus. Die Kronenzeitung hat damals den Ausdruck „Uni-Ferkelei“ geboren, der bis heute eingemeindet ist. „Ich bin auf der Straße, im Supermarkt, im Stiegenhaus angesprochen worden. Es gab Beschimpfungen und Attacken von wildfremden Menschen. Der Brus war plötzlich Staatsfeind Nummer 1“, erzählt Anna Brus. Sie war von Beginn an gleichwertiges Mitglied bei den Wiener Aktionisten, hat viele der Aktionen mitgeplant und ist als Akteurin auf Fotos zu sehen. Allerdings ist sie nie namentlich erwähnt worden. Dass ihre wichtige Rolle und ihre spannende Sicht dieser Zeit in den letzten Jahren immer mehr ins öffentliche Licht gerückt ist, liegt an Künstlerinnen und Kuratorinnen, die das forciert haben. Denn so rebellisch sich viele der linken Intellektuellen und Künstler der 68er Bewegung damals positioniert haben, in der Frage der Frauenemanzipation und Gleichberechtigung waren die Männer der 68er Bewegung oft nicht viel besser als ihre verhasste Vätergeneration. Und das galt nicht nur für Österreich.

Anna Brus: „Als Frau in den 60er Jahren warst du Burka-Trägerin. Du warst unsichtbar, hattest keine Stimme.“

Anna  Brus

Elisabeth Scharang

Günter Brus wurde ein paar Tage nach der Aktion an der Uni verhaftet. „Und dann wurde in unserer Nachbarschaft eine Unterschriftenliste herumgereicht, in der das Jugendamt aufgefordert wurde, uns das Sorgerecht für unsere kleine Tochter zu entziehen. Über 2.000 Menschen haben das unterschrieben. Brus saß zu dem Zeitpunkt schon in Untersuchungshaft. Sie haben ihn vor der Verhandlung aber frei gelassen. Als klar war, dass er 6 Monate verschärften Arrest bekommen wird, haben wir ein paar Sachen gepackt und sind nach Westberlin geflohen“, erinnert sich Anna Brus. Zehn Jahre hat die Familie Brus dort gelebt.

Günter Brus: „Die Steigerung hätte nur im Selbstmord enden können.“

Günter Brus

Elisabeth Scharang

In dieser Zeit hat Günter Brus mit dem Aktionismus abgeschlossen, oder klar formuliert: Er hat sich entschlossen, die zunehmend gefährlicher werdenden Selbstverstümmelungen im Zuge der Performances nicht fortzusetzen. Das unglaublich vielfältige Werk aus fünf Jahrzehnten kann man übrigens bis August in einer tollen Ausstellung im 21er Haus in Wien sehen.

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Im FM4 Doppelzimmer am 1. Mai von 13 bis 15 Uhr diskutieren Anna und Günter Brus über die Eitelkeit von Künstlern, erzählen über die 70er Jahre in West-Berlin und ihre erste Begegnung in den 50er Jahren am Rande eines steirischen Fußballplatzes.

mehr Doppelzimmer:

Aktuell: